Gute Führungskraft: Eigenschaften, die Wirkung entfesseln
Welche Eigenschaften machen eine gute Führungskraft aus? Wer wird wirklich gute Ergebnisse liefern – und wer blendet nur? Viele sagen: „Führung ist doch nur ein Verhalten, das kann doch jeder genauso lernen!“ Dieses Kapitel stellt sich gegen diesen Mainstream. Es deckt auf, welche Merkmale einer Führungskraft für gute Resultate entscheidend sind. Dazu fasst es die umfangreiche ForschungderPsychologie zusammen. Es zeigt, welche persönlichen Eigenschaften wirklich wichtig sind und Wirkung entfesseln. Daraus folgt auch, wie man gute Führungskräfteerkennen und testen kann. Und es gibt einen Überblick, was eine schlechte Führungskraft in ihrer Persönlichkeit ausmacht. Aus den Forschungsergebnissen ergeben sich sehr wichtige Tipps für die Praxis.
In diesem Beitrag:
Zur Führungskraft geboren?
Ist man zur Führungskraft geboren? Der Gedanke liegt nahe, dass persönliche Merkmale bei der Führung mit-entscheiden. Bekannte Akteure wie etwa Steve Jobs, Richard Branson oder Mahatma Gandhi, aber auch Adolf Hitler sind oft Persönlichkeiten, die sich dediziert von anderen Menschen abheben. Einige glauben daher: „Zur Führung muss man geboren sein!“ Trifft das so tatsächlich zu? Für viele ist der Gedanke schwer vorstellbar, sie glauben „Jeder kann eine gute Führungskraft sein, er muss es nur lernen!“. Was sagt die Forschung dazu?
Immerhin scheint die Tatsache, dass jemand Führungskraft wird (oder eben nicht) tatsächlich zu ca. 30 Prozentangeboren zu sein (Arvey et al., 2007; Chaturvedi et al., 2012). Ja, es lassen sich sogar einzelne Gene isolieren, die damit zusammen hängen (De Neve et al., 2013).
Bildet man immer wieder neu gemischte Gruppen, die verschiedene Aufgaben erledigen sollen, dann treten jedenfalls meist immer wieder die selben Personen als Führungskräfte hervor. 60 Prozent dieses Phänomens konnten auf überdauernde Eigenschaften der Personen zurückgeführt werden (Kenny und Zaccaro, 1983; Zaccaro, Foti und Kenny, 1991). Auch das spricht für stabile Eigenschaften, die mit Führung zusammenhängen. Das Ergebnis passt auch gut zur oben genannten Zahl von 30 Prozent angeborenem Einfluss auf die Wahrscheinlichkeit Führungskraft zu werden, da die meisten überdauernden Eigenschaften von Personen zu etwa einer Hälfte angeboren sind und zur anderen Hälfte durch Umwelteinflüsse geformt werden (vgl. z.B. die Übersichten von Asendorpf, 2007, S. 343).
Fazit: Angeborene Eigenschaften scheinen eine große Bedeutung bei der Wahrscheinlichkeit zu haben, ob jemand Führungskraft wird. Zusätzlich gibt es viele relativ überdauernde Eigenschaften, die nicht direkt angeboren sind – etwa die Fachkompetenz einer Person. Allerdings sollte hier nicht übersehen werden, dass solche Eigenschaften häufig angeborene Merkmale als Grundlage haben – etwa Intelligenz oder Lernfähigkeit.
Welche Eigenschaften sind jetzt aber entscheidend? Darum geht es im nächsten Abschnitt.
Gute Führungskraft: Eigenschaften und Merkmale
Was macht eine gute Führungskraft aus, welche Merkmale sind entscheidend? Eigenschaftsorientierte Führungstheorien suchen die Erklärung für Erfolg und Misserfolg bei der Führung in grundlegenden, stabilen Eigenschaften der Führungspersonen. Dabei ist zunächst wichtig zu klären, um welche Ebene von Merkmalen es geht.
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Worum es nicht geht: Fragt man „Lieschen Müller“ oder blickt man in nicht-wissenschaftliche Managementliteratur, dann werden als relevante Eigenschaften von Führungskräften typischerweise
Kommunikationsfähigkeit,
soziale Kompetenz,
individuelle Berücksichtigung der Mitarbeiter,
Zuhörerfertigkeiten oder
Entscheidungskompetenz genannt.
Diese Eigenschaften sind sehr nahe am Führungsverhalten selbst, überlappen direkt mit dem Führungsverhalten und beschreiben es – der nächste logische Schritt wäre, dass jemand Führungskompetenz als relevante Eigenschaft von Führungskräften ausruft, nach dem Motto „Wir haben die wichtigste Erfolgseigenschaft von Führungskräften entdeckt: Führungskompetenz!“. Selbstverständlich sind zudem auch Fähigkeiten, die sich direkt auf Führungsinstrumente, wie Lob oder konstruktive Rückmeldung beziehen, relevant.
Bei all dem handelt es sich aber nicht um überdauernde Eigenschaften von Personen, sondern um kurzfristig vermittelbare Führungskompetenzen bis hin zu bloßen Umschreibungen von Führungsverhalten. Das alles ist nicht ganz falsch, geht aber nicht über die triviale Feststellung hinaus „Gute Führungskräfte sind Personen, die gut Führungsverhalten zeigen können!“. Diese Betrachtungsebene ist daher eher naiv und für die Frage nach grundlegenden Eigenschaften erfolgreicher Führungskräfte wertlos.
Worum es wirklich geht: Eigenschaftsorientierte Theorien der Führung untersuchen und thematisieren überdauernde persönliche Eigenschaften (Persönlichkeitseigenschaften sowie soziale, physiologische oder kognitive Eigenschaften), um erfolgreiche Führungskräfte von weniger erfolgreichen zu unterscheiden. Zwar unterscheiden sich Situationen, Aufgaben und Geführte mitunter sehr – dennoch, so verschieden diese Kontexte von außen betrachtet aussehen, geht es am Ende immer um die erfolgreiche, zielgerichtete Beeinflussung der Mitarbeiter. Gibt es also grundlegende, überdauernde Eigenschaften, die mit erfolgreicher Führung zusammenhängen?
Der nächste Abschnitt zeigt überdauernde Eigenschaften, die mit Führungserfolg im Sinne von Leistung zusammenhängen. Der Text verwendet dafür die Bezeichnung „gute Führungskräfte“.
Gute Führungskräfte erkennen: Top Eigenschaften
Wie sieht sie jetzt aus, die Liste mit den Top Eigenschaften guter Führungskräfte? Folgende überdauernde Eigenschaften von Führungskräften sind besonders bedeutsam für die Führungsergebnisse (vgl. House, Shane und Herold, 1996; Robbins, 2003):
Fachkompetenz im verantworteten Bereich
Hohe fachliche Kompetenz im Bereich, den Führungskräfte verantworten, spielt eine Rolle für den Erfolg der Führung (Havron und McGrath, 1961; Palmer, 1962). Das bedeutet – statistisch gesehen – ist es beispielsweise sinnvoller, ein ausgebildeter Militär ist Verteidigungsminister als eine Gynäkologin. Eigentlich eine Selbstverständlichkeit, die aber sowohl in der Politik als auch in der Wirtschaft wenig beachtet ist. So zeigen sich auch Zusammenhänge zwischen Erfahrung und Ausbildung der Führungskräfte und Innovation in Unternehmen (Becker, 1970; Kimberly und Evanisko, 1981). Mangelnde Fachkompetenz im Verantwortungsbereich erschwert dagegen eine sinnvolle aufgabenbezogene Führung, da die Basis dafür fehlt, sinnvolle Anweisungen zur Arbeitsaufgabe zu geben. Aufgabenorientierte Führung ist aber entscheidend für die Leistung von Teams und den Erfolg von Führungskräften (Derue et al., 2011). Nicht nur das: Mangelnde Fachkompetenz kann zusätzlich die Autorität und Akzeptanz von Führungskräften untergraben, denn Mitarbeiter merken schnell, wenn jemand „wenig Ahnung“ hat.
Intelligenz
Intelligenz gilt insgesamt als einer der besten Prädiktoren für berufliche Leistung von Menschen, insbesondere bei komplexen Tätigkeiten (Schmidt und Hunter, 1998). Auch bei Führungskräften hat sie sich als bedeutsam erwiesen (Lord, De Vader und Alliger, 1986; Judge, Colbert und Ilies, 2004). Es ist nicht verwunderlich, dass klassische Intelligenz mit Führungserfolg im Sinne von objektiver Leistung zusammenhängt. Zahlreiche Herausforderungen für Führungskräfte sind komplex und verlangen ein hohes Maß an analytischem Denkvermögen: Informationen richtig analysieren und interpretieren, Strategien entwickeln, Entscheidungen organisieren, Prozesse planen und Probleme lösen. Zudem hängt Intelligenz eng mit Kreativität zusammen (Rushton, 1990). Intelligenz hilft auch dabei Karriere zu machen (Erfolg im Sinne von Karriere), lädt aber stärker auf die Effektivität von Führungskräften (Judge, Colbert und Ilies, 2004). Emotionale Intelligenz, die sehr eng mit der klassischen Intelligenz zusammenhängt (Ciarrochi, Chan und Caputi, 2000), hat ebenfalls eine große Bedeutung für Führungserfolg (Rosete und Ciarrochi, 2005). Um mitarbeiterorientiert führen zu können, müssen Führungskräfte die Emotionen anderer erkennen, verstehen und beeinflussen können. Außerdem sollte man als Führungskraft eigene Emotionen gezielt einsetzen und kontrollieren können. Gerade wegen der zunehmend interkulturellen Kontexte hat der Aspekt der emotionalen Intelligenz für den Führungserfolg noch weiter an Bedeutung gewonnen.
Extraversion
Extraversion beschreibt, wie sehr jemand den Kontakt mit anderen Menschen sucht und es genießt, im Mittelpunkt zu stehen (der Gegenpol auf dieser Persönlichkeitsdimension ist Introversion). Extraversion selbst und die beiden Unterdimensionen Dominanz und sozialer Anschluss hängen positiv mit dem Führungserfolg zusammen (Judge et al., 2002). Mit Dominanz verknüpft ist Motivation nach Macht. Macht kann hierbei ein Selbstzweck sein, sich aber auch an Zielen orientieren. Es ist wenig verwunderlich, dass dieses Verlangen auch den Führungserfolg beeinflusst und vor allem die Karriere der individuellen Führungsperson. Entsprechend findet man bei Führungskräften eine hohe Machtmotivation (Winter, 2002).
Offenheit
Offenheit beschreibt die Neigung Veränderungen, Neues und Unbekanntes zu akzeptieren und auszuprobieren. Offenheit für Erfahrungen ist in der heutigen schnelllebigen und durch Veränderung geprägten Geschäftswelt eine Grundvoraussetzung für Erfolg. Führungskräfte müssen sich auf neue Situationen, neue Ziele und ungewohnte geführte Personen (z.B. im interkulturellen Kontext) einstellen können. Führungskräfte, die hier flexibel reagieren, haben öfter Erfolg (Judge et al., 2002).
Gewissenhaftigkeit
Gewissenhaftigkeit ist eine der großen fünf Persönlichkeitsdimensionen. Gewissenhaftigkeit beschreibt die Gründlichkeit und Leistungsorientierung, mit der Personen ihre Aufgaben erledigen. Gewissenhaftigkeit hat schon bei einzelnen Mitarbeitern positiven Einfluss auf deren Arbeitsleistung (Hurtz und Donovan, 2000) und ist ebenso positiv mit der Effektivität von Führungskräften verbunden (Judge et al., 2002). Das gilt auch für die beiden Unterdimensionen Gründlichkeit und Leistungsorientierung. Eine hohe Gewissenhaftigkeit ist in vielen Führungspositionen notwendig, um die Aufgabe mit der erforderlichen Sorgfalt und mit einem entsprechend hohen Anspruch an die Ergebnisse zu erledigen.
emotionale Stabilität
Emotionale Stabilität bezeichnet die Tendenz, auch in schwierigen Situationen ruhig und gelassen zu bleiben. Personen mit niedriger Ausprägung geraten schnell in negative Emotionen, wie Angst, Wut oder Unsicherheit. Bei Führungskräften führen solche Emotionen zu einem Akzeptanzverlust bei den Mitarbeitern. Unsicherheit strahlt zudem auf die Mitarbeiter aus. In so fern ist es nicht verwunderlich, dass emotionale Stabilität positiv mit dem Erfolg von Führungskräften zusammenhängt (Judge et al., 2002). Selbstbewusstsein ist eine Subdimension von emotionaler Stabilität (das Gegenteil von Unsicherheit) und hängt positiv mit Führungserfolg zusammen (Judge et al., 2002). Hier stellt sich allerdings die Ursache-Wirkungs-Frage, denn das Selbstbewusstsein kann auch durch den Führungserfolg wachsen. Dennoch wird das Selbstbewusstsein den Führungskräften helfen, andere Menschen für die Ziele zu gewinnen und zu beeinflussen. Auch dieser Befund verwundert wenig: Personen mit ausgeprägtem Selbstbewusstsein fällt es leichter, andere Menschen zu überzeugen.
Verträglichkeit
Verträglichkeit und Geselligkeit beschreiben die Tendenz positive Beziehungen mit anderen Menschen zu schätzen, aufzubauen und zu pflegen. Menschen mit hohen Werten in der Persönlichkeitsdimension Verträglichkeit sind sensibel für andere, vertrauensvoll und fürsorglich im Umgang. Verträglichkeit hängt positiv mit der Wirksamkeit von Führung zusammen (Judge et al., 2002). Das passt gut zu anderen Forschungsergebnissen, die zeigen, dass wirksame Führungskräfte sich vergleichsweise viel mit ihren Mitarbeitern beschäftigen (Luthans, 1988).
Führungskräfte mit diesen Eigenschaften liefern also bessere Ergebnisse ab, als Führungskräfte ohne diese Eigenschaften. Manche der genannten Merkmale sind veränderbar (z.B. Fachkompetenz, Selbstbewusstsein), andere kaum. Gerade Intelligenz und viele Persönlichkeitsmerkmale hängen stärker von Vererbung als von Umwelteinflüssen ab (vgl. z.B. die Übersichten von Asendorpf, 2007, S. 343). Insofern kann man tatsächlich in einem gewissen Umfang von geborenen Führungspersönlichkeiten sprechen.
Aus den genannten Eigenschaften lässt sich natürlich auch das Bild einer schlechten Führungskraft skizzieren.
Schlechte Führungskräfte erkennen: Eigenschaften
Setzt man vor die oben in der Forschung festgestellten Eigenschaften für gute Führungskräfte ein umgekehrtes Vorzeichen, dann ergibt sich das erschütternde Bild einer schlechten Führungskraft. Hier eine kurze Skizze, zugegeben zur Illustration etwas klischeehaft und überzeichnet, dafür umso einprägsamer. Eine schlechte Führungskraft zeichnet sich demnach aus durch folgende Eigenschaften:
Niedrige Fachkompetenz
Sie hat keine Ausbildung und kaum Erfahrung im ihr anvertrauten Bereich, kurz keine Ahnung. In Folge dessen kann sie keine sinnvollen Anweisungen geben und verlässt sich auf Berater, die gut daran verdienen. Da sie die Qualität der Berater auch nicht einschätzen kann, häufen sich Fehlentscheidungen. Der Verantwortungsbereich ist nicht mehr handlungsfähig, Aufträge werden nach Gutsherrenprinzip verteilt, Hektik und Chaos breiten sich aus, Mitarbeiter resignieren.
Geringe Intelligenz
Geringe Intelligenz führt dazu, dass die Führungskraft komplexe Zusammenhänge nicht versteht, die Auswirkungen von Handeln oder unterlassenem Handeln nicht erkennen kann. Der Führungsstil ist durch vollkommen falsch gesetzte Prioritäten gekennzeichnet. Entscheidende Handlungsfelder liegen brach, dafür dreht sich alle Aufmerksamkeit um unwichtige Themen.
Wenig emotionale Intelligenz
Aus dem Unvermögen die Emotionen, Gedanken und Motive anderer zu verstehen und einem Mangel an Interesse und Empathie verletzt diese Führungskraft permanent Menschen, demotiviert Mitarbeiter und stößt Partner vor den Kopf. Dadurch vernichtet sie wertvolles soziales Kapital, das nur schwer zu ersetzen ist und schädigt nachhaltig den Ruf der Organisation, der sie voransteht.
Introversion
Die schlechte Führungskraft ist sehr introvertiert, sie scheut sich, andere aktiv anzusprechen und wesentliche Gespräche zu führen. Sie vernachlässigt das Vertreten ihres Bereiches nach außen und die Information und Kommunikation nach innen. Es fällt ihr schwer, Beziehungen zu Mitarbeitern, Kollegen und Partner zu knüpfen und zu pflegen. Ihre Werte bei Vertrauen und Sympathie sind gering, da die anderen sie als Menschen nicht wahrnehmen können.
Keine Offenheit für Neues
Weil sie sich an Bestehendes klammert und Veränderungen fürchtet, steht Innovation still. Entscheidende Weichen werden nicht oder viel zu spät gestellt, die Wettbewerber ziehen bei den Zukunftsthemen vorbei. Kreative Mitarbeiter bewerben sich gleich andernorts oder verlassen den Bereich.
Mangel an Gewissenhaftigkeit und Leistungsmotivation
Eine schlechte Führungskraft strebt nicht nach Optimierung. So lange etwas funktioniert, ist es o.k., warum besser machen? Dinge sorgfältig durch zu denken und zu planen ist nicht ihr Ding, Struktur und Ordnung sind ihr fremd. Ihre Position hat sie nicht, weil sie etwas bewegen möchte und Leistung zeigen will, sondern aus reinem Machtstreben.
Neurotizismus
Eine wesentliche Eigenschaft schlechter Führungskräfte ist Neurotizismus. Bei geringen Anlässen rasten sie aus und brüllen Mitarbeiter an. Kleine Auslöser führen zu starken emotionalen Reaktionen, die nicht kontrolliert werden. Damit einher geht große Unsicherheit und mangelndes Selbstbewusstsein. Als Konsequenz suchen sich solche Führungskräfte gerne Mitarbeiter, die schwach und unselbständig sind und noch unsicherer als sie selbst. Diese Mitarbeiter nehmen sie nicht als Bedrohung war und sie können an ihnen dann ungehindert ihre Emotionen auslassen.
Unverträglichkeit
Ob sie gute und vertrauensvolle Beziehungen mit anderen Menschen hat, Erwartungen enttäuscht oder Vertrauen zerstört – das interessiert eine schlechte Führungskraft nicht. Im Gegenteil: Sie setzt auf Konfrontation und genießt es, andere leiden zu sehen. Die negativen Konsequenzen für ihre Führungsergebnisse nimmt sie dafür in Kauf.
Natürlich vereint keine Führungskraft alle dieser schlechten Merkmale in einer Person, sonst wäre sie nicht Führungskraft. Doch immerhin einige dieser Merkmale sind gar nicht so selten bei Führungskräften zu finden. Nicht wenige Mitarbeiter leiden in der Praxis unter Führungskräften mit derartigen Merkmalen. Das liegt daran, dass Karriere an anderen Eigenschaften hängt als gute Führung, wie dann später das nächste Kapitel zeigt.
Was bedeuten diese Forschungsergebnisse für die Praxis? Der nächste Abschnitt liefert die wichtigsten Tipps.
Gute Führungskräfte testen und entwickeln: Tipps
Wie kann man gute Führungskräfte testen und entwickeln? Die Forschung zu Eigenschaften von guten Führungskräften bietet viel Potenzial für die Praxis, das noch kaum genutzt wird. Für verantwortliche Manager in Unternehmen und anderen Organisationen dürfte sich ein Blick in den folgenden Schaukasten daher lohnen.
Tipps zu Eigenschaften erfolgreicher Führungskräfte
Organisationen können von den umfangreichen Forschungsergebnissen der eigenschaftsorientierten Führungstheorien profitieren. Es gibt sehr klare Erkenntnisse darüber, welche Person wahrscheinlich gute Ergebnisse als Führungskraft abliefern wird – und welche Person mit hoher Wahrscheinlichkeit schlechte Ergebnisse produzieren wird. Interessanterweise sind die dahingehenden Forschungsergebnisse in der Praxis kaum bekannt und werden entsprechend nicht umgesetzt.
Die Mode, Fachkompetenz zu vernachlässigen, hat Auswirkungen. Gerade bei politischen Entscheidern ist teilweise festzustellen, dass Führungspersonen keinen oder kaum fachlichen Hintergrund für ihren Aufgabenbereich haben. Es ist beispielsweise normal, dass Minister Ressorts wechseln und Ministerien ohne geeignete fachliche Ausbildung führen. Die gesellschaftlichen Kosten dieser Vorgehensweise lassen sich nur erahnen. Prägnante Beispiele für Missmanagement und Fehlentscheidungen in staats- und politiknahen Bereichen wären etwa die Elbphilharmonie in Hamburg, das Flughafenprojekt in Berlin oder die desaströsen Entscheidungen in Landesbanken, etwa in Bayern. Ein Paradebeispiel für die Konsequenzen ist die ehemalige Verteidigungsministerin Christine Lambrecht, die aufgrund offenkundiger fachlicher Defizite schließlich so medial angefeindet wurde, dass sie zurücktreten musste.
Auch bei Managern ist nicht selten zu beobachten, dass Personen Fachbereiche zugeteilt werden, für die sie wenig fachliche Kompetenz und Ausbildung haben, und die Führungskräfte mitunter schnell zwischen Funktionsbereichen wechseln. Diese Praktiken müssen hinterfragt werden: Es lässt sich nicht alles durch Berater lösen, die Führungskraft selbst muss fachlich kompetent sein.
Fazit: „Es ist nichts schrecklicher als eine tätige Unwissenheit.“ Dieses Zitat von Goethe sollte immer ein Leitsatz sein bei der Auswahl von Führungskräften. Wissen ist hier tatsächlich Macht. Die Macht als Führungskraft gute Entscheidungen zu treffen und sinnvoll zu führen.
Dabei gilt, dass niemand perfekt ist, man kann vieles kompensieren, einige Schwachpunkte sogar beseitigen. Manche der genannten Merkmale sind durchaus veränderbar, wenn auch mit einigem Aufwand. Das gilt beispielsweise für Fachkompetenz und in gewissem Umfang auch für Selbstvertrauen. Erreicht werden kann dies durch Personalentwicklung und Training der vorhandenen Führungskräfte.
Es wird aber immer so sein, dass in einer bestimmten Position bestimmte „irreparable“ Mängel einfach nicht hinnehmbar sind. Viele der genannten Merkmale sind eher unveränderbar und im Erwachsenenalter stabil. Das macht die Personalauswahl bei Führungskräften zum wichtigen Einflussfaktor. Psychologische Forschung kann dazu beitragen, geeignete Personen für Führungspositionen auszuwählen. Für Persönlichkeitseigenschaften und verschiedene Arten der Intelligenz liegen ausgezeichnete diagnostische Instrumente vor. Fachkompetenz lässt sich ebenfalls relativ einfach feststellen. Motive und Selbstbewusstsein sind schwieriger zu messen, hier kann vergangenes Verhalten sehr aufschlussreich sein.
Auch für die einzelnen Führungskräfte geben die Forschungsergebnisse interessante Einblicke für die Praxis. Sie sollten sich fragen:
Welche der Merkmale sind meine Stärken, was sind eher Schwächen?
Wie und in welchen Positionen bzw. bei welchen Aufgaben kann ich meine Stärken voll ausspielen?
Wo liegen meine Begrenzungen und Schwachstellen?
Wie kann ich die Schwächen kompensieren und damit umgehen lernen?
Der nächste Abschnitt zeigt, dass sich zwei Forschungsrichtungen abgespalten haben, die beide Eigenschaften von Führungskräften untersuchen – allerdings mit Blick auf andere Wirkungen.
Eigenschaftsorientierte Führungstheorien: Forschung und Praxis
Eigenschaftsorientierte Führungstheorien sind der älteste wissenschaftliche Ansatz, Führung zu erforschen und haben über 100 Jahre Forschungstradition (z.B. Terman, 1904). Zunächst untersuchte man einfach, welche Unterschiede es zwischen Führungskräften und anderen Menschen gibt. Hier ist aber das Problem, dass man so Eigenschaften, die zu wirksamer Führung beitragen, nicht von solchen unterscheiden kann, die nur zu Karriere beitragen. Entsprechend wandelte und spaltete sich die Perspektive in zwei Forschungsrichtungen:
Führungserfolg im Sinne von Leistung (gute Führungskräfte): Welche Führungskräfte sind gut für das Unternehmen? Was unterscheidet Führungskräfte, die gute Ergebnisse liefern, von denen, bei denen der Verantwortungsbereich nicht gut läuft?
Führungserfolg im Sinne von Karriere (erfolgreiche Führungskräfte): Welche Eigenschaften führen dazu, dass jemand Karriere im Sinne von Beförderung (oder Gehaltssteigerungen) macht?
Einige frühe Analysen kamen zu dem Schluss, dass es kaum nennenswerte Zusammenhänge zwischen Eigenschaften von Führungskräften und deren Erfolg gäbe (z.B. Stogdill, 1948; Mann, 1959). Diese Studien beeinflussten stark das Denken und die Argumentation in der Wissenschaft und Praxis. Hier hat sich allerdings gezeigt, dass Effekte unterschlagen wurden und methodisch nicht sauber gearbeitet wurde (Lord, De Vader und Alliger, 1986). Die Liste an Eigenschaften, die relevant für den Erfolg einer Führungskraft sind, ist tatsächlich sehr lang, wie man mittlerweile weiß.
Derzeit sind eigenschaftsorientierte Führungstheorien dennoch in den Hintergrund geraten (z.B. House und Aditya, 1997), werden auch in der Praxis emotional abgelehnt. Das liegt mehr am Zeitgeist als an mangelnden oder entmutigenden Forschungsergebnissen. Der Gedanke an grundlegende Eigenschaften, die jemanden zur geeigneten Führungsperson machen, scheint im Widerspruch zum Zeitgeist zu sein, dass alle Menschen gleich geboren werden und sich Unterschiede nur durch ungleiche Chancen ergeben. Aber: Der Zeitgeist ändert sich und ist nicht in allen Ländern gleich (man blicke nur in die USA oder nach China), was also sagen die Fakten?
Der letzte Abschnitt gibt Literaturhinweise zur weiteren Vertiefung.
Führungskraft: Literatur
Aktuelle Literatur-Tipps zu Führungskräften und deren Auswahl.
Die oben genannten Eigenschaften hängen mit der Leistung bzw. Effektivität von Führungskräften zusammen. Aber es gibt viele weitere Eigenschaften, mit denen sich Führungskräfte noch stärker von anderen Menschen unterscheiden. Das liegt daran, dass Karriere meist nur am Rande mit der Leistung einer Führungskraft zu tun hat – andere Eigenschaften sind daher viel wichtiger, um Führungskräfte von anderen Personen zu unterscheiden. Hier hat die Forschung viele überraschende und irrationale Zusammenhänge aufgedeckt. Dazu das nächste Kapitel.