Nachdem bereits in den vorangehenden Kapiteln Merkmale der Situation besprochen wurden, soll nun kurz auf die geführten Personen geblickt werden. Die vorhandenen Mitarbeiter sind ein entscheidender Erfolgsfaktor für Führung. Wie kann man Führung an Mitarbeiter anpassen? Wie beeinflussen Mitarbeiter die Führung und ihre Ergebnisse? Wie kann man Mitarbeiter aktivieren und ins Boot holen für bessere Führung? Das zeigt dieses Kapitel. …
In diesem Beitrag:
Führung anpassen an Mitarbeiter
Führung wird meist als reine Angelegenheit der Führungskräfte betrachtet. Soll Führung gemessen oder verbessert werden, setzt man entsprechend aus Gewohnheit an den Führungskräften an. Dabei vergisst man, dass Führung ein sozialer Prozess der Beeinflussung ist, zu dessen Erfolg auch die Mitarbeiter entscheidend beitragen (Hollander, 1992). Soll Führung erfolgreich sein, dann ist also das gesamte System aus Führungskräften und Geführten zu beachten. Eine simple Tatsache legitimiert diese Perspektive: Ohne Geführte keine Führung.
Interaktionsmodelle der Führung berücksichtigen nicht nur die Situation, in der Führung stattfindet, sondern zusätzlich auch die Merkmale der Geführten. Die Ergebnisse eines Führungsstils hängen sowohl von situativen Rahmenbedingungen als auch von den Merkmalen der Geführten ab.
Welche Eigenschaften der Mitarbeiter sind am wichtigsten für den Führungserfolg? Hier eine kurze Übersicht:
Anzahl
Bereits die Anzahl geführter Personen bedingt, wie geführt werden kann. Je mehr Mitarbeiter eine Führungskraft hat, desto weniger Partizipation und mitarbeiterorientierte Führung sind möglich.
fachliche Kompetenz
Hohe fachliche Kompetenz der Geführten ermöglicht einen weniger aufgabenbezogenen und demokratischen Führungsstil. Erst wenn die nötige Kompetenz bei den Mitarbeitern vorhanden ist, können Eigenverantwortung und Freiheit sinnvoll eingesetzt werden.
Leistungsnorm und Motivation
Auch die Leistungsnorm und Motivation der Geführten sind wesentlich. Bei mangelnder Motivation und niedriger Leistungsorientierung ist ein direktiver und kontrollierender Führungsstil angebracht. Möglicherweise ist es sogar sinnvoll, die Gruppe aufzulösen und neu zu gestalten.
Der Zusammenhalt der Mitarbeiter untereinander, die Kohäsion, ist wichtig für den Führungsstil. Ist die Kohäsion gering, sollten Mitarbeiter eher als einzelne Individuen separat geführt werden. Ist die Kohäsion hoch, dann kann die gesamte Gruppe geführt werden und sich stärker selbstständig regulieren.
kulturelle Prägung
Je nach kultureller Prägung der Geführten werden ganz andere Führungsstile erwartet und andere Ansätze häufig abgelehnt.
Indem Führungskräfte diese Merkmale von Mitarbeitern berücksichtigen, können sie ihren Führungsstil anpassen und wesentlich erfolgreicher führen. Dennoch wäre es etwas unambitioniert dabei stehen zu bleiben. Warum nicht die Mitarbeiter selbst mehr in die Pflicht nehmen, damit Führung erfolgreich ist?
Erfolgsfaktor Mensch: Mitarbeiter ins Boot holen
Erfolgsfaktor Mensch. Wer das sagt, meint meist die Mitarbeiter – und das mit einiger Berechtigung. Letztendlich hängt effektive Führung davon ab, ob die Geführten die Ziele in ihrem Verhalten umsetzen. Der Erfolg von Führung liegt in der Interaktion von Führungskraft und Geführten begründet. Anders ausgedrückt: Führung ist keine Einbahnstraße! Bei der Führung geht es darum, Verhalten in Richtung von Zielen zu beeinflussen. Je besser die Mitarbeiter das unterstützen, desto erfolgreicher wird Führung sein. Es kann also genau heißen „Erfolgsfaktor Mitarbeiter“. Wie können also Mitarbeiter zu einer guten Führungskultur und einer erfolgreichen Führung beitragen, wie können Führungskräfte sie aktivieren?
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Diese Maßnahmen können Mitarbeiter aktivieren:
Perspektivwechsel
Führung wird von Mitarbeitern oft als reine Aufgabe der Führungskräfte gesehen. Diese Perspektive ist wenig hilfreich, denn damit wird die Verantwortung einfach abgegeben, nach oben delegiert. „Die Führungskraft ist verantwortlich dafür, das gut geführt wird, denn sie ist ja die Führungskraft! Wenn es nicht gut läuft bei uns, dann ist sie schuld.“ Ein Perspektivwechsel ist erforderlich. Hier ist wichtig, die Mitarbeiter für ihre Rolle im System zu sensibilisieren, damit sie ihren Beitrag zum Führungserfolg erkennen und leisten.
proaktives Verhalten
Viele Führungsthemen leben davon, dass Mitarbeiter sich beteiligen und mitmachen, kurz gesagt proaktives Verhalten zeigen. Was nützen Entscheidungen, bei denen die Mitarbeiter sich stark einbringen können, wenn die Mitarbeiter kein Interesse daran haben. Auch Vorschläge und Innovationen leben von den Beiträgen der Mitarbeiter. Sicher kann eine Führungskraft die Rahmenbedingungen für proaktives Verhalten schaffen und auf Möglichkeiten hinweisen, ggf. etwas motivieren. Viel mehr kann die Führungskraft aber nicht tun. Hier muss proaktives Verhalten der Mitarbeiter hinzukommen, damit sie sich in Entscheidungen konstruktiv einbringen, aktiv dazu beitragen, dass Arbeitsprozesse strukturierter werden und es den Mitarbeitern besser am Arbeitsplatz geht. Auch das ganze Thema Entwicklung, Weiterbildung und Karriere hängt eher an den Mitarbeitern selbst als nur an der Führungskraft. Nicht selten kommt man als Berater bei Führungsfeedbacks in etwas verwunderliche Situationen, die auch an mangelndem proaktivem Verhalten der Mitarbeiter liegen. Beispielsweise sagen die Mitarbeiter „Unsere Führungskraft unterstützt nicht unsere Weiterbildung und macht keine Angebote!“ Die Führungskraft sagt aber „Ich wäre froh, wenn jemand eine Weiterbildung besucht. Bei mir hat aber keiner danach gefragt.“ Beide Seiten würden also gerne – aber keiner fängt ein Gespräch darüber an.
Handlungsfähigkeit
Je handlungsfähiger die Mitarbeiter, desto besser gelingt Führung. Dazu gehört, dass Mitarbeiter einerseits fachlich kompetent sind und diese Kompetenz auch pflegen. Zum anderen gehört dazu, dass Mitarbeiter sich etwas zutrauen und bereit sind, eigenständig zu arbeiten und Verantwortung zu übernehmen. Das lässt sich gemeinsam mit der Führungskraft systematisch entwickeln, sicher aber kann die Führungskraft das nicht von außen erzwingen.
Motivation
Sind Mitarbeiter nicht motiviert, dann wird Führung oft sehr unmenschlich und kontrollierend, um überhaupt noch zu funktionieren. Das ist schade. Besser ist es natürlich, wenn es gelingt Mitarbeiter zu motivieren. Auch dazu können und sollten Mitarbeiter einen großen Beitrag leisten. Motivation kann nicht nur von außen, extrinsisch, kommen. Mitarbeiter sind hier gefordert, gemeinsam mit der Führungskraft zu klären, welche Tätigkeiten besonders ihren Motiven entsprechen und wie diese Tätigkeiten gestaltet werden können, um den Motiven der Mitarbeiter zu entsprechen.
Klima im Team
Ein gutes Klima im Team, das durch Zusammenhalt und gute Koordination mit gegenseitiger Unterstützung geprägt ist, ist eine wesentliche Voraussetzung für gute Führung. Teams, die innerlich zerrissen sind, mit Konflikten kämpfen und keine klare Rollenverteilung mit klaren Verantwortlichkeiten haben, sind sehr schwer zu führen. Sicher kann eine Führungskraft hier einiges beitragen für ein gutes Klima im Team – und die einzelnen Mitarbeiter können noch mehr dazu beitragen.
Folgende Tipps diskutieren die Bedeutung von Kompetenz und Motivation der Mitarbeiter für den geeigneten Führungsstil.
Praxistipps
Insbesondere unterschiedliche Ausprägungen von Kompetenz und Motivation erfordern einen anderen Führungsstil.
Ist ein Mitarbeiter hoch kompetent und hoch motiviert, dann sollte die Führungskraft sehr stark auf Selbständigkeit und Autonomie setzen, wenig aufgabenorientiert und hoch partizipativ führen.
Bei geringer Motivation und geringer Kompetenz ist ein direktiver und aufgabenorientierter Führungsstil erforderlich, der versucht, langsam mehr Kompetenz aufzubauen und durch die schrittweise Übertragung von Verantwortung zu motivieren.
Ist die Kompetenz hoch und die Motivation niedrig, ist eine sehr an der Person ausgerichtete mitarbeiterorientierte Führung hilfreich, bei der die Führungskraft direktiv und kontrollierend startet und versucht, an den individuellen Bedürfnissen des Mitarbeiters abgestimmt Verantwortungsspielraum zu geben, um zu motivieren.
Bei niedriger Kompetenz und hoher Motivation ist ein stark aufgabenorientierter und unterstützender Führungsstil ratsam, der darauf setzt, Kompetenz durch Lernen “on the Job” aufzubauen.
Darüber hinaus sollten Führungskräfte nicht dabei stehen bleiben, nur auf ihre Mitarbeiter und deren Merkmale zu reagieren. Es geht darum, die Mitarbeiter ins Boot zu holen und dafür zu gewinnen, ihren Beitrag für gute Führung zu leisten.
Eine Theorie, die explizit ein unterschiedliches Verhalten gegenüber verschiedenen Teammitgliedern von Führungskräften einfordert, ist das Reifegradmodell. Dabei wird explizit berücksichtigt, wie Mitarbeiter sich entwickeln können, um Führung erfolgreicher zu machen. Diese Theorie wird im nächsten Kapitel vorgestellt.