„Die erdrückende Mehrzahl der Menschen ist gänzlich unfähig, sich individuell in die Seele eines anderen zu versetzen.“ sagte der Psychoanalytiker Jung. Diese mangelnde Empathie führt zu großen Problemen im Umgang mit anderen Menschen: Unsere Entscheidungen sind immer nur so gut, wie die Annahmen zutreffen, auf deren Grundlage wir sie treffen. Deshalb sind zutreffende Menschenbilder so entscheidend. Würden wir mit einer Landkarte von Wolfratshausen in Shanghai schnell ans gewünschte Ziel kommen? Wohl nicht. Was aber, wenn unsere Annahmen nicht zutreffen, wir eine falsche „Landkarte“ benutzen? Führung findet deshalb häufig auf Basis von ungeprüften Überzeugungen, Annahmen, Vorurteilen und Stereotypen statt – unseren Menschenbildern. Das ist ein großes Risiko. Und auch noch so falsche Menschenbilder sind hartnäckig: Albert Einstein hat dazu treffend gesagt: „Es ist schwieriger, eine vorgefasste Meinung zu zertrümmern als ein Atom.“ Wir geben die „falsche Landkarte“ daher nur äußerst ungerne aus der Hand.
Dieses Kapitel behandelt das Menschenbild bei Führungskräften: Es zeigt die Psychologie und Bedeutung und liefert eine Definition. Der Beitrag schildert Beispiele und zahlreiche Tipps beschreiben den erfolgreichen Umgang mit unseren Vorstellungen über Mitmenschen. Es geht um folgende Fragen: Was ist ein Menschenbild? Welche Menschenbilder gibt es? Welche Risiken entstehen daraus bei der Mitarbeiterführung? Warum halten sich derartige Vorurteile so hartnäckig? Wie können wir an unseren Menschenbildern arbeiten, diese zutreffender machen?
Autor: Diplompsychologe Professor Dr. Florian Becker
In diesem Beitrag:
Menschenbild: Definition und Bedeutung
Was ist ein Menschenbild? Jeder Mensch versucht regelmäßig, das Verhalten anderer Personen zu erklären, vorherzusagen und zu beeinflussen. Wem vertrauen wir Informationen an, wem lieber nicht? Wem sollte man etwas leihen? Wen wollen wir als Freund, wen lieber nicht? Dabei verlassen sich Menschen mehr oder weniger bewusst auf ihre Menschenbilder, ihre inneren Überzeugungen andere Menschen betreffend. Aber was ist ein Menschenbild genau, wie lautet die Definition?
Die Bedeutung der Menschenbilder ist so definiert also sehr groß, wie die Abbildung zeigt.
Unsere Menschenbilder definieren unser Verhalten anderen Menschen gegenüber und damit unseren Erfolg. Das gilt auch für Führungskräfte. Menschenbilder sind Schlüssel für erfolgreiche Führung – sofern sie zutreffen. Und genau dort liegt das Problem. Viele Personen haben hartnäckige Überzeugungen gewonnen über ihre Mitmenschen und wie diese funktionieren. An diesen lieb gewonnen Überzeugungen halten sie oft fest, egal was die Fakten sind. Das gilt auch dann noch, wenn die erhofften Ergebnisse bei der Führung ausbleiben. Sie sagen sich: „Ich habe es einfach noch nicht radikal genug probiert.“ Sie suchen Erfolg und Entwicklung durch kleine Anpassungen im Verhalten. Oft bedeutet das nur mehr vom Falschen. Friedrich Nietzsche hat das sehr schön beschrieben mit der Aussage: „Überzeugungen sind gefährlichere Feinde der Wahrheit als Lügen.“ Aber Menschenbilder sind nicht nur Feinde der Wahrheit, sie sind mitunter wesentlich gefährlicher. Im Extremfall geht es hier um Leben und Tod, wie der Schaukasten zeigt.
Nach dem zweiten Weltkrieg saugte er in Paris als Mitglied der französischen kommunistischen Partei ein Menschenbild auf, inspiriert durch Marxismus und Leninismus. Nach seiner Machtergreifung (1975) in Kambodscha, dass er „Demokratisches Kambodscha“ nannte, transformierte er das Land nach seinem Menschenbild. Seine Maßnahmen waren getrieben von der Vorstellung, dass Kommunismus nur aus einer Agrargesellschaft entstehen könne. Damit die Menschen den Kommunismus aufgreifen und akzeptieren würden, so glaubte er, müssten sie zunächst zu einer Gesellschaft aus egalitären Bauern transformiert werden. Entsprechend dieses Menschenbildes waren seine Führungsmaßnahmen:
- Millionen Menschen wurden aus den Städten auf das Land vertrieben – viele verhungerten dort, weil sie keine Ahnung von Landwirtschaft hatten.
- Geldverbot (ließ die berufliche Existenz zahlreicher Menschen zusammenbrechen)
- Alle Bürger mussten die gleiche schwarze Kleidung tragen.
- Sogenannte Feinde wurden umgebracht: Unternehmer, Professoren, Lehrer… irgendwann buddhistische Mönche (sie wurden als „soziale Parasiten“ betrachtet), Ausländer… am Ende jeder, der dem politischen Machthaber in seinem Dorf nicht gefiel (z.B. eine Brille trug oder einmal eine getragen hatte und deswegen Akademiker sein könnte)…
- Aus dem Gefühl heraus, etwas Gutes zu tun, auf der richtigen Seite zu stehen, wurden unglaubliche Akte gegen die Menschlichkeit toleriert: Parteikader exekutierten und folterten willkürlich. Inspiriert durch Menschenbilder aus dem Reich der Volksreligion aßen zahlreiche die Leber ihrer Opfer, um deren Stärke zu bekommen, rissen ungeborene Kinder aus den Leibern der Mütter und trockneten bzw. räucherten diese Föten als Talisman (kun krat).
Doch das erhoffte Ergebnis, ein kommunistisches Paradies mit glücklichen Menschen, blieb aus. Pol Pot kam dabei nie auf die Idee, dass sein Menschenbild fehlerhaft ein könnte. Er setzte an seinem Verhalten an, suchte in kleinen Anpassungen die Lösung: „Ich habe es noch nicht radikal genug probiert. Es gibt immer noch Feinde und Gegner, die unser Paradies blockieren. Wen muss ich als nächstes umbringen?“
Nach nur drei Jahren wurde das unselige Treiben dem selbst kommunistischen Nachbarland Vietnam zu viel. Sie marschierten 1978 in Kambodscha ein und setzten Pol Pot mitsamt seinem Menschenbild ab.
In nur drei Jahren hatte ein unzutreffendes, ideologisch anstatt empirisch geprägtes Menschenbild entsetzliche Wirkung entfaltet. Und genau das ist das Problem: Menschenbilder in Politik und Wirtschaft haben auch heute oft viel mehr mit Ideologie zu tun und nur sehr wenig mit Empirie bzw. Wissenschaft.
Somit zeigt die Definition: Menschenbilder wirken stark auf unser Verhalten gegenüber anderen. Insbesondere bei der Führung sind unzutreffende Menschenbilder eine zentrale Ursache für Misserfolg. Das Problem betrifft nicht nur politische Führung. Auch die Menschenbilder in der Wirtschaft sind stark durch Ideologie geprägt. Management hat auch heute noch meist viel mehr mit Überzeugungen und ideologischen Annahmen zu tun als mit Empirie und wissenschaftlicher Erkenntnis. Bei Führungskräften in Unternehmen stirbt natürlich, anders als bei politischer Führung, meist niemand wegen unzutreffender Menschenbilder – aber gesunde Unternehmen, die einen Beitrag für alle leisten scheitern, Arbeitsplätze und berufliche Existenzen verschwinden. Konsequenzen aus falschen Menschenbildern sind dann eben ein Viertel weniger Mitarbeiter, der halbe Umsatz, Verlust statt Gewinn und ein Penny-Stock als Aktie.
Fazit: Zutreffende Menschenbilder sind bei der Führung genauso entscheidend für unseren Erfolg, wie die richtige Landkarte bei einer Reise. Wer mit fehlerhaften ungeprüften Menschenbildern arbeitet, nutzt ein falsches Modell der Realität. Die Person verhält sich ähnlich wie jemand mit einer falschen Landkarte, der an ein bestimmtes Ziel möchte. Wenn wir die falsche Landkarte haben, dann können wir noch so schnell und lange laufen – wir kommen nicht ans Ziel. Ja, wir entfernen uns dann vielleicht umso weiter vom Ziel weg, je härter wir dorthin gelangen wollen. Das Problem, warum wir scheitern, ist dann nicht unser mangelnde Anstrengung. Das Problem, das uns scheitern lässt, ist ein falsches Modell der Realität. Das bedeutet für Mitarbeiterführung: Führung braucht Empirie statt Ideologie als Grundlage.
Im folgenden Abschnitt geht es um typische Menschenbilder bei Führungskräften.
Welche Menschenbilder gibt es? Beispiele
Rein beruflich müssen sich Führungskräfte intensiv mit der Vorhersage und Beeinflussung des Verhaltens anderer Menschen befassen. Nicht zuletzt bezahlt man sie dafür. Führungskräfte verhalten sich dabei nicht einfach willkürlich ihren Mitarbeitern gegenüber. Sie lassen sich von ihren Menschenbildern leiten und verwenden dabei, oft wenig bewusst, Annahmen, die auf den ersten Blick auch vernünftig erscheinen. Hier einige Beispiele:
- „Glückliche Kühe (d.h. Mitarbeiter) geben mehr Milch!“
- „Motivation geht in erster Linie über Geld. Mehr Gehalt führt zu mehr Leistung!“
- „Teams treffen bessere Entscheidungen als Einzelpersonen! Zwei Köpfe sind klüger als einer.“
- „Frauen/Männer sind bessere Führungskräfte!“
- „Ältere Mitarbeiter sind nicht mehr lernfähig und deshalb nicht entwickelbar.“
In der Wissenschaft bezeichnet man das als alltagspsychologische Annahmen. Auffällig ist, dass sich solche intuitiven Annahmen oft widersprechen. So mag die eine Führungskraft annehmen: „Freiraum führt zu mehr Leistung, man muss die Mitarbeiter atmen lassen!“ Eine andere Führungskraft dagegen hat vielleicht das Prinzip: „Freiraum führt zu Faulheit, man muss Mitarbeiter eng führen und kontrollieren!“ Vielleicht sind sogar beide Führungskräfte erfolgreich in ihrem Bereich, was bei beiden das Menschenbild noch weiter festigen wird.
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Ähnliche alltagspsychologische Annahmen werden oftmals auch auf Kunden bezogen: „Preissenkungen führen dazu, dass ein Angebot attraktiver wird, und damit zu mehr Absatz!“ oder „Mehr Auswahl führt dazu, dass jeder findet, was seinen Bedürfnissen am besten entspricht. Mit mehr Auswahl verkauft man mehr!“ sind zwei Beispiele für laienpsychologische Annahmen, die von einem rationalen Menschenbild ausgehen.
Auch sämtliche sozialen Stereotype bzw. Vorurteile gehören zu den alltagspsychologischen Annahmen: Frauen und mathematische Kompetenzen, Südländer und Arbeitsmotivation usw.
All diesen Beispielen ist gemeinsam, dass Verhalten gegenüber anderen Menschen gezeigt wird – auf Basis von mehr oder minder bewussten, vollkommen ungestützten Annahmen über diese Personen.
Die Risiken durch unzutreffende Menschenbilder liegen damit auf der Hand. Diese Risiken sind das Thema des nächsten Abschnitts.
Menschenbilder: Risiken
Welche Risiken entstehen durch die Menschenbilder der Führungskräfte? Wo liegt das Problem bei der unreflektierten Verwendung alltagspsychologischer Menschenbilder? Die Menschenbilder beeinflussen also deutlich das Verhalten einer Führungskraft. Die Erfahrung zeigt, dass oft auf den ersten Blick überzeugende Ideen bei näherer Betrachtung gravierende Nachteile haben.
Bei genauerer Untersuchung sind Menschenbilder oft nicht nur undifferenziert – weit verbreitete und akzeptierte Annahmen können sich bei wissenschaftlicher Überprüfung sogar als komplett falsch herausstellen. Ob die Ansätze und Maßnahmen dann funktionieren, ist somit eher Zufall. Und darin liegt auch die große Gefahr für den Erfolg: Entscheidungen von Führungskräften auf Basis ungeprüfter Menschenbilder sind oft suboptimal. Mitunter bekommen hunderttausende an Mitarbeitern die Konsequenzen falscher Annahmen bei der Führung zu spüren, wenn es sich etwa um einen CEO eines großen Unternehmens handelt. Falsche Menschenbilder wirken sich aus, wie eine fehlerhafte Landkarte, wenn wir zu einem Ort wollen. Wir kämpfen uns scheinbar zu einem Ziel voran – doch wir entfernen uns in Wahrheit im schlimmsten Fall sogar immer weiter weg davon. Wir laufen schnell – aber in die falsche Richtung.
Da auch soziale Stereotype und Vorurteile zu den Menschenbildern gehören, eröffnet sich hier ein weiteres Risiko für schlechte Entscheidungen. So werden nach wie vor unbewusst Menschen für Führungspositionen ausgewählt, die groß sind (z.B. Hensley, 1993; Judge und Cable, 2004) und tiefe Stimmen (Tigue et al., 2012; Klofstad, 2016) haben. Menschen mit femininen Merkmalen wird hier hingegen weniger Kompetenz zugeschrieben (Lord, De Vader und Alliger, 1986). Einerseits ist das für die betroffenen Menschen ungerecht. Andererseits verspielen Unternehmen wertvolle Chancen, wenn Personalentscheidungen und Führung auf Basis von nicht validierten Vorurteilen und Stereotypen geschieht.
Gerade wenn Führungskräfte eher pessimistische Annahmen über ihre Mitarbeiter haben, besteht die Gefahr einer negativen sich selbst erfüllenden Prophezeiung. Mitarbeiter entwickeln sich dann genau in die Richtung, die von der Führungskraft befürchtet wird. Der nächste Abschnitt zeigt daher wie Menschenbilder wirken und sich dabei immer wieder selbst bestätigen.
Menschenbilder bestätigen sich selbst
Bei Menschenbildern gibt es einen interessanten Effekt: Sie führen oft dazu, dass sie sich selbst bestätigen (Rosenthal und Babad, 1985; Eden, 1990). Dieses Phänomen hat man mit vielen Begriffen bezeichnet als Rosenthal-Effekt, Pygmailion-Effekt oder auch Selbsterfüllende Prophezeiung. Wie funktioniert das konkret?
Ein Beispiel: Eine Mutter entwickelt die Überzeugung, ihr Sohn sei wenig begabt. Entsprechend diesem Menschenbild wird die Mutter sich verhalten: Der Sohn bekommt weniger herausfordernde Aufgaben, darf nicht viel selbst entscheiden, seine Entscheidungen werden hinterfragt und kontrolliert und er bekommt weniger Lob. Als Konsequenz entwickelt der Sohn ein geringeres Selbstvertrauen und hat weniger Möglichkeiten, Erfahrungen zu sammeln und Kompetenzen zu erwerben. Entsprechend wird der Sohn in seinem Verhalten weniger erfolgreich und kompetent sein. Die Mutter, die das beobachtet, wiederum wird in ihrem Menschenbild gefestigt und sich noch intensiver in diese Richtung verhalten. Ein perfekter Teufelskreis, der dazu führt, dass der Sohn tatsächlich wenig begabt wird und sich immer mehr in diese ungünstige Richtung entwickelt.
Dieses Beispiel lässt sich ohne weiteres auf die Führung von Mitarbeitern übertragen. Es ist klar, worauf es hinausläuft, wenn eine Führungskraft die Überzeugung entwickelt hat „Meine Mitarbeiter sind unfähige Idioten, man sollte mir Schmerzensgeld zahlen, damit ich ihnen beim Arbeiten zusehe, lieber mache ich es selbst, dann habe ich weniger Arbeit!”. Diese Führungskraft wird am Ende alle ihre Mitarbeiter tatsächlich zu unselbständigen Idioten entwickelt haben – nicht zuletzt auch weil die kompetenteren Mitarbeiter gegangen sind.
Wie genau läuft der Prozess aus wissenschaftlicher Sicht ab? Die Schritte in diesem Prozess sind immer die selben:
- Menschenbild der Person A
Person A hat Überzeugungen über Person B entwickelt. - Verhalten der Person A
Entsprechend dieses Menschenbildes verhält sich Person A gegenüber Person B. - Selbstbild und Eigenschaften der Person B
Dieses Verhalten beeinflusst bei Person B das Selbstbild und die Eigenschaften, häufig in Richtung der Erwartungen von Person A. - Verhalten der Person B
Person B verändert ihr Verhalten in Richtung der Überzeugungen von Person A.
Und hier schließt sich der Kreis: Person A nimmt das Verhalten wahr und interpretiert es wieder in Richtung ihres Menschenbildes. Ihr Bild über Person B festigt sich. Und so geht es immer weiter. Es sei denn die inneren Menschenbilder und ihre Auswirkungen werden der Person A bewusst und sie ändert Einstellung und Verhalten.
Es handelt sich also um einen sich selbst stabilisierenden Kreislauf, der dazu führt, dass Menschen sich tatsächlich in die Richtung entwickeln, wie sie von anderen wahrgenommen werden. Das kann in eine positive (Engelskreis) oder in eine negative Richtung (Teufelskreis) gehen. Diesen Effekt hat man unter anderem gefunden bei Schulkindern, Patienten, Mitarbeitern, Sportlern – und sogar bei Liebesbeziehungen (Downey et al., 1998). Er wirkt offenbar robust und bereichsübergreifend. Man bekommt, was man erwartet.
- Am Beginn einer Beziehung sollte man starten mit einem Menschenbild, das geprägt ist von Vertrauen, Glaube an die Fähigkeiten und Motivation des Mitarbeiters und Wertschätzung. Diese innere Haltung spüren Mitarbeiter und entwickeln sich eher in diese Richtung.
- Zudem können wir so bessere Beziehungen zu Mitarbeitern aufbauen. Eine wichtige Basis für die Führung.
- Natürlich darf man nicht blindlings an diesem Bild festhalten, wenn der Mitarbeiter sich deutlich entgegengesetzt verhält. Die Chance für einen guten Start ist es aber meist wert, einen Vertrauensvorschuss zu geben. Der Trick beim Vertrauensvorschuss ist, dass es eben nur ein Schuss ist – ein bisschen mehr also als man eigentlich für angemessen hält.
- Menschenbilder sollten also immer etwas (aber nur etwas) positiver sein, als eigentlich objektiv gerechtfertigt. Wir sollten unsere Mitarbeiter immer als ein wenig kompetenter, selbständiger, vertrauenswürdiger behandeln als diese tatsächlich sind. So entwickeln wir diese Menschen in die gewünschte Richtung.
Dass Menschenbilder sich selbst bestätigen ist einer der Gründe, warum sie sich hartnäckig halten. Aber es ist nicht der einzige Grund, warum sich diese Bilder halten. Dazu der nächste Abschnitt.
Warum falsche Menschenbilder sich hartnäckig halten
Menschen halten oft erstaunlich hartnäckig an falschen Menschenbildern fest. Das hat mehrere Gründe. So lassen sich psychologische Vorgänge nicht direkt beobachten, so wird nicht gleich offensichtlich, dass man von falschen Annahmen ausgeht. Menschenbilder erscheinen auf den ersten Blick auch oft plausibel und logisch. Zudem, das hat der vorangehende Abschnitt gezeigt, werden Menschen tatsächlich zu dem, was wir in ihnen sehen (die sich selbst erfüllende Prophezeiung) – vorausgesetzt wir haben genug Zeit mit ihnen gemeinsam. Das gibt uns im Nachhinein scheinbar Recht und bestätigt die Menschenbilder. Es gibt aber noch weitere Gründe.
Eine weitere Ursache, warum sich Menschenbilder erhalten ist selektive Wahrnehmung. Menschen nehmen das wahr, was sie erwarten, andere Dinge blenden sie gerne aus. Das sieht man wunderbar mit Kippbildern, die verschiedene Dinge zeigen können – etwa einen Mann oder eine Ratte. Wer vorher eine Reihe von Bildern mit Menschen gesehen hat, wird eher einen Mann sehen – wer vorher eine Reihe von Bildern mit Tieren gesehen hat wird eher eine Ratte wahrnehmen. Was mit solchen Beispielen unterhaltsam gezeigt wird, hat ernste Auswirkungen auf alltagspsychologische Überzeugungen. Wer Annahmen wie z.B. Vorurteile gegenüber anderen Menschen hat, wird selektiv Informationen verarbeiten, die diese Annahmen unterstützen (entsprechend der Erwartungen) – gegenteilige Informationen werden ausgeblendet oder anders interpretiert. Auch das führt dazu, dass sich Überzeugungen und Meinungen zur Psychologie von anderen subjektiv immer wieder zu bestätigen scheinen.
Vielleicht der wichtigste Grund für das Klammern an Menschenbildern ist die Kompetenzillusion bei psychologischen Fragestellungen und, damit einhergehend, die Weigerung sich mit Forschung und Expertenwissen auseinanderzusetzen. Die selben Menschen, die auf die Frage, wie ein Mikroprozessor funktioniert, keine Antwort kennen und somit vernünftigerweise auch nichts sagen, zögern nicht, sofort das Verhalten von Mitmenschen spontan und mit größter Überzeugung zu „erklären“ und diese „Erklärungen“ jahrelang voller Überzeugung einzusetzen. Dazu gehört auch der Hindsight Bias (z.B. Christensen-Szalanski und Willham, 1991). Dieser beschreibt, dass Menschen oft im Nachhinein, wenn ein Ergebnis da ist und die Ursachen klar sind, die Illusion haben „es schon immer gewusst zu haben“ nach dem Motto: „War doch klar, dass der Neue Markt kollabieren musste, er war vollkommen überbewertet!“. Dass die selben schlauen Personen es natürlich im Vornherein versäumt haben, Put-Optionen auf die Marktentwicklung zu kaufen und damit reich zu werden, versteht sich von selbst. Diesem Phänomen sind auch Forschungsergebnisse der Wirtschaftspsychologie oft ausgesetzt. „Karriere hängt zu großen Teilen an irrationalen Faktoren wie Networking, Körpergröße und tiefen Stimmen? Hat doch schon meine Oma immer gewusst.“ – so oder so ähnlich sehen Reaktionen auf wirtschaftspsychologische Forschung oft aus. Interessant wird es, wenn man Menschen nicht ein Ergebnis präsentiert, sondern sie das Ergebnis im Vornherein schätzen lässt oder sogar das Gegenteil verkündet. Dann liegen sie meist weit neben dem empirischen Ergebnis und stimmen dem Gegenteil auch zu. „Karriere hängt zu großen Teilen an der Arbeitsleistung? Hat doch schon meine Oma immer gewusst: Früh aufstehen und hart arbeiten!“
Der letzte Abschnitt liefert die entscheidenden Tipps – nicht zuletzt, um die Risiken von Menschenbildern zu vermeiden.
Tipps zu Führung und Menschenbildern
Es folgt eine Zusammenstellung der wesentlichen Tipps zu Führung und Menschenbildern.
Im nächsten Kapitel stehen Theorie X und Theorie Y als Beispiel für Menschenbilder in der Führung im Mittelpunkt.