Die Welt ist immer komplexer und ändert sich schnell auf oft unvorhersehbare Weise. Darauf schnell und flexibel zu reagieren, ist überlebensnotwendig für Unternehmen. Agil führen – das beschreibt diese Herausforderung für viele Führungskräfte. Wie das gelingt, zeigt dieses Kapitel.
Der erste Abschnitt liefert eine Definition für agile Führung, der zweite Abschnitt zeigt agilePrinzipien und Führungsmethoden, danach kommen Merkmale agiler Führung und Tipps für agiles Führen in der Praxis. …
In diesem Beitrag:
Definition von agiler Führung
Was ist agile Führung? Mit Agilität verbinden Menschen hohe Beweglichkeit. Das trifft es gut, was mit agil führen gemeint ist. Hier die Definition:
Agile Führung beinhaltet alle Maßnahmen, die Entscheidungen und Verhalten in einem Verantwortungsbereich schnell, flexibel und gut angepasst machen.
Ein agiler Führungsstil definiert also eine Führungskraft, die das im Führungsverhalten verinnerlicht hat. Diese Definition zeigt: Agile Führung ist eine Denkrichtung, die sich auf verschiedenste Maßnahmen stützt. Agiles Führen ist also ein grundlegendes Mindset, an Führung heranzugehen – nicht ein einzelnes klar umrissenes Verhalten. Es kann daher bei verschiedenen Führungskräften sehr unterschiedlich aussehen. Und es kann sehr verschiedenes betreffen: Wie Prozesse ablaufen (etwa Entscheidungen nach unten verlagern), welche Strukturen bestehen (etwa selbstorganisierte Teamarbeit statt einzelner direkt geführter Mitarbeiter), wie Mitarbeiter ausgewählt und entwickelt werden (z. B. Fokus auf Handlungsfähigkeit) oder welche Kultur im Bereich herrscht (beispielsweise Vertrauen statt Detailplanung und Kontrolle).
Das Buch zum Online-Text. Diplompsychologe Prof. Dr. Florian Becker liefert:
praxiserprobte Tipps aus unseren Projekten mit Top-Unternehmen und Workshops mit Führungskräften
wissenschaftliche Qualität aus jahrzehntelanger Forschungsarbeit
kompaktes Format, weil Ihre Zeit kostbar ist
Ihr Vorsprung bei Mitarbeiterführung.
An dieser Stelle ist klar: Weder ist agile Führung etwas Neues, noch macht sie überall Sinn. Es handelt sich um eine Mischung bekannter Prinzipien, Methoden und Maßnahmen, die immer dort sinnvoll sind, wo das Umfeld sich schnell und unberechenbar ändert und man flexibel agieren möchte. Und für viele Führungskräfte ist genau das Realität. Ihre Welt und die Rahmenbedingungen unter denen sie führen, verändern sich immer schneller und oft unberechenbar. Und einige Führungskräfte gehen diese Herausforderung proaktiv an, indem sie ein agiles Mindset und agile Werte entwickeln und diese Denkrichtung in jede Führungsentscheidung einfließen lassen.
Wie aber äußert sich ein agiles Mindset dann ganz konkret in Maßnahmen? Dazu geht es weiter im nächsten Abschnitt.
Agile Prinzipien und Methoden beim Führen
Wie kann man agiler führen? Das Ziel ist klar: Entscheidungen und Verhalten sollen schneller, flexibler und besser angepasst sein. Doch wo kann man konkret ansetzen, um agiler zu führen? Theoretiker und Praktiker haben eine Unzahl von agilen Methoden dafür vorgeschlagen (z.B. bei Scrum-Teams), die sich glücklicherweise auf wenige zentrale agile Prinzipien zusammenfassen lassen. Die folgende Abbildung gibt einen Überblick.
Konkret helfen folgende agileMethoden und Prinzipien bei der Führung.
Entscheidungen optimieren
Je weiter oben in der Hierarchie Unternehmen ihre Entscheidungen treffen, desto später sind diese getroffen und desto weniger haben sie mit dem aktuellen Bedarf zu tun. Je näher man die Entscheidungen an den Prozessen treffen kann, desto schneller und kundenorientierter sind diese. Dass Mitarbeiter nicht von Haus aus gute Entscheidungen treffen wollen und können, ist eine bittere Tatsache. Darum gibt es zwei Kapitel in diesem Fachtext, die sich nur damit beschäftigen, wie man Entscheidungen optimiert. In einem Kapitel geht es darum, was gute Entscheidungen sind und wie man sie trifft.Ein zweites Kapitel zeigt, wie man Mitarbeiter in Entscheidungen erfolgreich einbindet.
Voraussetzung für gute Entscheidungen sind auch handlungsfähige Mitarbeiter mit entsprechender Kundenorientierung. Dazu der nächste Punkt.
Handlungsfähige Mitarbeiter und Teams herstellen
Agilität gelingt nur mit motivierten Mitarbeitern, die wirklich gute Lösungen anstreben und die zudem in der Lage sind diese selbständig zu entscheiden, sich im Team abzustimmen und umzusetzen. Selbstorganisierte Mitarbeiter und Teams sind hier das Ziel. Mit demotivierten oder wenig selbständigen bzw. wenig kompetenten Mitarbeitern führt Agilität in die Katastrophe. Hier wird oft gar nicht entschieden (den Mitarbeiter interessiert dann nur seine unmittelbare Ruhe, der Unternehmenserfolg ist mental weit weg und abstrakt) und Kunden werden missachtet und verärgert. Für die Themen Teamarbeit und Mitarbeitermotivation gibt es jeweils einen ganzen Fachtext, der zeigt, wie das geht.
Vertrauenskultur und gute Beziehungen schaffen
Handlungsfähige und motivierte Mitarbeiter verdienen Vertrauen. Eine Vertrauenskultur, die auf eigene Entscheidungen und selbständige Arbeit in klar definierten Handlungsbereichen setzt, erhöht das Tempo. Gute, vertrauensvolle Beziehungen sind auch die Grundlage, damit Teamarbeit funktionieren kann. Konflikte zersetzen die Motivation, dagegen motiviert ein positives emotionales Klima die Mitarbeiter. Ein eigenes Kapitel beschreibt, wie Führungskräfte so eine Vertrauenskultur aufbauen können.
Effektive Kommunikation – auch mit der Umwelt
Um schnell, kreativ und flexibel auf veränderte Anforderungen von Kunden oder anderen Aspekten der Umwelt zu reagieren, ist Kommunikation entscheidend. Gutes Zuhören und regelmäßiger Austausch sind eine wesentliche Basis, um Veränderungen frühzeitig mitzukriegen und berücksichtigen zu können. Das gilt nicht nur innerhalb des Teams, sondern gerade für die Kommunikation mit dem Umfeld: Informationen, etwa über automatisierte Datenerhebung, Marktforschung oder Informationen von Händlern und anderen Partnern helfen in engen Kontakt mit der Umwelt zu bleiben und frühzeitig zu reagieren.
Wenig direkte Führung und Reglementierung
Wenn die oben beschriebenen Prinzipien umgesetzt sind, dann kann sich Führung verändern. Abstrakt kann man dann eine Führungskraft eher als jemanden sehen, der gute Rahmenbedingungen schafft, anstatt nach command and control zu führen. Wie diese wenig direkte Führung gelingt, zeigt ein eigenes Kapitel zu nachhaltiger Führung.
Auch sonst gibt es weniger Reglementierung in agilen Umfeldern. Konkret bedeutet das beispielsweise Projekte starten mit eher unscharfen Anforderungen, diese klärt das Team dann im Verlauf selbständig, etwa mit den Kunden, die Führungskraft ist nur bei wirklich zentralen Entscheidungen eingebunden, die Initiative dafür geht aber vom Team aus.
Aus diesen Prinzipien ergeben sich dann in der Praxis bestimmt Merkmale, woran man agile Führung erkennen kann. Diese stellt der nächste Abschnitt vor.
Agile Führung: Merkmale
An welchen Merkmalen kann man erkennen, ob Führung agil ist? Wenn Führungskräfte lange genug und intensiv genug die oben genannten Prinzipien umsetzen, dann entsteht eine Agile Kultur. Unter stabilen Bedingungen entsteht dagegen meist eine wenig agile Führungskultur. Diese ist unter anderem gekennzeichnet durch langsame hierarchische Entscheidungen, direkte Anweisungen im Detail und starre Regeln. So lange die Welt so bleibt, funktioniert das meist. Wehe aber die Bedingungen ändern sich – dann bleibt oft eine Führung erhalten, die nicht mehr zu den Anforderungen passt.
Es gibt typische Merkmale: Agile Führung und wenig agile Führung sind in der Tabelle gegenübergestellt für eine schnelle Übersicht.
wenig agile Führung: Merkmale
agile Führung: Merkmale
langsame, autoritäre Entscheidungen (wenn überhaupt entschieden wird) auf oberen Hierarchieebenen ohne Einbindung der Mitarbeiter und Kunden
schnelle, prozessnahe Entscheidungen mit starker Einbindung von Mitarbeitern und Kunden; Entscheidungen findet dort statt, wo sie am schnellsten und besten getroffen werden können
unselbständige, individuell geführte Mitarbeiter, die auf direkte Anweisungen warten und auf extrinsische Belohnungen reagieren
selbständige Mitarbeiter in selbstorganisierten Teams, die eigeninitiativ gute Lösungen anstreben
Kultur des Misstrauens, mit kleinauflösenden Zielen, direkten Aufträgen, Kontrolle und Konsequenzen (Belohnungen/Strafen)
Kultur gegenseitigen Vertrauens und gegenseitiger Wertschätzung zwischen den Mitarbeitern und zwischen Mitarbeitern und Führungskraft
Orientierung nach innen, Konzentration auf eigene Technologie und Kompetenzen
Orientierung nach außen, intensiver Austausch mit Kunden und Partnern
viel Reglementierung in Form von klaren Plänen, Vorschriften, Anträgen, Formularen, Koordinationszwang und Abstimmung
wenige zentrale Regeln, kaum Bürokratie, viel Vertrauen, selbstständige und selbstorganisierte Arbeitsgestaltung
Die Auflistung macht klar, dass agile Führung meist agile Teams einsetzt und letztlich bedeutet, einzelne Mitarbeiter weniger zu führen.
Was ist jetzt zu tun? Der letzte Abschnitt liefert die entscheidenden Tipps für die Praxis.
Tipps für agiles Führen
Zum Abschluss dieses Kapitels zeigen die zentralen Tipps, wie man agiler führen kann.
Tipps für agile Führung
Für agile Führung gibt es mehrere Praxistipps, damit diese wirklich erfolgreich ist. Theoretiker und Trainer versprechen oft schnelle Erfolge, die Praxis ist aber viel, viel härter.
Ob ein Führungsstil zweckmäßig ist, liegt immer an der Situation. Setzen Sie daher agile Führung nur dort ein, wo diese wirklich Sinn macht. Konkret: Immer wenn das Umfeld sehr komplex, dynamisch und unberechenbar ist. In anderen Situationen ist eine andere Führung zweckmäßiger.
Kümmern Sie sich dann darum, dass Ihre Mitarbeiter wirklich Entscheidungen treffen können und wollen. Das ist keine Selbstverständlichkeit und es gibt hier viele Illusionen nach dem Motto: Die Mitarbeiter wollen doch alle mitentscheiden und sich beteiligen. Nein! Viele wollen nicht und noch weniger können entscheiden. Und sobald entscheiden bedeutet, sich tatsächlich einzuarbeiten und gut vorzubereiten, wird der Anteil noch geringer. Das hat durchaus Ähnlichkeit mit dem Verhalten von Wählern. Viele gehen nicht zur Wahl; und wer hingeht, hat fast nie die Parteiprogramme gelesen und sich umfassend vorbereitet. In Unternehmen kann man ähnliches beobachten: Viele wollen gefragt werden und mitreden aber wenige etwas dafür tun oder sich davor umfassend informieren.
Fazit: Es bedeutet harte Arbeit, dass demokratische Entscheidungsprozesse in Unternehmen wirklich gut funktionieren.
Lesen Sie dazu die Kapitel zu guten Entscheidungen und zum erfolgreichen Einbinden von Mitarbeitern bei Entscheidungen.
Agile Führung braucht als Basis selbstständige und handlungsfähige Mitarbeiter. Ansonsten geht der agile Ansatz voll nach hinten los und die Ergebnisse sind schlechter als zuvor. Achten Sie schon bei der Personalauswahl auf selbständige Mitarbeiter, fördern Sie selbständiges Arbeiten, Lernen und Motivation, wo Sie können. Was hier leicht gesagt ist, ist natürlich schwer zu erreichen. Wir reden hier nicht von Wochen, sondern im besten Fall von Monaten und dann einem kontinuierlichem Prozess.
Schnell und flexibel kann man nur arbeiten, wenn es ein ausgeprägtes Vertrauensklima gibt. Stellen Sie das als Führungskraft her. So sparen Sie sich viel Zeit für direkte Steuerung und Kontrolle und Ihre Mitarbeiter können offen untereinander und mit Ihnen kommunizieren. Wie Sie Vertrauen ganz konkret herstellen, zeigt Ihnen ein eigenes Kapitel dazu.
Schnelle Anpassung und Reaktion gibt es nur, wo Kommunikation gelingt. Investieren Sie in gelungene Kommunikationim Team, fördern Sie die Zuhörerfertigkeiten und Sprecherfertigkeiten Ihrer Mitarbeiter. Sensibilisieren Sie für die Bedeutung, gehen Sie mit gutem Beispiel voran, geben Sie Rückmeldung, wo positives Kommunikationsverhalten auffällt (Lob) oder konstruktive Kritik, wenn etwas besser geht. Stellen Sie Kommunikationskanäle auch über das Team hinaus her, vor allem zum Umfeld, zu den Kunden, zum Markt. Ziel ist, dass Ihre Mitarbeiter als Botschafter und Diplomaten Informationen nach außen und innen tragen und ein außerordentliches Interesse an Kunden, Partnern und Wettbewerbern entwickeln.
In dem Maße, in dem die obigen Punkte gelingen, bauen Sie zunehmend Regeln, Kontrolle, Hierarchie ab. Sie geben mehr Freiraum, delegieren zunehmend Entscheidungen und Aufgaben und fördern Selbständigkeit und Selbstorganisation. Gehen Sie dabei ruhig auch mal kleine Risiken ein und geben einen Vertrauensvorschuss – aber ohne naiv zu sein. Die Dosis und der Zeitverlauf entscheiden hier, ob das Mehr an Freiheit Medizin oder Gift ist.
Immer mehr Unternehmen befinden sich in der Situation, dass der Druck zu Innovation und Erneuerung stetig ansteigt. Das erfordert entschlossene Führung. Hierzu das nächste Kapitel.