Führungspsychologie: Vorteile durch psychologische Personalführung
Wer sich mit Personalführung befasst, kommt am Thema Psychologie für Führungskräfte nicht vorbei. Führungspsychologie ist die wissenschaftliche Grundlage für wirksame Führung. Als Teilgebiet der Wirtschaftspsychologie betreibt sie Führungsforschung. Mit ihren Ergebnissen hilft sie, verbreitete Fehler bei der Mitarbeiterführung in der Praxis zu erkennen und zu vermeiden. Wer sie anwendet, der kann wirksamer führen als herkömmliche Führungskräfte, die sich oft auf spekulative Ansätze, reine Intuition oder das bloße Nachahmen von anderen verlassen.
Das Kapitel gibt einen Überblick zu den Themengebieten dieser spannenden Wissenschaft, liefert eine Definition und zeigt ihre Bedeutung für die Praxis. Es beantwortet Fragen wie: Was ist Führungspsychologie? Welche Themen behandelt sie? Warum ist psychologische Personalführung für die Praxis wichtig? Als erstes gibt der Text einen Einblick in Führung als Wissenschaft. …
In diesem Beitrag:
Psychologie macht Führung zur Wissenschaft
Wie sah der vorwissenschaftliche Umgang mit Führung aus? Das Interesse an Psychologie für Führungskräfte ist alt. Schon viele Jahrtausende spekulierte man darüber, wie Führung gelingt. Daraus ist eine spekulative Psychologie für Führungskräfte entstanden mit Empfehlungen für die Praxis. Eines von vielen Beispielen sind die bekannten Schriften von Niccolò Machiavelli, der insbesondere darlegte, wie man aus seiner Sicht als Machthaber an eben dieser Macht bleibt. Bekannte und gebildete Personen taten sich mit oftmals plakativen und griffigen Aussagen zu Führungsthemen hervor, wie diese (Nietzsche, 1999, S. 100): „Der Irrsinn ist bei Einzelnen etwas seltenes, – aber bei Gruppen, Parteien, Völkern, Zeiten die Regel.“ Was diese Annahme für die Frage nach Einbindung der Mitarbeiter bei Entscheidungen bedeutet, ist offensichtlich. Nur blieb es damals bei Spekulation und (oft auch widersprüchlichen) persönlichen Ansichten, die sich aus Sicht der Vertreter „vernünftig“ anhörten – eine wissenschaftliche Überprüfung fand nicht statt.
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Was hat die Führungspsychologie geändert? Mit dem Aufkommen von statistischen Methoden und empirischen Forschungsdesigns fingen Psychologen an, Fragestellungen der Menschenführung wissenschaftlich zu untersuchen. Seit dem 20. Jahrhundert gibt es umfangreiche empirische Forschung zu Führung. Und genau das ist entscheidend: Sie hat Spekulation ergänzt durch wissenschaftliche Überprüfung. So konnten vielfältige Theorien und Annahmen über Führung entwickelt, überprüft, verbessert oder verworfen werden. Am Ende bleiben so die Annahmen über Führung übrig, die sich am besten mit der Realität decken – ein „survival of the fittest“. Mittlerweile besteht ein hochwirksamer Werkzeugkasten für psychologische Personalführung.
Der Schaukasten zeigt ein konkretes Beispiel, wie man spekulative Annahmen wissenschaftlich überprüfen und im Anschluss bewerten kann.
Beispiel: Ist Fachkompetenz für Führungserfolg wichtig?
Mitunter hört man die spekulative Annahme: „Fachliche Kompetenz für den Bereich, in dem jemand führt, ist für den Erfolg nicht wichtig. Man kann sich ja einfach gute Berater holen, man muss nur wissen, wie man führt.“ Ohne Überprüfung würden jetzt einige Menschen dieser Aussage zustimmen, andere würden widersprechen. Wissenschaftlichen Methoden können hier Klarheit schaffen.
Man kann erstens Fachkompetenz operationalisieren (messbar machen) indem man etwa erhebt, wie lange jemand einschlägige berufliche Erfahrung hat, ob er fachspezifische Bildungsabschlüsse hat und ähnliches.
Und man kann zweitens Erfolg operationalisierten, etwa indem man erhebt, wie produktiv oder innovativ ein geführter Bereich im Vergleich ist und indem man sich Fluktuation und Zufriedenheit der Mitarbeiter ansieht.
Drittens setzt man dann Indikatoren für Fachkompetenz und Indikatoren für Führungserfolg statistisch in Beziehung und prüft, ob statistisch signifikante und vom Ausmaß bedeutsame Zusammenhänge bestehen.
Anhand der Ergebnisse kann man dann eine Aussage treffen über die Bedeutung von Fachkompetenz für den Führungserfolg.
Und wie sieht es jetzt wissenschaftlich aus? Tatsächlich wurde die oben genannte Annahme bereits relativ früh und wiederholt empirisch überprüft. Hohe fachliche Kompetenz im Bereich, den Führungskräfte verantworten, spielt demnach tatsächlich eine Rolle für den Erfolg der Führung, etwa in Form von Arbeitsleistung (Havron und McGrath, 1961; Palmer, 1962). Auch zeigen sich Zusammenhänge zwischen einschlägiger Erfahrung und Ausbildung der Führungskräfte und Innovation in Unternehmen (Becker, 1970; Kimberly und Evanisko, 1981). Das hat ganz klare Implikationen für die Praxis: Wissenschaftlich gesehen, würde man also eine Gynäkologin eher nicht zur Verteidigungsministerin ernennen. Das statistische Risiko für schlechte Ergebnisse wäre zu groß.
Wissenschaft hat natürlich die unwissenschaftliche Spekulation über Führung nicht komplett ersetzt aber entscheidend bereichert. Thesen und Behauptungen ließen sich jetzt überprüfen. Und von dieser Möglichkeit hat man regen Gebrauch gemacht.
Der nächste Abschnitt stellt die wichtigsten Themenund Fragestellungen derFührungspsychologie vor.
Themen der Führungspsychologie
Führungsforschung hat mittlerweile eine Tradition von über einhundert Jahren. Dabei hat sich der „Suchscheinwerfer“ des Interesses stetig auf neue Fragestellungen der Psychologie für Führungskräfte gerichtet und hier Licht in das Dickicht aus Spekulation und ungeprüften Behauptungen gebracht. Besonders zentraleForschungsfragen waren und sind:
Eigenschaften erfolgreicher Führungskräfte
Eigenschaftsorientierte Führungstheorien suchten die Antwort auf erfolgreiche Führung in den Eigenschaften der Person des Führenden. Welche stabilen Eigenschaften von Führungskräften sind tatsächlich entscheidend, welche Personen sollte man auswählen als Führungsverantwortliche, welche Personen sollte man besser verhindern? Gibt es bestimmte Fähigkeiten, die zum Führungserfolg besonders beitragen, was sollte man trainieren? Der Leitgedanke lässt sich folgendermaßen zusammenfassen: „Unterschiedlicher Erfolg in der Führung muss letztendlich an der Person der Führungskraft liegen!“ Dieser Gedanke liegt natürlich nahe, konnte man doch schon lange beobachten, dass bestimmte Feldherren, auch mit unterlegenen Truppen, immer wieder Siege errangen und dass manche politische Machthaber prosperierende Staaten aufbauten, während andere scheiterten. Entsprechend haben Psychologen überprüft, ob bestimmte Persönlichkeitsmerkmale, Fähigkeiten, Motive und auch physiologische Eigenschaften von Führungspersonen mit deren Erfolg zusammen hängen. Von den 1930er Jahren bis heute hat man großflächig verschiedenste Eigenschaften geprüft – bis hin zu einzelnen Genen (De Neve et al., 2013) und Hormonen (Sherman et al., 2016).
Verhalten erfolgreicher Führungskräfte
Verhaltenstheorien der Führung richten seit den 1950er Jahren den Fokus auf das Verhalten von Führungspersonen. Eine Psychologie der Menschenführung, die also direkt am Verhalten ansetzt. Welche Verhaltensweisen sind bei der Mitarbeiterführung besonders wichtig, was sollten Führungspersonen tun, was sollten sie unterlassen? Die Annahme ist: „Führungskräfte zeigen unterschiedliches Verhalten und sind daher unterschiedlich erfolgreich!“ Diese Strömung ist auch dem veränderten Zeitgeist geschuldet. Erschien es den Vertretern dieser Strömung damals vor einem Menschenbild, bei dem alle gleich sind und es keine angeborenen Unterschiede gibt, schwer erträglich, wenn Führungserfolg an der individuellen Person liegen sollte. Entsprechend haben sie untersucht, welche Verhaltensweisen Führungsverantwortliche zeigen und wie diese Verhaltensmuster mit dem Führungserfolg zusammen hängen. Zudem lässt sich Verhalten natürlich leichter ändern als Eigenschaften – etwa durch Trainings und Feedback. Nach wie vor konzentriert sich daher viel Forschung auf das Verhalten von Führungskräften und dessen Veränderung bzw. Entwicklung.
Führung in unterschiedlichen Situationen
Wie wirkt sich die Situation auf Führung aus, welche Personen und Verhaltensweisen sind wann geeignet? Situative Theorien der Führung kamen auf, nachdem weder Eigenschaftsorientierte Führungstheorien noch Verhaltenstheorien der Führung den Erfolg von Führungskräften in unterschiedlichen Situationen zufriedenstellend erklären konnten. Personen, die sich in bestimmten Kontexten (etwa in einem kulturellem Umfeld) als gute Führungskräfte erweisen, scheitern mitunter in anderen Kontexten (etwa in einer anderen Kultur). Verhaltensweisen, die in einer Führungssituation funktionieren, sind unter anderen Umständen ungeeignet. Die Annahme ist hier: „Je nach Situation ist eine ganz andere Führungsperson und ein ganz anderer Führungsstil erfolgreich!“ Entsprechend blicken situative Modelle der Führung stark auf das Zusammenspiel von Führungsperson, Geführten, Aufgabe, Umweltgegebenheiten und Führungsverhalten.
Moderne Perspektiven auf Führung
Moderne Perspektiven auf Führung stehen für aktuelle Forschungsströmungen. Insbesondere behandeln auch Kapitel in diesem Fachtext die Themen Charisma und die Transformation der Geführten zu begeisterten Anhängern, kommunikative Kompetenz und Vertrauen als Basis für eine erfolgreiche Führung sowie Möglichkeiten, um Führungskräfte zu entwickeln. Dabei rücken auch die Mitarbeiter als Teil des Systems mehr in den Fokus: Welche Rolle spielen die Mitarbeiter für den Führungserfolg, welche Eigenschaften sind wertvoll, sollten gesucht und gefördert werden?
Genau genommen richten diese Phasen den Fokus auf verschiedene Aspekte der psychologischen Personalführung. Die Forschung in all diesen Feldern läuft weiter, das Phänomen Führung ist mittlerweile in zehntausenden Studien umfassend erforscht. Obwohl also umfangreiche Forschungsergebnisse und Veröffentlichungen bestehen, sind diese aber vielen Praktikern kaum bekannt. Dieser Text stellt daher in mehreren Kapiteln kompakt die unterschiedlichen Strömungen der Führungspsychologie und deren zentrale Erkenntnisse zur Psychologie der Menschenführung dar, um Führung wirksamer zu machen.
Der nächste Abschnitt definiert Führungspsychologie.
Definition von Führungspsychologie
DiePsychologie als empirische Wissenschaft vom Erleben und Verhalten des Menschen hat sich schon früh als sehr guter Zugang zum Thema Menschenführung bewährt – geht es doch letztlich bei Führung darum, das Verhalten und Erleben anderer Menschen zu beeinflussen. Schließlich erwartet man von Führungskräften etwa, dass Mitarbeiter mehr leisten, sich persönlich weiterentwickeln oder zufriedener und gebundener sind. So ist es nur natürlich, dass vor allem Psychologen das Phänomen Führung erforscht haben.
Für eine Definition von Führungspsychologie ist ein guter Ausgangspunkt die Definition von Psychologie:
Psychologie ist die empirische Wissenschaft vom Erleben und Verhalten des Menschen.
Entsprechend lautet bei einer Psychologie der Führung die Definition:
Führungspsychologie ist die empirische Wissenschaft vom Erleben und Verhalten des Menschen im Kontext von Führung.
Kurz ein paar Anmerkungen zu dieser Definition:
Es geht bei Führungspsychologie nicht nur um direkt beobachtbares Verhalten, sondern auch um Erleben. Dieses bezeichnet nicht direkt beobachtbare Zustände und Prozesse wie etwa Emotionen, Motive, Entscheidungen oder Gedanken. Für die Praxis sind diese Aspekte essentiell: Geht es doch darum, dass Entscheidungen effektiv und effizient getroffen werden, Mitarbeiter motiviert, zufrieden und gebunden sind oder die Emotionen am Arbeitsplatz förderlich für die Ziele. Insbesondere moderne Führungsansätze bauen klar auf psychologische Wirkungen. Ein Beispiel dafür ist der Ansatz der transformationalen Führung (vgl. Bass und Riggio, 2006; Moss, 2009). In einer Zeit, in der eine direkte Kontrolle der Mitarbeiter immer schwieriger wird, setzt dieser Ansatz auf innere Steuerung. Dabei versucht man die Mitarbeiter von egoistischen und individuellen Motiven weg und hin zu einem Zustand innerer Bindung und starker Identifikation mit dem Unternehmen zu führen. Die Ziele des Unternehmens werden dabei zu den Zielen der Mitarbeiter. Das ist natürlich anspruchsvoller als das klassische Versprechen „Geld gegen Leistung!“ und erfordert psychologisches Know-how, eine Psychologie für Führungskräfte.
Empirische Wissenschaft bezieht sich auf das systematische Testen von Annahmen und Theorien an der Realität – mit Forschungsmethoden wie beispielsweise Experimenten. Dem gegenüber stehen unwissenschaftliche Ansätze (Spekulation), die Theorien und Annahmen entwickeln, die sich vielleicht auf den ersten Blick vernünftig anhören, aber diese nicht systematisch testen. Von den über 10.000 Büchern zu Führung, die es mittlerweile gibt, ist die ganz überwiegende Mehrheit nicht empirisch wissenschaftlich geprägt, ja nicht einmal populärwissenschaftlich. Warum dieses Überfluten der Praxis mit ungeprüften Annahmen verheerende Auswirkungen hat, zeigt der nächste Abschnitt.
Psychologie für Führungskräfte ist daher von zunehmendem Interesse. Aber sie sollte eben wissenschaftlich betrieben, Annahmen sorgfältig geprüft werden.
Bedeutung von Führungspsychologie: Warum sie notwendig ist
„Warum ist Führungspsychologie als Wissenschaft für wirksame Führung notwendig? Führung, wie sie praktisch stattfindet, ist doch ein Handwerk!“ So oder so ähnlich lehnen Praktiker mitunter die Beschäftigung mit Wissenschaft ab. Man könnte darauf entgegnen: „Ja, das stimmt. Führung ist ein Handwerk, genauso wie Medizin in der Praxis ein Handwerk ist. Aber Medizin ist auch eine Wissenschaft, praktische Ärzte orientieren sich – zum Glück – stark an Forschungsergebnissen, um gute Entscheidungen zu treffen.“ In der Führungspraxis ist so eine Orientierung an Forschung bisher weniger der Fall. Man ist, um beim Vergleich zur Medizin zu bleiben, oft im vorwissenschaftlichen Zeitalter der Wunderheiler und Alchemisten stehengeblieben. Psychologische Personalführung auf wissenschaftlicher Basis findet kaum statt. Das macht Führung dann riskant und nicht selten schlecht.
Beispiele für die Orientierung an ungeprüften spekulativen Ansätzen gibt es zahlreiche in der Führung. Im folgenden Schaukasten ist eines davon dargestellt und diskutiert.
Beispiel: Tipps zur Personalauswahl vom General
Der General Kurt von Hammerstein-Equord etwa hat vier Gruppen abgegrenzt und dazu „Führungstipps“ abgeleitet:
„Ich unterscheide vier Arten. Es gibt kluge, fleißige, dumme und faule Offiziere. Meist treffen zwei Eigenschaften zusammen. Die einen sind klug und fleißig, die müssen in den Generalstab. Die nächsten sind dumm und faul; sie machen in jeder Armee 90 % aus und sind für Routineaufgaben geeignet. Wer klug ist und gleichzeitig faul, qualifiziert sich für die höchsten Führungsaufgaben, denn er bringt die geistige Klarheit und die Nervenstärke für schwere Entscheidungen mit. Hüten muss man sich vor dem, der gleichzeitig dumm und fleißig ist; dem darf man keine Verantwortung übertragen, denn er wird immer nur Unheil anrichten.“ (zitiert nach Poller, 2010, S. 432)
Für manche Praktiker hören sich solche und ähnliche alltagspsychologischen Annahmen überzeugend an. Sie übernehmen diese dann ohne sorgfältige wissenschaftliche Prüfung, quatschen es voller Überzeugung nach, vermitteln es vielleicht sogar in einem Führungskräftetraining oder schreiben ein populärwissenschaftliches Buch mit dieser „tollen“ Empfehlung zur Auswahl von Führungspersonen und weiteren ungemein praktischen „Expertentipps“.
Wo ist das Problem daran? Das Risiko des stumpfen Anwendens von ungeprüften Annahmen wird schnell sichtbar. Dafür hilft es sich anzusehen, welche Handlungsweisen für Personalauswahl sich aus dem oben genannten Ansatz ganz konkret ergeben:
Top-Führungspositionen: Personen mit geringer Leistungsmotivation aber hoher Intelligenz
mittlere Führungsebene: Personen mit hoher Leistungsmotivation und hoher Intelligenz
untere Ebenen: Personen mit niedriger Leistungsmotivation und niedriger Intelligenz
Nicht eingestellt bzw. entlassen würden: Personen mit hoher Leistungsmotivation aber geringerer Intelligenz
Ein Problem für die Qualität der Führung ist vor allem dann gegeben, wenn die wissenschaftliche Datenlage von den Tipps der Praktiker abweicht. Und das ist allzuoft der Fall. Sind die Maßnahmen von General Kurt von Hammerstein-Equord also tatsächlich zielführend? Das lässt sich schnell wissenschaftlich überprüfen, es gibt zu den zentralen Fragen entsprechende Studien:
Implizit suggeriert er, das vor allem Intelligenz und Leistungsbereitschaft zentrale Eigenschaften von Führungskräften sind. Was aber, wenn noch ganz andere Eigenschaften als Intelligenz und Leistungsmotivation für erfolgreiche Führung wichtig sind?
Tatsächlich sind beispielsweise Extraversion, Offenheit für Veränderung, Verträglichkeit und emotionale Stabilität wesentliche Merkmale, die mit Führungserfolg zusammenhängen (Judge et al., 2002).
Bei Top-Positionen ist Leistungsmotivation nach seiner Annahme sogar schädlich. Was also, wenn Leistungsmotivation generell positiv für den Führungserfolg ist?
Es sieht eher danach aus, blickt man in wissenschaftliche Studien (vgl. Judge et al., 2002).
Was, wenn die als Argument für die Auswahl der Faulen angeführte „Nervenstärke“, auf einer ganz anderen Persönlichkeitsdimension liegt und nichts mit Faulheit zu tun hat? Was, wenn es sogar gegenläufige Zusammenhänge gibt, dahingehend, dass nervenstarke Personen eher leistungsmotiviert sind?
Tatsächlich ist die genannte Nervenstärke in Form von emotionaler Stabilität dem Führungserfolg zuträglich (z.B. Judge et al., 2002). Nur: Nervenstärke ist dem Persönlichkeitsfaktor emotionale Stabilität zuzuordnen, Leistungsmotivation hängt stärker mit einem anderen Faktor zusammen, der Gewissenhaftigkeit (Hurtz und Donovan, 2000). Es gibt also, untersucht man es wissenschaftlich, sowohl faule als auch fleißige Personen, die nervenstark sind. Ja es ist sogar eher so, dass nervenstarke Personen (emotionale Stabilität) auch mit höherer Wahrscheinlichkeit fleißig (leistungsmotiviert) sind (Kim, Shin und Swanger, 2009). Personen, die emotional instabil sind, fällt es offenbar schwerer, sich in kritischen Situationen zu motivieren, wenn emotionaler Stress und Misserfolg eintreten.
Was, wenn seine Idee, faule und dumme Personen als Basis (90 Prozent!) zu nutzen, schlechte Ergebnisse produziert?
Die Datenlage sieht eher danach aus, dass Leistungsmotivation (in Form von Gewissenhaftigkeit) die Leistung von Mitarbeitern durchaus steigert (Hurtz und Donovan, 2000) und mangelnde Intelligenz die Leistung eher gefährdet (z.B. Schmidt, 2002). Die Maßnahme, hier nur dumme und faule Personen auszuwählen, dürfte also stark nach hinten losgehen.
Würde jemand die Tipps des Generals beherzigen, würde er also vermutlich gewaltige Risiken eröffnen und viele Chancen versäumen.
Fazit: Die Führungspsychologie als Wissenschaft von der Führung kann Abhilfe von verbreiteten (aber oft auf den ersten Blick für viele überzeugende) Fehlannahmen zu Führung schaffen – und damit den gröbsten Unfug verhindern. Psychologie für Führungskräfte ermöglicht einen empirisch abgesicherten, wissenschaftlichen Blickwinkel. Praktiker können dann mit wirklich zutreffenden Menschenbildern arbeiten und wesentlich wirksamer führen.
Bei der Führung geht es, ähnlich wie bei der Medizin, um viel. Und für wirksame Führung ist eine wissenschaftliche Basis unerlässlich. Nur gehen zu viele in der Praxis selten so an Führungsfragen heran, man arbeitet fröhlich mit seinen lieb gewonnen Menschenbildern und Überzeugungen. Das diskutiert der nächste Abschnitt.
Führungsforschung und Führungspraxis: Der Stand
Zwar wird das Interesse an der Psychologie der Führung immer stärker, doch ist noch viel Transferarbeit zu leisten. Das zeigt am besten wieder die Analogie mit der Humanmedizin, wie der folgende Schaukasten zeigt.
Beispiel: Der Weg der Medizin zur Wissenschaft
Wer kennt schon nicht Aussagen und Sprüche wie „Die Oma hat jeden Tag geraucht und ist 97 geworden! Ein Geräuchertes hält eben länger!“ oder „Ich habe mich 30 Jahre nicht impfen lassen und keine Probleme damit bekommen!“. Es gab eine Zeit, da hat man sich bei Gesundheitsfragen zuerst an denen orientiert, die alt geworden sind, an Menschen die diese alten Personen befragt haben und an Dingen, die sich auf den ersten Blick vernünftig anhören. Die meisten von uns schmunzeln mittlerweile darüber, wir vertrauen lieber der Wissenschaft und medizinischen Forschungsergebnissen.
Warum ist man in der Medizin nicht dabei geblieben 100-jährige zu Gesundheitstipps zu interviewen und Menschen um Rat zu fragen, die Krankheiten überlebt haben? Der Grund ist einfach: Einer hat eine Krankheit überlebt und sagt, er habe jeden Tag Orangensaft getrunken, das hätte wohl geholfen. Diese Person sammelt einen Fanclub um sich. Jetzt kommt nach einem halben Jahr der nächste Verkünder und sagt, er habe aber jeden Tag Schnaps getrunken und sei auch von der selben Erkrankung genesen. Und das geht so weiter, immer wieder neue Personen und Tipps kommen… Was sollte man jetzt also tun, wenn man an dieser Krankheit erkrankt? Wodka-Orange trinken? Sicher nicht. Mit Einzelfällen ohne statistische und experimentelle Methoden lassen sich grundlegende medizinische Fragen eben nicht zuverlässig beantworten.
In der medizinischen Praxis hat man sich an die empirische Forschung und wissenschaftliche Methoden gewandt. Natürlich gibt es auch noch „die anderen Ansätze“ – aber wissenschaftliche Methoden bestimmen das Feld. Ganz anders beim Thema Führung. In der Führungspraxis dominieren immer noch „die anderen Ansätze“. Sie steckt immer noch in einer Zeit fest, über die die Medizin längst hinweg ist.
Basis für die Führung in der Praxis sind Aspekte wie:
Annahmen, die sich subjektiv vernünftig anhören
(oft unbewusste) Gewohnheiten
Erkenntnissen aus Einzelfällen (Cases) anderer Personen und Unternehmen
Nachahmung von Beispielen und Vorbildern
Tipps von „Gurus“ und anderen Heilsbringern
Der Schaukasten zeigt Beispiele für subjektive Annahmen und die Orientierung an Einzelfällen und Beispielen als Basis für Führung.
Beispiele: subjektive Annahmen und Beispiele als wackelige Basis für Führung
Entsprechend voll ist die Praxis mit Ansätzen und subjektiven Annahmen, die sich oberflächlich betrachtet vernünftig anhören und ohne Beachtung der wissenschaftlichen Datenlage unbedarft angewendet werden. Häufig liegt man damit aber komplett falsch. Ein paar typische Beispiele für derartige, häufig anzutreffende Überzeugungen :
„Wer sich tüchtig reinhängt, der macht dann auch Karriere. Leistung lohnt sich!“
„Teams treffen bessere Entscheidungen als einzelne Personen. Mehr Köpfe sind einfach klüger als einer und viele Augen sehen mehr!“
„Je mehr Frauen in ein Team kommen, desto besser. Die sind eben sozial intelligenter und es gibt dann weniger Konflikt und geringere Fluktuationsraten!“
„Fachkompetenz ist nicht so wichtig bei Führungspositionen. Man kann sich doch einfach gute Berater holen!“
All diese Überzeugungen sind verbreitet, sie hören sich für viele vernünftig an – aber sie sind, wie empirische Forschung gezeigt hat, falsch. Besser ist es daher, sich wissenschaftlich abzusichern.
Die Orientierung an Einzelfällen hört sich dann in etwa so an: „Der Jack Welch von General Electric, der hatte ja super Zahlen, beeindruckend was der erreicht hat. Und er hat ja jedes Jahr die zehn Prozent Mitarbeiter raus geschmissen, die am wenigsten geleistet haben. Und den Top 20 Prozent der Mitarbeiter hat er einen dicken Bonus gezahlt. Der weiß halt wie‘s geht, so motiviert man Mitarbeiter!“ Entsprechend sammeln solche Personen einen Fanclub um sich, der ihre Ansätze übernimmt und nachahmt. Microsoft, Enron und Yahoo sind nur einige der Firmen, die den oben geschilderten Ansatz, Low-Performer systematisch zu identifizieren und zu entlassen, verfolgt haben. Ob die guten Ergebnisse von Jack Welch wirklich daran gelegen haben, überprüften die Nachahmer dabei nicht – es hört sich doch vernünftig an. Natürlich spricht nichts dagegen, sich durch ein Beispiel inspirieren zu lassen – aber nur wenn man die Schlussfolgerungen dann wissenschaftlich prüft.
Diese Orientierung an Einzelfällen und scheinbarer Plausibilität ist für Führung mittlerweile eher Teil des Problems als Teil der Lösung. Dazu tragen auch unwissenschaftliche Veröffentlichungen, Trainings und Beratung rund um Führung bei.
Bücher zu Führung schreiben in der Regel Menschen, die selbst erfolgreich geführt haben oder solche, die sich mit vielen erfolgreichen Führungskräften befasst haben – etwa Biographien studieren oder Interviews mit diesen Personen führen – und deren „Erkenntnisse“ sammeln. Die Situation ist so, als würden Medizinbücher in erster Linie von Menschen verfasst, die erfolgreich 90 geworden sind oder von Autoren, die mit zehn dieser alten und gesund gebliebenen Menschen ausführliche Interviews gemacht haben.
Führungsberatung hat noch immer etwas von einer medizinischen Behandlung, die jemand durchführt, der selbst eine Krankheit überlebt hat und sagt „Ich habe jeden Tag ein Gläschen Orangensaft getrunken. Das wird geholfen haben.“ Entsprechend tummeln sich auch viele Ideologen und selbsternannte Experten auf dem Feld der Führung und verbreiten ihre Heilsversprechen. Empirische Studien der Führungspsychologie finden dagegen vergleichsweise selten Beachtung in der Praxis. Eine Führungskraft hat Erfolg und führt es auf eine bestimmte Maßnahme zurück, andere machen es nach. Wissenschaftliche Studien der Führungspsychologie dazu? Egal.
Fazit: Führung in der Praxis basiert also bislang auf allem möglichen, aber nicht auf einer empirischen wissenschaftlichen Basis, sondern in der Regel auf einer Mischung aus subjektiven Aspekten und Schlüssen von Einzelfällen. Die wissenschaftliche Datenlage und experimentelle Ansätze sind für die meisten Führungskräfte immer noch Fremdwörter. Psychologische Personalführung auf wissenschaftlicher Basis ist die Ausnahme.
Der letzte Abschnitt gibt Hinweise für Bücher zur weiteren Vertiefung.
Führungspsychologie: Literatur und Bücher
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