Nach einer Weile bilden sich in Gruppen bestimmte soziale Rollen für die Mitglieder heraus. Diese Rollen prägen die Gruppendynamik in jedem Arbeitsteam: Aufgabenteilung, Interaktion und Kommunikation, Konflikt und Leistung. Und erst diese Rollen machen ein Team aufgabenteilig und handlungsfähig – wenn es gut läuft. Idealerweise sind dann alle wichtigen Rollen für den Teamerfolg gut besetzt. Jedes Gruppenmitglied identifiziert sich mit seiner Teamrolle und kümmert sich darum. Oft läuft es aber nicht gut: Mitglieder einer Gruppe machen dann was sie wollen, Verantwortungen sind unklar und wichtige Funktionen bleiben unbesetzt.
Dieser Beitrag gibt eine Definition für soziale Rolle, zeigt ihre Merkmale und diskutiert warum und wie verschiedene Rollen in Gruppen entstehen. Er stellt die unterschiedlichen Arten von sozialen Rollen vor und beschreibt die Bedeutung von Status und Hierarchie in Gruppen und Teams.
Autor: Diplompsychologe Professor Dr. Florian Becker
In diesem Beitrag:
Soziale Rolle: Definition
Was ist eines soziale Rolle? Es gilt folgende Definition:
Die Zuordnung der sozialen Rollen kann nach dieser Definition explizit geschehen, etwa indem man offen darüber redet oder eine Führungskraft sie zuteilt – etwa die soziale Rolle „Projektleiter“. Mangelnde Leistung ist dann das Resultat, wenn Führungskräfte Personen den falschen Rollen zuweisen, für die sie wenig Kompetenz mitbringen (Morgeson, DeRue und Karam, 2010). Oft entstehen diese Rollen aber implizit von selbst aus der Gruppendynamik. Menschen haben dann auf einmal einen bestimmten Verhaltensbereich, den sie abdecken, zeigen ein charakteristisches Verhaltensmuster. Ein simples Beispiel – jemand wechselt einmal den Toner für den Drucker im Büro. Irgendwann wird das zur Selbstverständlichkeit, er macht das dann immer, es wird sogar von ihm erwartet. Er hat jetzt diese soziale Rolle, ist zum „Tonerbeauftragten“ geworden. Eine andere typische Rolle, die oft von sich aus emergiert ist „der Spezialist“. Jemand hat bereits gewisse Kompetenzen und Interessen in einem Feld, bekommt immer mehr Zustimmung und sozialen Status als Experte, vertieft sein Wissen weiter und festigt seine soziale Rolle als Spezialist für ein bestimmtes Thema.
Merkmale sozialer Rollen
So wie der Begriff soziale Rolle definiert ist, leiten sich Merkmale sozialer Rollen ab:
- Bewusstsein. In der Regel sind sich diese Person und die anderen Gruppenmitglieder über die Rolle bewusst.
- Identifikation. Die betreffende Person sieht die Rolle als ihre Pflicht, identifiziert sich damit, definiert sich selbst anhand der sozialen Rolle.
- Erwartung. Die anderen Gruppenmitglieder erwarten, dass die Person ihre soziale Rolle verantwortlich ausfüllt.
Aber es gibt auch Abweichungen von dieser heilen Welt. Entlang der Merkmale von sozialen Rollen sind auch Rollenkonflikte vorprogrammiert.
Rollenkonflikte
Die Definition für soziale Rollen weist auch auf mögliche Rollenkonflikte hin:
- Mangelnde Akzeptanz. Ein Gruppenmitglied zeigt eine Rolle, die andere ihm nicht zugestehen. Beispielsweise möchte ein Teammitglied eine dominante Position einnehmen, was die anderen in der Gruppe nicht akzeptieren. Oder jemand zeigt Verhaltensweisen, die in der Kultur nicht in seiner Rolle akzeptiert sind. Etwa in der Rolle als Mädchen oder in der Rolle als Führungskraft.
- Mangelnde Identifikation. Jemand identifiziert sich nicht mit der Rolle, die andere von ihn erwarten. So kann es beispielsweise sein, dass familiäre und kulturelle Erwartungen jemanden in eine Rolle drängen, etwa „der Familienernährer“, „die moderne Führungskraft“, „die Hausfrau“, „der Anführer“ oder „der Kranke“. Ein Rollenkonflikt ist vorprogrammiert.
- Mangelnde Leistung. Das Verhalten einer Person bleibt hinter den eigenen und fremden Erwartungen an die Rolle zurück. Zum Beispiel stellt ein Team jemanden auf, um das Team nach außen zu repräsentieren: Etwa eine Spitzenkandidatin für den Wahlkampf. Treten dann Fehler und Defizite im Verhalten auf, führt das zu einer Kluft zwischen Erwartungen und Realität. Es entsteht ein Rollenkonflikt zwischen dem Verhalten und den Ergebnissen einer Person und den Erwartungen der Gruppe andererseits.
Wenden wir nach den Rollenkonflikten den Blick ganz konkret auf die Entstehung. Warum entstehen überhaupt soziale Rollen in Gruppen? Dazu der nächste Abschnitt.
Soziale Rollen: Wie sie entstehen
Gruppenmitglieder verhalten sich nicht alle gleich. Sie haben bestimmte soziale Rollen. Die einzelnen Gruppenrollen entstehen letztendlich aus verschiedenen Einflüssen:
- Einerseits bedingt die übergeordnete Aufgabe, welche Rollen überhaupt erforderlich sind. Bei einer professionellen Fußballmannschaft ist die übergeordnete Aufgabe, Spiele zu gewinnen. Die Aufstellung am Spielfeld und die Taktik des Trainers weist einzelnen Spielern klare Rollen zu. Durch die klare Aufgabenteilung können Teams effektiv werden, da jeder dann macht, was er wirklich kann. So hat ein Teammitglied beispielsweise die Rolle, Freistöße zu schießen.
- Auch der Kontext, in dem eine Gruppe handelt, bestimmt die Rollen – etwa indem bestimmte Vorschriften für Rollen bestehen. So wird eine Fußballmannschaft einfach die Rolle eines Kapitäns vergeben müssen, weil dies so vorgesehen ist. In Unternehmen gibt es ebenfalls viele Vorschriften für bestimmte Rollen: Datenschutzbeauftragte, Gleichstellungsbeauftragte usw.
- In jeder sozialen Gruppe gibt es Normen, die das Verhalten regeln. Normen definieren, welches Verhalten Zustimmung findet und belohnt wird und welches Verhalten abgelehnt wird. Je nach diesen Normen sind auch bestimmt Rollen vorgesehen.
- Schließlich gibt es Einflüsse, die in der Persönlichkeit und Person der einzelnen Gruppenmitglieder liegen. Je nach Kompetenzen und Motiven werden diese bestimmte Rollen anstreben und dafür geeignet sein – oder eben nicht. So wird ein extrovertierter Spieler mit sehr hohem Dominanzstreben und entsprechendem Status für die Rolle als Kapitän geeigneter sein als ein introvertierter Spieler ohne Status in der Mannschaft.
Welche Arten von sozialen Rollen gibt es in sozialen Gruppen?
Soziale Rollen: Welche Arten es gibt
Besonders fruchtbar für die Frage nach Arten sozialer Rollen in Gruppen ist die Forschung zu Teamrollen. Hier gibt es die verschiedensten Ansätze. Teilweise werden hier neun Rollen und mehr unterschieden, was relativ unübersichtlich wird. Am bekanntesten ist sicher der Ansatz der neun Teamrollen von Meredith Belbin (Belbin, 2012). Fasst man die verschiedenen Ansätze zusammen, dann kommt man grob zu drei übergeordneten sozialen Rollen, die man in verschiedenen Gruppen finden kann, egal ob es ein Sportteam, eine Familie oder ein Arbeitsteam ist.
Diese drei Arten von Rollen sind fast immer vorhanden:
In den genannten drei Kategorien für soziale Rollen in Gruppen spiegeln sich auch wichtige Voraussetzungen für Teamleistung wieder: Die Aufgabe (wird durch aufgabenorientierte Rollen angesprochen), das Team (wird durch teamorientierte Rollen gepflegt) und das Umfeld (wird von politischen Rollen gestaltet). Eine gute und ausgewogene Rollenverteilung ist daher eine Grundvoraussetzung für die Leistungsfähigkeit jeder sozialen Gruppe.
- Damit ein Team erfolgreich ist, empfiehlt sich bei der Rollenverteilung eine Mischung aus den oben angeführten Kategorien. Achten Sie darauf, dass Personen mit den entsprechenden Voraussetzungen für die drei Arten von Rollen in den Teams sind.
- Natürlich kann ein Teammitglied mehrere Rollen bekleiden und hat selbstverständlich auch Rollen außerhalb des Teams – etwa als Familienvater. In diesem Zusammenhang ist es wichtig Rollenkonflikte möglichst gering zu halten.
Nicht nur innerhalb einer Person können Rollen zu Konflikt (intrapersoneller Konflikt) führen. Auch zwischen den Personen in Teams kann wegen unklarer Rollen (Rollenambiguität) und damit unklaren Zuständigkeiten Konflikt entstehen. Man spricht dann von interpersonellem Konflikt. - Entsprechend sind Rollen und Rollenerwartungen möglichst klar im Team festzulegen. Rollenerwartungen bezeichnen die Erwartungen, die andere an das Verhalten einer Person in einer gewissen Position haben. Diese Erwartungen sollten idealerweise auch der subjektiven Rollenwahrnehmung der betroffenen Person entsprechen. Decken sich Rollenerwartung der anderen Mitglieder und Rollenwahrnehmung des einzelnen Mitgliedes nicht, dann ist Konflikt sehr wahrscheinlich.
- Drei Rollen hört sich doch wenig an. Braucht man da nicht mehr verschiedene zur Abgrenzung? Nein. Die drei übergeordneten Rollen reichen gut aus, denn sie beschreiben die wichtigen Handlungsbereiche in der Teamarbeit – Aufgabe, das Team selbst, Politik. Man kann dann innerhalb der Rollen noch Nuancen bilden und weiter ausdifferenzieren – etwa, dass jemand mit einer teamorientierten Rolle sich vor allem um die Entwicklung und das Lernen der Mitglieder kümmert.
- In der Praxis kommt es teilweise gut an, wenn Beratungen und Trainingsinstitute inflationär mit Teamrollen umgehen nach dem Motto: „Die neunzehn Rollen in Teams!“ Der nächste kommt dann um die Ecke mit 25 Rollen in Teams. Das stiftet keinen Mehrwert, schafft nur Verwirrung, ist nicht wissenschaftlich. Lassen Sie sich davon nicht anstecken und verwirren. Es macht einfach keinen Sinn zu sagen „Ah, da hat jemand pünktlich seine Arbeit geliefert, der hat die Rolle des Perfektionisten!“ oder „Da hat jemand was getan, das ist ein Umsetzer!“ Wer genauer hinsieht, der merkt auch schnell, dass dort oft Persönlichkeitsmerkmale von Menschen mit Rollen in Teams gemischt und verwechselt werden.
Eng mit den Rollen verknüpft ist der Status der Teammitglieder. Diesen Aspekt in Teams schildert der nächste Abschnitt.
Status in sozialen Gruppen: Rollen als Hierarchie
Wie ist sozialer Status definiert?
Hier sind also zwei Ebenen zu unterscheiden:
Einmal kann der Status des gesamten Teams betrachtet werden. Wie schon das Kapitel zu Gruppenkohäsion beschrieben hat, ist ein hoher Status der Gesamtgruppe günstig, denn er schweißt ein Team zusammen, fördert dessen Zusammenhalt und Teamgeist. Zudem fällt es Team mit hohem Status wesentlich leichter, die besten Mitglieder zu gewinnen und zu binden. Entsprechend ratsam ist es, den Status von Teams zu erhöhen. Dies lässt sich in Form von Anerkennung oder besonderer Herausstellung der Leistungen und Verdienste umsetzen. Ebenso zielführend ist es, den Zugang zum Team zu erschweren, eine „Elite-Aura“ zu schaffen.
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Darüber hinaus ist auch der Status von einzelnen Mitgliedern innerhalb des Teams von Bedeutung. Das hat mehrere ganz konkrete Auswirkungen:
- Je höher der Status eines Teammitglieds ist, desto größer ist auch die Toleranz für Abweichungen desjenigen von den sozialen Normen und Regeln der Gruppe. So findet man beispielsweise bei Normen zum äußeren Erscheinungsbild nicht selten, dass besonders angesehene Manager oder auch Wissenschaftler sich im äußeren Erscheinungsbild Abweichungen erlauben können, die bei anderen Personen im Team nicht toleriert werden würden.
- Je höher der Status eines Mitglieds im Team ist, desto größer ist auch sein Einfluss bei Entscheidungen und der Gestaltung von Normen.
Der Schaukasten leitet aus diesen Erkenntnissen zu sozialem Status in Gruppen Tipps für die Praxis ab.
Dem Mitglied mit dem höchsten Status in Gruppen kommt eine besondere Bedeutung zu:
- Einmal können Teammitglieder mit hohem Status als eine Art Medizin bei Gruppen eingesetzt werden, wenn die Normen und das Verhalten einer Gruppe vom wünschenswerten abweichen. Ranghohe Gruppenmitglieder gehen mit gutem Beispiel voran und die anderen Gruppenmitglieder folgen dem neuen Verhalten.
- Ein weiterer Aspekt ist, dass gerade durch Interventionen – etwa durch Trainings – bei den Mitgliedern mit hohem Status besonders viel erreicht werden kann. Diese bieten anderen Gruppenmitgliedern als Vorbilder Orientierung. Sie wirken als Leuchttürme und Multiplikatoren.
- Auch als Agenten für Veränderung und Change-Management eignen sich statushohe Mitglieder gut. Die soziale Toleranz für neue Wege ist größer und die Nachahmung durch das soziale Umfeld ebenfalls wahrscheinlicher.
- Konsequenterweise sollten natürlich bei der Auswahl von Führungskräften Personen mit hohem Status besonders berücksichtigt werden. Diese können leichter das Verhalten der Teams beeinflussen, führen als Vorbild.
- Der Status von Personen in der Gruppe und die formelle Position im Organisationsplan sollten sich decken, damit es nicht zu Wahrnehmungen von Ungleichgewicht kommt. Ansonsten gibt es die Gaffer, dass die Gruppe ihre Führungskräfte nicht akzeptiert und dass auf der anderen Seite informelle Führungskräfte entstehen, die Einfluss haben und entfalten, obwohl sie nicht als Führungskräfte vorgesehen sind.
Der letzte Abschnitt gibt Literaturhinweise zur weiteren Vertiefung.
Soziale Rollen: Literatur
Aktuelle Literatur-Tipps zu sozialen Rollen.
- Preyer, Gerhard (Autor)
Wo Menschen gemeinsam in Gruppen arbeiten, ist über kurz oder lange auch das Thema Konflikt auf der Tagesordnung. Die nächsten Kapitel befassen sich daher mit Konflikt in Teams.