Kaum etwas hat so starke Auswirkungen auf Mitarbeiter, ihre Motivation und ihre Entwicklung wie das Verhalten der Führungskraft, der Führungsstil. Führungskräfte sind gefordert, wirksame und moderne Führungsstile zu entwickeln, um ihre Ziele zu erreichen. Nur: Welche Führungsstile gibt es? Welche funktionieren wirklich? Und, provokant gefragt: Funktioniert das Konzept überhaupt, ist es noch zeitgemäß?
Das alles zeigt dieses Kapitel. Es gibt eine Übersicht der Führungsstile und erklärt, warum die meisten davon mehr schaden als nutzen. Und es diskutiert, warum man über das Konzept Führungsstil, so wie es aktuell von den meisten genutzt wird, hinauswachsen sollte. Der Beitrag liefert eine zeitgemäße Definition, diskutiert typische Beispiele und wichtige Arten. Und er enthält die entscheidenden Tipps für wirksames Führungsverhalten in der Praxis.
In diesem Beitrag:
Führungsstile: Übersicht, Beispiele und Arten
Welche Führungsstile gibt es? Die Liste an Führungsstilen ist lang, eine Übersicht schwer: Demokratischer Führungsstil, partizipativer Führungsstil, autoritärer Führungsstil, egalitärer Führungsstil, ethischer Führungsstil, mitarbeiterorientierter Führungsstil…
Sind wir ehrlich: Es gibt mittlerweile eine Unzahl an sogenannten Führungsstilen. Jede Woche kommt gefühlt ein neuer dazu. Warum ist das so? Immer wenn es ein neues Thema gibt, das die Aufmerksamkeit der Praxis erweckt, dann findet sich auch jemand, der einen neuen Führungsstil ausruft – zum Beispiel den „agilen Führungsstil“. Einfach, weil agile Führung gerade „in“ ist und sich gut verkauft. Und es finden sich auch diejenigen, die zuhören, und fortan begeistert von diesem neuen Führungsstil sprechen.
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So kann man eine Chronologie der Führungsstile aufstellen aus den Interessen der Praxis und Führungsforschung und den ausgerufenen Führungsstilen.
- Beispielsweise behandelte man schon früh Entscheidungen von Führungskräften und wie sehr sie Mitarbeiter einbinden (etwa Tannenbaum und Schmidt, 1958). Entsprechend schnell kamen Bezeichnungen wie autoritärer Führungsstil, autokratischer Führungsstil, demokratischer Führungsstil, partizipativer Führungsstil.
- Andere beschäftigten sich damit, wie sehr Führungskräfte sich darum kümmern, die Arbeitsaufgabe voran zu bringen und darum, wie es den Mitarbeitern bei der Arbeit geht (etwa Blake und Mouton, 1964). Entsprechend wurden die Begriffe mitarbeiterorientierter Führungsstil, aufgabenorientierter Führungsstil, laissez-fairer Führungsstil platziert. Oft war und ist in diesem Zusammenhang auch vom „idealen Führungsstil“ die Rede.
- Andere betonten schließlich, dass es je nach Situation anderes Führungsverhalten erfordert (etwa Hersey und Blanchard, 1969) – prompt tauchten Begriffe auf wie situativer Führungsstil oder flexible Führung.
- Jüngere Themen schlagen sich ebenfalls in Wortschöpfungen für Führungsstile wieder. Zu diesen modernen Führungsstilen gehören etwa ethische Führung (z. B. Treviño, Brown und Hartman, 2003), transformationale Führung (z. B. Bass und Riggio, 2006), charismatische Führung (z. B. House und Howell, 1992) und agile Führung (z. B. Parker, Holesgrove und Pathak, 2015).
Fazit: Immer wenn in den letzten Jahrzehnten ein neues Thema der Führung die Aufmerksamkeit der Praxis und Forschung erregte, gab es eine Wortneuschöpfung, ein neuer „Führungsstil“ wurde ausgerufen. Ist das so sinnvoll? Dazu der nächste Abschnitt.
Führungsstile als Modell: Vor- und Nachteile
Welche Vor- und Nachteile sind mit dem Denken in Führungsstilen verbunden? Welche Konsequenzen hat es, Führung als Modell in Führungsstile zu pressen?
Das Benutzen von Führungsstilen bietet natürlich Vorteile.
- Menschen lernen von Vorbildern – und indem man einen Führungsstil benennt und dazu ein paar Beispiele von Führungskräften anführt, die diesen Stil praktizieren, bietet man Orientierung und reduziert Komplexität.
- Die Beliebtheit der Betrachtung von Führung als Führungsstile liegt nicht nur daran, dass jemand ein neues Konzept als Training oder Forschungsströmung etablieren möchte. Auch die Praxis reagiert oft positiv auf das Ausrufen eines neuen Führungsstils. Das liegt daran, dass es Menschen lieben, kategorial zu denken: Wir teilen beispielsweise automatisch den Regenbogen in einzelne Farbkategorien ein, auch wenn es eigentlich ein Kontinuum ist. Und diese Vorliebe für mentale Schubladen gilt für fast alle Bereiche des Lebens, auch für Führung. So teilen viele Führungskräfte mehr oder weniger bewusst ihre Mitarbeiter ein in High-Performer, Mittelfeld und Low-Performer. Ähnlich teilt man gerne Führungskräfte und ihr Verhalten ein, etwa in welche mit demokratischem Führungsstil und andere mit autoritärem Führungsstil.
Aber es gibt immense langfristige Nachteile, wenn man Führungsverhalten auf mentale Schubladen (nichts anderes sind Führungsstile) reduziert.
- Durch die Inflation von sogenannten Führungsstilen geht der Überblick verloren. Deswegen interessieren sich auch so viele Menschen für die Frage, welcher Führungsstil denn nun wirklich wirkt und der „beste“ ist.
- Führungskräfte bekommen zudem ein unzutreffendes Abbild der Realität (schwarz/weiß ohne Zwischentöne) und werden durch Extrembeispiele in die Irre geführt.
Es handelt sich bei dem, was hier als Führungsstil bezeichnet wird, um Extrempunkte auf Verhaltensdimensionen, wie folgende Abbildung zeigt. Es ist beispielsweise nicht so, dass eine Führungskraft, entweder einen demokratischen Führungsstil hat oder einen autoritären Führungsstil. Beides sind Extrempunkte auf der Dimension, wie stark Führungskräfte Mitarbeiter in Entscheidungen einbinden (Partizipation der Mitarbeiter). Jede Führungskraft liegt irgendwo auf dieser Dimension, die meisten sogar eher irgendwo in der Mitte. Und für wirksame Führung ist es meist auch sinnvoll, sich irgendwo in weniger extremen Ausprägungen zu bewegen. Das Problem: Durch das Konzept der Führungsstile wird unerfahrenen Führungskräften suggeriert, sie müssten sich für eine Extremposition entscheiden und dieser dann nacheifern.
- Vielleicht die größte Gefahr, die von der starren Orientierung an solchen Stilen ausgeht ist mangelnde Flexibilität: Erfolgreiche Führung verlangt sehr unterschiedliches Verhalten in verschiedenen Situationen. Die wirkungsvollsten Führungskräfte nutzen nicht einen Stil – sie nutzen viele davon, jeden Tag. Führungskräfte, die einem bestimmten Stil nacheifern (weil es gerade modern ist oder warum auch immer), verschenken sehr viel an Wirkung.
Die klassische Konzeption von Führungsstilen als Extrempunkte in Handlungsfeldern hat also sehr große Nachteile. Der nächste Abschnitt stellt daher eine sinnvollere und vor allem zeitgemäße Definition von Führungsstil vor.
Führungsstil: Definition
Viele eifern einem bestimmten Führungsstil nach – oft einem der gerade „in“ ist, der gut ankommt, der sozial erwünscht ist. Schon morgen eifern sie vielleicht einem anderen Ideal nach. Dieser Abschnitt zeigt, warum dieses Hinterherrennen von ewig neuen ausgerufenen Stilen der Mitarbeiterführung wenig sinnvoll ist. In den vorangehenden Abschnitten herrschte folgendes Verständnis von Führungsstil: Führungsstil als Extrempunkt auf einer Dimension des Führungsverhaltens. Also zum Beispiel „autoritärer Führungsstil“ als Extrempunkt auf der Verhaltensdimension Partizipation der Mitarbeiter bei Entscheidungen. Bei dieser Betrachtung von einem Extrempunkt aus vergisst man schnell zwei Dinge:
- Die Welt ist nicht schwarz/weiß, die meisten Führungskräfte liegen irgendwo zwischen Extrempunkten.
- Es gibt viel mehr als eine Verhaltensdimension, die wichtig für die Führung ist.
Sinnvoller ist es daher, „Führungsstil“ nicht wie gewohnt als Extrempunkte auf einzelnen Dimensionen zu betrachten. Es gilt sich von lieb gewordenen und verbreiteten Fehlvorstellungen zu verabschieden. Eine zeitgemäße und moderne Definition ist wichtig. Diese stellt die Führungsperson in das Zentrum. Die Definition von Führungsstil ist daher:
Diese Definition bietet die meisten Vorteile.
- Sie wendet den Blick (statt auf Extrempunkte bei Verhaltensdimensionen der Führung) auf die einzelne Führungskraft. Und um die geht es ja letztendlich.
- Sie berücksichtigt, dass über 80 Prozent der Führungskräfte in einem Verhaltensbereich nicht auf einem extremen Wert liegen. Die sollten sich aber genauso mit ihrem Führungsstil beschäftigen.
- Außerdem macht sie klar, dass die wirkungsvollste Führung in den meisten Situationen nicht in einem Extrem liegt, sondern dazwischen.
- Zudem öffnet diese Definition die Perspektive darauf, dass viele Verhaltensdimensionen wichtig sind für erfolgreiche Führung – nicht nur eine.
Der nächste Abschnitt zeigt, welche Dimensionen im Führungsverhalten zentral sind.
Wichtige Bereiche des Führungsverhaltens: Dimensionen
Verhaltensorientierte Führungstheorien suchen die Erklärung für den Erfolg oder Misserfolg von Führungskräften in deren Verhalten. Damit schwenken sie die Perspektive weg von Eigenschaften der Führungskräfte und hin zur Frage, was Führungskräfte tun. Als Leitgedanke dient das etwas optimistische Versprechen: „Jeder kann Führung lernen!“ Die verhaltensorientierte Führungsforschung hat mehrere zentrale Bereiche des Führungsverhaltens identifiziert, bei denen sich Führungskräfte stark unterscheiden.
Fasst man den Stand der Forschung zusammen, dann zeigen sich einige zentrale Bereiche des mitarbeiterbezogenen Führungsverhaltens:
Diese und weitere wichtige Aspekte des Führungsverhaltens erhebt beispielsweise der Leadership-Scan der Wirtschaftspsychologischen Gesellschaft. Führungskräfte erhalten damit ein klares Bild über ihren aktuellen Führungsstil und dessen Auswirkungen und können Schwerpunkte für ihre zukünftige Entwicklung setzen.
Darauf geht auch der nächste Abschnitt ein. Er liefert die entscheidenden Tipps rund um den Führungsstil.
Tipps zum Führungsstil
Die folgenden Praxistipps fassen zusammen, was die Forschungsergebnisse zum Führungsstil für die Praxis bedeuten.
Der letzte Abschnitt gibt Literaturhinweise zur weiteren Vertiefung.
Führungsstil: Literatur
Aktuelle Literatur-Tipps zu Führungsstilen.
- Pipus, Stefanie (Autor)
- Schneider, Markus (Autor)
Ein wichtiger Verhaltensbereich für Führungskräfte sind Entscheidungen. Darum geht es im nächsten Kapitel.