X-Y-Theorie von McGregor: Kontrolle oder Vertrauen?

Wie viel Kontrolle und Druck brauchen Mitarbeiter, wie viel Freiheit und Vertrauen sind sinnvoll? Je nachdem wie eine Führungskraft diese Frage für sich beantwortet, sieht ihr Führungsstil und das Arbeitsleben der Mitarbeiter sehr unterschiedlich aus. Die X-Y-Theorie von McGregor greift das auf. Sie unterscheidet prinzipielle Vorstellungen, die Führungskräfte über ihre Mitarbeiter haben können: Theorie X und Y.
Dieses Kapitel beschreibt die Theorie und das Modell, zeigt das Menschenbild und die innere Haltung dahinter, geht auf die Bedeutung für die Führung ein und zeigt die Auswirkungen an einem markanten Beispiel. Und es gibt eine Kritik der Theorie nach heutigem Stand sowie Tipps zur Anwendung in der Praxis.

Theorie X oder Theorie Y – Festhalten oder Freiheit?
Theorie X oder Theorie Y – Festhalten oder fliegen lassen?

X-Y-Theorie: Modell und Menschenbild

Es gibt sehr unterschiedliche Menschenbilder bei Führungskräften und damit verbunden ganz verschiedenes Führungsverhalten. McGregor (McGregor, 1960) hat mit seiner X-Y-Theorie das Interesse auf diese Menschenbilder von Führungskräften gelenkt. In seinem Modell grenzte er grob zwei Denkrichtungen bzw. Menschenbilder in der Führung voneinander ab: Theorie X und Theorie Y. Folgende Tabelle stellt beide vor und gibt eine Definition der entsprechenden Menschenbilder und inneren Haltung.

Theorie X Theorie Y
Menschenbild: Diese Führungskräfte glauben…

  • Menschen sind von Natur aus faul, es gibt kaum Eigenantrieb zur Arbeit.
  • Belohnung und Bestrafung von außen sind die wirkungsvollsten Instrumente, um zu motivieren.
  • Menschen müssen direktiv geführt werden, sie mögen keine Autonomie und Verantwortung.

Die innere Haltung dieser Führungskräfte gegenüber den Mitarbeitern ist oft gezeichnet von

  • Misstrauen,
  • Betonung von Individualismus,
  • Verachtung und
  • emotionaler Distanz.
Menschenbild: Annahmen dieser Führungskräfte sind…

  • Die Arbeit an sich kann Menschen motivieren und begeistern.
  • Menschen können sich mit Zielen identifizieren und verfolgen diese selbständig.
  • Menschen suchen Herausforderungen, können sich weiterentwickeln und Verantwortung übernehmen.

Die innere Haltung dieser Führungskräfte ist tendenziell geprägt von

  • Vertrauen,
  • Betonung von Teamgeist,
  • Respekt und
  • emotionaler Anteilnahme.

Eine Führungskraft, die an Theorie X glaubt, wird also vermutlich direktiv führen und stark kontrollieren. Dagegen wird eine Führungskraft, die von den Annahmen der Theorie Y ausgeht, ihren Mitarbeitern eher viel Freiraum geben und auf Autonomie setzen.

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Im nächsten Abschnitt geht es um die Bedeutung und Auswirkungen der Theorie.

Theorie X und Theorie Y: Bedeutung und Auswirkungen

Es ist erkennbar, dass die Annahmen über die Mitarbeiter das Verhalten einer Führungskraft stark prägen. Die Art, wie mit Mitarbeitern in verschiedenen Unternehmen umgegangen wird, hat häufig mit den Menschenbildern der oberen Führungskräfte oder der Gründer und Eigentümer zu tun. Neben der direkten Führung spüren die Mitarbeiter auch die innere Haltung der Führungskräfte und werden streng danach geführt. Im Falle von manchen Top-Führungskräften betreffen deren Menschenbilder und die Annahmen über die Gründe für Leistung bei den Mitarbeitern hunderttausende Mitarbeiter. Diese haben die Auswirkungen zu tragen.

Für beides gibt es prominente Beispiele für konkrete Auswirkungen in der Praxis:

  • Etwa als Beispiel für Theorie Y die berühmten 20 Prozent Arbeitszeit, die Ingenieure in manchen Unternehmen arbeiten können, an was sie wollen und mit wem sie wollen – so lange es im weitesten mit den Geschäftsfeldern des Unternehmens zu tun hat. Man verlässt sich hier eben darauf, dass die Mitarbeiter gerne, freiwillig und autonom arbeiten und vertraut entsprechend.
  • Typisches Beispiel für die Auswirkungen von Theorie X sind Arbeitsumgebungen und Unternehmen, die Leistung minutiös messen und danach Belohnungen (etwa Gehalt und Beförderungen) und Sanktionen (etwa Kündigung) setzen. Hier möchte man sich eben genau nicht darauf verlassen, dass Menschen von sich aus selbständig und motiviert arbeiten und setzt auf die Macht äußerer Anreize.

Es gibt sowohl für Theorie X als auch für Theorie Y Beispiele von sehr erfolgreichen Führungskräften. Etwas vordergründig wird man vielleicht versucht sein, Vertreter der Theorie X der „schwarzen Seite der Macht“ zuzuordnen und zu verurteilen und die Vertreter der Theorie Y eher der „weißen Seite der Macht“. Tatsächlich zeigen spätere Kapitel (etwa zur transformationalen Führung), dass Führungskräfte mit Theorie Y noch wesentlich manipulativer und auch schädlicher sein können.

Der nächste Abschnitt zeigt ein Beispiel für Theorie X und deren Auswirkungen.

X-Y-Theorie: Beispiel

Ein Paradebeispiel für eine Führungskraft, die eher in Richtung Theorie X denkt, ist sicherlich Jack Welch. Dieser war 20 Jahre lang CEO bei General Electric. Dort führte er ein System ein, das er als „Differentiation“ bezeichnete. In Deutschland ist dieser Ansatz auch als „20-70-10-Prinzip“ bekannt geworden. Im Kern funktioniert dieses System folgendermaßen:

  1. Für jeden der mehreren 100.000 Mitarbeiter bei General Electric wird definiert, was seine konkreten Ziele sind und was Arbeitsleistung ist.
  2. Zu dieser Definition von Leistung sucht man dann messbare Indikatoren.
  3. Dann geht es darum mit den Indikatoren bei jedem Mitarbeiter die Arbeitsleistung zu messen.
  4. Die Arbeitsleistung von Mitarbeitern auf ähnlichen Positionen vergleicht man am Ende eines Zeitraumes (z.B. jedes Jahr).
  5. Anschließend differenziert der Ansatz Mitarbeiter in drei Gruppen: Die 20 Prozent, die am meisten leisten, 70 Prozent Mittelfeld und 10 Prozent mit der geringsten Leistung in jedem Bereich.
  6. Als letzter Schritt erfolgen Konsequenzen in Form von Belohnungen und Bestrafungen. Bei General Electric bekamen die 20 Prozent der leistungsstärksten Mitarbeiter monetäre Belohnungen (Geld) und die 10 Prozent schwächsten Mitarbeiter wurden entlassen.

Aus diesem Ansatz lässt sich erahnen, welches Bild Jack Welch von seinen Mitarbeitern hatte. Im Kern könnte es etwa so aussehen:

„Ich kann mich nicht darauf verlassen, dass ausreichend viele meiner Mitarbeiter von sich aus motiviert arbeiten. Zu viele würden nur wenig leisten aus eigenem Antrieb. Daher muss ich von außen antreiben. Ich muss erheben, was jeder leistet und dann belohnen und bestrafen, damit meine Mitarbeiter motiviert sind!“.

Er geht also offenbar von einem Mitarbeiter aus, der eher faul ist und nicht von sich aus Freude an Arbeit und Verantwortung hat.

Es ist klar, dass so eine umfassende Maßnahme wie 20-70-10 Vorteile und Nachteile hat. Nicht umsonst haben sich beispielsweise sowohl General Electric als auch Microsoft (die das System leicht abgewandelt einsetzten) wieder vom System der Differentiation verabschiedet. In Deutschland lässt sich so ein Ansatz auch rein arbeitsrechtlich nicht voll umsetzen. Auf diese Vor- und Nachteile geht der folgende Schaukasten ein.

Beispiel: Diskussion der Risiken von 20-70-10

Interessanterweise handelt es sich beim oben diskutierten Ansatz der Differentiation bei General Electric meist um Mitarbeiter, die einer hochqualifizierten Tätigkeit nachgehen. Das Unternehmen ist von den Geschäftsfeldern am ehesten mit dem deutschen Unternehmen Siemens zu vergleichen. Jack Welch versuchte also Ingenieure, Chemiker, Betriebswirte und andere hochqualifizierte Personen auf eine Weise zu motivieren, die man typischerweise bei unqualifizierten Tätigkeiten findet – etwa in Textilfabriken in Asien. Macht das Sinn?
Ohne Zweifel hatte Jack Welch eine sehr gute Bilanz was Kennwerte wie Umsatzentwicklung und Gewinn bei General Electric betrifft. Er hat sich nicht umsonst 20 Jahre an der Spitze eines großen, börsennotierten US-Unternehmens gehalten. Er gilt als Management-Guru und hat zahlreiche prägende Ideen und innovative Ansätze geliefert. Man könnte also sagen, der Erfolg gibt ihm Recht. Aber gibt der Erfolg auch dem Prinzip Differentiation recht? Das lässt sich nicht abschließend beurteilen, da es ja nur eine von vielen Entscheidungen und Maßnahmen ist, die unter Jack Welch getroffen wurden. Wie jede Maßnahmen gibt es Vorteile und Nachteile. Lässt man Führungskräfte diese Vorteile und Nachteile diskutieren, kommen sehr kontroverse Ergebnisse, die folgende Zusammenstellung im Überblick zeigt.

Vorteile von 20-70-10 (Differentiation) aus Sicht von Führungskräften:

  • Durch die Definition von Leistung für jede Stelle bekommen die Mitarbeiter (endlich) konkrete Ziele und eine klare Botschaft, was wichtig ist.
  • Leistung lohnt sich, auch monetär.
  • Es entsteht Transparenz, wer was leistet. Die Beiträge der einzelnen Mitarbeiter sind sichtbar. Keiner kann sich verstecken oder herausreden, es gibt eine klare Diskussionsgrundlage. Trittbrettfahrer werden sichtbar, angesprochen und ggf. entfernt.
  • Personalentscheidungen wie Beförderung, Entlohnung und Entlassungen bekommen eine rationale Grundlage. Persönliche Sympathien und Vetternwirtschaft haben keine Grundlage mehr.
  • Es tritt ein „survival of the fittest“ ein, eine Art Darwinismus: Da jedes Jahr 10 Prozent der Mitarbeiter entlassen werden, gehen Underperformer und es bleiben (theoretisch) die fitten Leistungsträger zurück – zudem wird neuen Mitarbeitern eine Chance gegeben.
  • Frisches Blut: Durch die hohe Fluktuation an Mitarbeitern durch Entlassungen kommen immer wieder neue Mitarbeiter, die frische Ideen bringen.
  • Mitunter sind Mitarbeiter nicht voll ausgelastet, da Anforderungen sich ändern und neue Technologien die Arbeitsprozesse vereinfachen. Die fixen Entlassungen von 10 Prozent der Mitarbeiter im Jahr schrumpfen davon betroffene Bereiche und Abteilungen gesund. Nicht selten laufen Bereiche genauso gut oder besser, wenn einzelne Mitarbeiter gehen. Man merkt durch den kontinuierlichen Personalabbau, wann es wirklich nicht mehr läuft und kann erst dann wieder neue Mitarbeiter einstellen.
  • Mit genügend Mitarbeiter und etwas Zeit entsteht ein massiver Datenpool. Unternehmen können daraus erkennen, mit welchen Merkmalen Menschen auf welchen Positionen gut performen. Damit können sie bei Neueinstellungen die Auswahl treffsicherer machen.

Nachteile von 20-70-10 (Differentiation) aus Sicht von Führungskräften:

  • Der Fokus auf die oberflächlichen, messbaren Prozesse führt dazu, dass andere, grundlegendere Prozesse leiden. Bildlich ausgedrückt: Alle rudern wie verrückt, anstatt einen Außenbordmotor zu entwickeln oder das Boot schnittiger zu bauen.
  • Das System spielt Mitarbeiter gegeneinander aus, da es eine Win-Lose-Situation ist. Wenn ein Mitarbeiter in den Top 20 Prozent ist, ist ein anderer dafür nicht drin. Es gibt kein Win-Win, bei dem es sich auszahlt, anderen zu helfen und diese zu unterstützen. Als Folge tauschen die Mitarbeiter keine wichtigen Informationen aus, helfen sich nicht mehr so viel und Kooperation und Teamarbeit leidet.
  • Wenn man zu lange und extrem Diät macht, dann baut man schließlich auch Muskeln ab – und am Ende sogar das Gehirn. Ähnlich könnte es sein, wenn man jedes Jahr zehn Prozent Mitarbeiter entlässt. Irgendwann sind alle wirklichen Low-Performer weg. Man schneidet sich dann sozusagen ins eigene Fleisch, indem man gute Mitarbeiter entlässt.
  • Der harte, sehr technische Ansatz kann die Beziehung zu den Mitarbeitern verschlechtern. Eine gute Beziehung (Sympathie und Vertrauen) ist aber Basis für erfolgreiche Führung und Beeinflussung der Mitarbeiter in Richtung von Zielen.
  • Die drei Stufen sind nicht differenziert genug, sie motivieren die Mitarbeiter in der Mitte der Leistungsverteilung nicht. Was wenn ein Mitarbeiter im Mittelfeld ist? Er wird sich denken: „Die Top 20 Prozent erreiche ich ohnehin nicht, und eine Entlassung droht mir auch nicht. Warum soll ich mich anstrengen?“ Entsprechend haben andere Unternehmen, die das System übernommen haben, wie Microsoft oder Yahoo, dieses in mehr als drei Stufen ausdifferenziert.
  • Individualisten kommen nach oben. Wenn man viele Jahre immer nur diejenigen befördert, die für sich am meisten leisten und erreichen, besteht das Risiko, dass Menschen nach oben kommen, die nicht besonders teamfähig sind.
  • Das System misst nur, was jemand für sich leistet, nicht wie er sich auf andere auswirkt. Nehmen wir an, jemand erreicht für sich genommen viel, demotiviert aber durch seine Art die Menschen in seinem Team, etwa durch schlechte kollegiale Beziehungen. Er würde doppelt belohnt, da er viel leistet und noch dazu die Leistung der anderen im Team schmälert, die mit ihm im Wettbewerb stehen. Umgekehrt bestraft das System Mitarbeiter, die sich positiv auf ihr soziales Umfeld auswirken, etwa durch Hilfsbereitschaft, positive Ausstrahlung, Energie und gute Laune.
  • Das System baut hohen Druck und Stress auf, der langfristig zu Burnout oder größeren Gesundheitsschäden führen kann. Es gibt Berichte über hohe Selbstmordraten bei Fabrikarbeitern in Asien, die unter ähnlichen Strukturen arbeiten.
  • Abschreckung von Mitarbeitern mit anderen Werten: Es ist zu befürchten, das auch gute Mitarbeiter gehen, wenn sie die Wahl haben, weil sie sich nicht in der harten Vorgehensweise wiederfinden, und Talente abgeschreckt werden.
  • Geringe interkulturelle Übertragbarkeit: Das System mag in der eher individualistisch geprägten Kultur der USA funktionieren, in der man glaubt, jeder könne vom Tellerwäscher zum Millionär werden. Gründe für Leistung, Erfolg oder Misserfolg sucht man in den USA eher in der Person: „Eine Leistung ist schlecht, weil der Mitarbeiter sich nicht anstrengen möchte!“. In anderen Kulturen ist das ganz anders. In Deutschland werden die Gründe für Leistungsunterschiede bevorzugt im Umfeld einer Person gesucht: „Ein Mitarbeiter ist schlecht, weil er keine Chance bekommen hat, eine schwierige Kindheit hatte, sozial benachteiligt ist, nicht integriert wurde, …!“. Entsprechend ist die Akzeptanz für das System in anderen Kulturen sehr gering.
  • Rechtliche Barrieren: Rein arbeitsrechtlich ist der Ansatz, Menschen aufgrund von geringerer Leistung im Vergleich mit anderen zu entlassen, in vielen Ländern nicht umsetzbar.

Weiter geht es mit der Kritik an der X-Y-Theorie.

X-Y-Theorie: Kritik

McGregor hat zweifelsfrei das wissenschaftliche Augenmerk auf die Menschenbilder von Führungskräften gelenkt. Einige moderne Führungsansätze sind durch seine Unterscheidung geprägt.

Eine moderne Perspektive, in der sich McGregors Theorie widerspiegelt, ist die Unterscheidung zwischen Transaktionaler Führung und Transformationaler Führung.

Transaktionale Führung ist die zielgerichtete Beeinflussung von Personen innerhalb von Organisationen über transparente und rationale Tauschprozesse. Es besteht also ein sachliches Austauschverhältnis (daher der Begriff transaktionale Führung), das einen rationalen Mitarbeiter unterstellt, der sich aus rein finanziellem Kalkül engagiert. Platt gesagt ein Tausch: Geld gegen Leistung. Unschwer erkennbar ist hier, bei den Unternehmen und Führungskräften, die so arbeiten, im Hintergrund die Theorie X.

Transformationale Führung (Bass, 1985; Bass und Riggio, 2006; Moss, 2009) ist die zielgerichtete Beeinflussung von Personen innerhalb von Organisationen durch eine tiefgreifende Veränderung dieser Personen selbst zu begeisterten Anhängern. Unternehmen und Führungskräfte, die so arbeiten, setzen auf Vorbildverhalten, charismatische Führung, ambitionierte und emotionalisierte Visionen, Ideologisierung der Mitarbeiter und eine grundlegende Veränderung des Denkens der Geführten Personen. Einfach ausgedrückt eben eine Transformation. Unschwer kann man im Hintergrund dieses Ansatzes die Theorie Y als Menschenbild erkennen.

Was würde man an seinem Modell nach heutiger Sicht ändern, ergänzen und verbessern?

McGregor hat sein Modell ursprünglich als Gegensätze konzipiert. Entweder eine Führungskraft geht von Theorie X aus – oder sie geht von Theorie Y aus. Man sollte die X-Y-Theorie aber nach heutigem Stand besser als Kontinuum betrachten. Dabei finden sich auf einer Seite des Extrems Führungskräfte, die Theorie X annehmen. Auf der anderen Seite stehen Führungskräfte mit entgegengesetzten Annahmen, die zusammengenommen als Theorie Y bezeichnet werden.

In der Praxis zeichnet sich sogar eine noch radikalere Erweiterung ab: Theorie X und Theorie Y sind überhaupt keine Gegensätze – beide lassen sich wunderbar gleichzeitig anwenden. So kann man Mitarbeiter gleichzeitig mit Komponenten der Theorie X führen (wie etwa klaren Zielen, Messung der Leistung und materiellen Anreizen) und mit Komponenten der Theorie Y (beispielsweise Freiraum bei der Arbeit, Ideologie und Sinnhaftigkeit bei der Tätigkeit). Ja es zeigt sich sogar, dass diese Kombination der wirksamste Ansatz in der Praxis ist (Wang et al., 2011). Eine entweder-oder Perspektive ist überholt, sogar schädlich (Schriesheim et al., 2006).

Fazit: Beide Ansätze der Führung kann und sollte man kombinieren, um die volle Wirkung zu erreichen. Je nach Situation, gilt es dabei den Schwerpunkt auf den ein oder anderen Ansatz zu legen. Insgesamt erfordert transformationale Führung einen geringeren Aufwand bei der Implementierung, wirkt breiter und sofort in neuen Verhaltensbereichen.

Der nächste Abschnitt zeigt, wie man nach heutiger Sicht die X-Y Theorie anwenden kann.

Anwendung der X-Y-Theorie

Wie kann man die X-Y-Theorie aus heutiger Sicht anwenden? Das verrät uns Forschung aus der Motivationspsychologie – konkret die Forschung zu intrinsischer und extrinsischer Motivation. Warum hilft uns diese Forschung?

Extrinsische Motivation für ein Verhalten stammt aus der Wirkung von Ergebnissen außerhalb des Verhaltens selbst oder der Erwartung dieser Wirkung. Diese Ergebnisse wirken dann als positive (Verstärkung) oder negative (Bestrafung) Anreize. Man kann diesen Motivationsansatz, der auf klare Konsequenzen außerhalb des Verhaltens wie Geld oder Beförderungen baut, unschwer der Theorie X zuordnen. Intrinsische Motivation für ein Verhalten stammt aus dem Erleben des Verhaltens selbst oder der Erwartung dieses Erlebens. Dieser Ansatz der Motivation baut auf die Gestaltung von Arbeit selbst, etwa Abwechslung und Sinnerleben. Ein Menschenbild nach Theorie Y wird diesen Ansatz verfolgen.

Ähnlich wie bei der Forschung zu transaktionaler und transformationaler Führung hat sich auch hier gezeigt: Extrinsische und intrinsische Motivation haben verschiedene Einsatzschwerpunkte bei der Mitarbeiterführung und können sich sinnvoll ergänzen (Cerasoli, Nicklin und Ford, 2014).

  • Wann sollte man Theorie X anwenden? Extrinsische Motivation (Anwendung der Theorie X) hat statistisch eine umso stärkere Bedeutung, je einfacher und strukturierter Tätigkeiten sind. Hier lässt sich auch am besten Leistung definieren, messen und incentivieren. Bei diesen Tätigkeiten wird man daher extrinsische Anreize einsetzen.
    Bei anspruchsvollen, komplexen Aufgaben, bei denen Mitarbeiter viel Freiraum bzw. Eigenverantwortung haben, ist der Zusammenhang mit der Leistung positiv aber schwach. Das kann auch daran liegen, dass es hier eben meist nicht sinnvoll gelungen ist, Leistung zu definieren und zu messen. Die Voraussetzung ist also, Leistung sinnvoll zu definieren und messbar zu machen – dann kann man gut extrinsische Anreize einsetzen. Wo das nicht gelingt, sollte man sich diesen Aufwand und die Kosten sparen.
  • Wann sollte man Theorie Y anwenden? Intrinsische Motivation (Anwendung der Theorie Y) ist statistisch am bedeutsamsten bei anspruchsvollen, komplexen Aufgaben, bei denen Mitarbeiter viel Freiraum bzw. Eigenverantwortung haben. Die Steuerung von innen ist hier auch besonders wichtig, da man von außen nur schwer Leistung messen und belohnen kann. Dass diese Art von Tätigkeiten zunimmt (durch Automatisierung und Verlagerung in Niedriglohnländer), fördert die Bedeutung von intrinsischer Motivation weiter.
    Aber auch bei wenig anspruchsvollen, gut strukturierten Tätigkeiten zeigt sich immer noch ein bedeutender Zusammenhang mit der Arbeitsleistung. Geht es darum, Mitarbeiter zu motivieren, wird man also immer auf intrinsische Motivation achten.

Im letzten Abschnitt gibt es Literaturhinweise zur weiteren Vertiefung.

Führungstheorien: Literatur

Aktuelle Literatur-Tipps zu Führungstheorien.

Nicht nur die Menschenbilder sind entscheidend für den Erfolg von Führungskräften. Die psychologische Führungsforschung hat mittlerweile zahlreiche Eigenschaften identifiziert, die mit dem Führungserfolg zusammenhängen. Um diese Eigenschaften geht es im folgenden Kapitel.