Formelle Gruppe und informelle Gruppe

Unternehmen planen Teams und Teamarbeit. Nur entspricht die Realität selten dem Plan: Vielleicht ist ein Teamleiter gar nicht als solcher akzeptiert und wahrgenommen? Vielleicht fühlt sich ein Team gar nicht als solches – oder es zerfällt in Teilgruppen? Das ist die Welt der informellen Gruppen.
Dieses Kapitel gibt Einblick in dieses Konzept der Psychologie und Soziologie. Es definiert und beschreibt, was eine formelle Gruppe ist und was eine informelle Gruppe ist. Es zeigt die Nachteile, wenn man sich nicht um informelle Strukturen kümmert. Und es beschreibt am Beispiel, mit welchen Maßnahmen Führungskräfte ansetzen können, um ihre Teams vor den Risiken zu schützen.

Autor: Diplompsychologe Professor Dr. Florian Becker

Informelle Gruppe: Nicht immer entspricht die Realität dem Plan – insbesondere bei der Teamarbeit
Informelle Gruppe: Nicht immer entspricht die Realität dem Plan – insbesondere bei der Teamarbeit

Formelle Gruppe: Definition

Die Formalität von Gruppen hat auch die Aufmerksamkeit der Psychologie geweckt (Muti, 1968; Daniel, 2018). Damit ist gemeint, wie sehr Gruppen den von der Organisation geplanten Strukturen entsprechen. Was ist eine formelle Gruppe? Es gilt folgende Definition:

Formelle Gruppe ist eine Gruppe, die dem entspricht, was in der Organisation vorgesehen und offiziell beabsichtigt ist.

Diese Definition für formelle Gruppe beinhaltet in Organisationen meist Merkmale wie z.B. die Mitglieder, die Aufgaben, die Rollverteilung und die Hierarchie. Es ist eine Gruppe wie diese auf dem „Papier“ im Organigramm geplant und vorgesehen ist. Kurz: Der Soll-Zustand einer Gruppe aus Sicht eines Unternehmens. Doch die Realität kann von diesem geplanten Soll-Zustand massiv abweichen.

Informelle Gruppe: Definition

Kommen wir vom Plan zur Realität. Was ist eine informelle Gruppe? Die Definition:

Informelle Gruppe ist eine Gruppe, die nicht im Organisationsplan vorgesehen ist oder deren Merkmale von den vorgesehenen Merkmalen abweichen.

Informelle Gruppen sind also der Ist-Zustand von Gruppen und Teams in einer Organisation (z.B. Carnabuci, Emery und Brinberg, 2018). Mitarbeiter bilden eigene Hierarchien und Zugehörigkeitsmuster, empfinden Sympathie und Antipathie zueinander. Sie übernehmen Aufgaben gewissenhaft oder lehnen diese ab und sie kümmern sich sogar um Dinge, die nicht ihre Aufgabe sind. Egal, was also offiziell vorgesehen ist – die Realität der informellen Gruppe beeinflusst das Verhalten der Mitarbeiter stark. Dabei ist an Arbeitsleistung und Informationsfluss aber auch an Dinge wie Mobbing zu denken. Informelle Gruppen reichen vom „harmlosen“ Kollegenkreis, der sich beim Rauchen trifft und Informationen austauscht, bis hin zu Seilschaften im Management, die sich Posten zuschieben und gegenseitig den Rücken bei Fehlverhalten frei halten.

Manchmal sind informelle Gruppen und Strukturen durchaus positiv, korrigieren Fehler im offiziellen Design von Organisationen und Unzulänglichkeiten von Führungskräften, sind wichtige Informationskanäle. Viele informelle Strukturen haben aber sehr nachteilige Auswirkungen, wie nachfolgende Abschnitte zeigen.

Formelle Gruppe und informelle Gruppe: Beispiel

Es gibt also einen deutlichen Unterschied zwischen formellen und informellen Gruppen. Typische Beispiele von informellen Gruppen gibt es nicht nur privat in Form von Cliquen, gemeinsamen Freizeitaktivitäten und Freundschaften. Es gibt sie überall wo Menschen sind. Beispielsweise bilden sich in Gefängnissen brutale Gangs unter den Häftlingen heraus. Und es gibt viele Beispiele für informelle Gruppen am Arbeitsplatz.

Das verdeutlicht folgende Abbildung am Beispiel von formellen und informellen Strukturen eines Teams in einem Unternehmen.

Informelle Gruppe: Beispiel für die formelle und die informelle Struktur eines Teams
Informelle Gruppe: Beispiel für die formelle und die informelle Struktur eines Teams

Die formelle Gruppe des Teams in der Abbildung ist simpel. Es gibt ein Team aus sieben gleichberechtigten Personen mit einer Führungskraft, die für jede Person im Team gleichsam zuständig ist. Soweit der Plan.

Wesentlich komplexer ist die informelle Gruppe des Teams in diesem Beispiel. Diese Realität weicht weit vom Plan ab. Tatsächlich ist der Zusammenhalt im Team nicht besonders ausgeprägt. Eine Person gehört gar nicht wirklich dazu, ist eine Art „schwarzes Schaf“. Vier Personen haben sich in eine relativ geschlossene eigene Gruppe zusammengetan, die so nicht vorgesehen ist. Innerhalb dieser Gruppe gibt es eine informelle Führungsperson. Auch diese ist nicht vorgesehen. Dazu kommt, dass das Team die eigentliche Führungskraft nicht sehr ausgeprägt als solche erlebt und akzeptiert, sondern eher als normales Mitglied des Teams behandelt. Dabei pflegt sie mit zwei Teammitgliedern besonders intensive Kontakte und fühlt sich diesen offenbar nahe, die Beziehung zu den anderen Personen ist distanzierter.

Das Beispiel illustriert: Es gibt häufig sehr deutliche Abweichungen zwischen formell vorgesehener Struktur und tatsächlicher Situation. Egal? Einfach so lassen? Kann man eh nicht verhindern? Nein. Dieser Unterschied zwischen formeller und informeller Gruppe ist maßgeblich für erfolgreiche Teamführung. Die psychologischen Aspekte der informellen Gruppe erweitern die Perspektive für Führungskräfte, wenn sie mit Teams zu tun haben. Der nächste Abschnitt diskutiert die Risiken von informellen Gruppen an diesem Beispiel.

Informelle Gruppe: Nachteile und Risiken

Warum sind informelle Gruppen eine wichtige Erweiterung der Perspektive für Teammitglieder und verantwortliche Führungskräfte? Sie helfen Risiken und Leistungshindernisse zu erkennen und Maßnahmen dagegen zu ergreifen. Das Team aus dem Beispiel zeigt folgende Nachteile informeller Gruppen:

  • Gestörte Kommunikation. Die Interaktion und Kommunikation innerhalb des Teams ist gestört. Kommunikation wird insgesamt wenig mit dem „schwarzen Schaf“ stattfinden, zudem wenig zwischen der informellen Gruppe und dem Rest des Teams.
  • Rollendiffusion. Es besteht eine informelle Struktur, die einer aufgabenorientierten Rollenverteilung und Hierarchie entgegensteht (Belbin, 2010).
  • Kohäsionsverlust. Gemeinsame Identität und Teamzusammenhalt bestehen kaum, daher ist das Finden von allgemein akzeptierten Zielen und Regeln schwer. Es hat sich sogar eine Identität rund um die informelle Sub-Gruppe gebildet, anstatt des Zusammenhaltes der Gesamtgruppe.
  • Außengruppenbildung. Die zwei Personen, denen die Führungskraft nahe ist, formen eine Innengruppe, die anderen eine Außengruppe (z.B. Bown und Abrams, 2003). Personen in Außengruppen sind aber meist weniger zufrieden, leisten weniger und ihre Kündigungsrate ist höher.
  • Konflikte. Die informelle Gruppe im Team könnte sich geschlossen gegen die Führungskraft stellen. Diese Möglichkeit wird durch mehrere Punkte weiter unterstützt: Es gibt eine informelle Führungsperson (z.B. Carnabuci, Emery und Brinberg, 2018), die formelle Führungsperson wird informell eher als normales Teammitglied erlebt, die informelle Gruppe fühlt sich der formellen Führungsperson nicht so nahe, es gibt wenig Interaktion. Es könnte ein Konflikt ausbrechen zwischen der informellen Gruppe und den zwei Personen der Innengruppe um die Führungskraft.
  • Fluktuation. Insbesondere das „schwarze Schaf“ könnte kündigen. Durch die möglichen Konflikte und den schwachen Zusammenhalt ist aber auch sonst die Bindung der Mitglieder zum Team schwach.

In der Konsequenz leiden die Arbeitsprozesse, Hindernisse für die Leistungsfähigkeit des Teams liegen auf der Hand. Wie also können Führungskräfte hier entgegenwirken? Das zeigt der nächste Abschnitt.

Informelle Gruppe: Maßnahmen

Ohne psychologische Perspektive würde eine Führungskraft von dieser Situation unangenehm überrascht werden, wegsehen, passiv bleiben, bis die Probleme sich voll entfalten. Sie würde häufig gar nicht wahrnehmen, auf welchem Risiko sie sitzt. Mit einer „psychologischen Brille“ können Führungskräfte dagegen frühzeitig schädliche informelle Strukturen erkennen und mit geeigneten Maßnahmen entgegen steuern. Geeignete Maßnahmen zum Umgang mit der oben geschilderten informellen Gruppe könnten z.B. sein:

  • Den Zusammenhalt (Kohäsion) im Team stärken (Dion, 2000). Ein starker Zusammenhalt im vorgesehenen Team kann einerseits dazu führen, dass die informelle Gruppe nicht mehr so stark notwendig ist und sich wie vorgesehen im Team auflöst. Zudem ist zu hoffen, dass das „schwarze Schaf“ ein attraktives Team wahrnimmt und sich daher integrieren möchte.
  • Die Führungskraft deutlich als solche herausheben in ihrer Rolle und Hierarchieposition. Zudem klar abgrenzen, was Aufgabe der Führungskraft ist und was nicht, um zu vermeiden, dass sie sich zu stark in die Selbstorganisation des Teams einmischt. Dadurch wird sie nicht länger als Teil des Teams ohne besondere Hierarchieposition betrachtet.
  • Akzeptanz bei allen für die Führungskraft gewinnen. Die Führungskraft sollte für alle sichtbar und von allen akzeptiert sein – nicht nur bei zwei besonders nahestehenden Personen aus der Innengruppe. Das bedeutet mehr sachliche (aber nicht menschliche) Distanz zu den beiden Personen aber mehr Nähe insgesamt zu den anderen Teammitgliedern. Als Ergebnis wird die informelle Führungskraft, die entstanden ist, ggf. weniger benötigt und geht in ihrem Rollenverständnis auf eine normale Teamposition zurück.
  • Dem „schwarzen Schaf“ Angebote für mehr Interaktion und Einbindung machen, ggf. auch dessen Rolle neu definieren, um seine Isolation aufzubrechen und eine Perspektive als voll akzeptiertes Mitglied des Teams zu eröffnen.

Für erfolgreiche Teamarbeit ist die Dimension formelle Gruppe – informelle Gruppe daher insgesamt eine wichtige Herausforderung. Die folgende Übung hilft Teams und Führungskräften dabei, das Thema informelle Gruppen in die richtige Richtung zu entwickeln.

Übung: Informelle Gruppen analysieren und managen

Fazit: Informelle Gruppen als Abweichung von der formell vorgesehenen Struktur sind eine Tatsache. Es gibt in jedem Team eine Abweichung vom Vorgesehenen, vom Plan, vom Organigramm. Die Frage ist daher, wie stark die Abweichungen sind und ob die Auswirkungen negativ sind. Oft haben informelle Gruppen schädliche Auswirkungen auf die Teamarbeit. Manchmal sind sie aber auch eine Anpassung des sozialen Systems an Missstände. Sie können dann die Auswirkungen von schlechter Planung und ungeeigneten Mitarbeitern oder Führungskräften auffangen und heilen. In diesen Fällen sind informelle Gruppen und Strukturen wichtige Hinweisgeber.

Der letzte Abschnitt gibt Literaturhinweise zur weiteren Vertiefung.

Informelle Gruppen: Literatur

Aktuelle Literatur-Tipps zu formellen und informellen Gruppen.

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Unternehmen erhoffen sich durch den Einsatz von Teams letztendlich positive Effekte auf die Leistung der Mitarbeiter. Hohe Leistung von Teams ist aber nicht selbstverständlich, wie das nächste Kapitel zu Gruppendynamik zeigt.