Was macht man mit Wirtschaftspsychologie? In welche typischen Berufe führt ein Studium der Wirtschaftspsychologie, welche Berufschancen eröffnen sich? Was macht ein Wirtschaftspsychologe? Wirtschaftspsychologen finden sich in vielen Berufen. Das liegt daran, dass Psychologie fast überall in der Wirtschaft zu einem entscheidenden Erfolgsfaktor geworden ist – im Umgang mit Kunden, im Umgang mit Mitarbeitern, in der Gestaltung von Arbeit, Produkten und Kommunikation, im Umgang mit Investoren, im Umgang mit Politik und der Öffentlichkeit. Entsprechend vielfältig sind die Jobs.
Dieses Kapitel zeigt die wichtigsten Berufe für Wirtschaftspsychologen, stellt Anwendungsbeispiele für Psychologie in diesen Berufen vor und diskutiert Jobaussichten, Berufswege und Karriereperspektiven. …
In diesem Beitrag:
Was macht man mit Wirtschaftspsychologie? Stärken von Psychologen
Psychologen haben bestimmte Stärken, die sie beruflich einbringen können.
Sie haben ein grundlegendes Verständnis darüber, wie Menschen funktionieren und Entscheidungen treffen, das weit hinaus geht über oberflächliche Betrachtungen und Perspektiven, die man in anderen Studiengängen dazu vermittelt.
Sie haben gelernt mit Menschen umzugehen, Informationen über sie zu gewinnen und andere zu beeinflussen.
In der Regel haben sie durch eine umfassende Methodenausbildung Kenntnisse zu Versuchsplanung, experimentellen Designs und statistischen Methoden, wie es sie in keinem anderen Studiengang in dieser Kombination gibt.
Diese Stärken braucht man in ganz verschiedenen Bereichen der Wirtschaft – denn Menschen und ihr Verhalten spielen fast überall eine Rolle. Vielleicht finden sich gerade deshalb bei Wirtschaftspsychologen die vielfältigsten Karrieren.
Die folgenden Abschnitte skizzieren jeweils knapp einzelne typische Berufsfelder für Wirtschaftspsychologen.
Karriere in der Personalpsychologie
Begriffe wie „Human Resources“ oder „Humankapital“ waren vielleicht ursprünglich nicht so gemeint, wie sie sich anhören, sie sind aber nicht mehr zeitgemäß: Mitarbeiter sind Menschen, keine leblose Ressource und Psychologie hilft, wenn es darum geht, die besten Mitarbeiter auszuwählen, wirksam einzusetzen, zu motivieren und zu entwickeln.
Personalpsychologen geht es einmal um die Auswahl der geeigneten Personen. Typischerweise gestalten sie Bewerbungsprozesse, Auswahlgespräche und setzen eignungsdiagnostische Verfahren (psychologische Tests oder Assessment Center) ein.
Sie helfen bei der Zuordnung der Mitarbeiter zu den geeigneten Stellen und Tätigkeiten und
steuern die Weiterentwicklung des Personalbestandes.
Diese Expertise ist in der Praxis dringend notwendig, wie folgendes Beispiel zeigt.
Beispiel: Psychologie verbessert die Trefferquote bei der Auswahl von guten Führungskräften
Warum sind Psychologen bei der Personalauswahl so wichtig, welchen Unterschied können sie machen? Unternehmen sollten ihre Führungskräfte nach betriebswirtschaftlicher Logik auswählen – eigentlich. Das bedeutet letztlich denjenigen mehr Verantwortung zu geben, die gute Ergebnisse liefern (werden) und denen weniger Verantwortung, die schlechte Ergebnisse liefern (werden). Dazu gibt es zwei Wege:
Harte Messung von Leistung der Führungskräfte und Verbinden von Personalentscheidungen damit. Ähnlich wie in der Fußball-Bundesliga steigt in so einem System derjenige auf, der gute Ergebnisse liefert – und derjenige steigt ab, der schlechte Ergebnisse liefert. Jeder Mitarbeiter wüsste dann: „Wer oben ist, der ist zu recht oben, weil er geliefert hat – und auch nachhaltig liefern muss. Wenn er nicht liefert, geht es wieder abwärts.“ Das Problem: In den wenigsten Unternehmen wird Leistung belastbar gemessen. Und selbst wenn, dann sind Karriereentscheidungen nicht transparent damit verknüpft. Abwärts geht es schon gleich gar nicht mehr so einfach, wenn die Ergebnisse nicht stimmen.
Hier können Psychologen helfen. Sie sorgen dafür, dass Ziele messbar definiert sind, Leistung hart gemessen wird und Personalentscheidungen auf einer rationalen und transparenten Basis erfolgen.
Der Zweite Weg ist, systematisch Menschen als Führungskräfte auszuwählen, die Eigenschaften mitbringen, die mit guter Leistung statistisch einhergehen. Damit können Psychologen die Wahrscheinlichkeit erhöhen, dass Führungskräfte gute Ergebnisse liefern. Mittlerweile ist auch gut erforscht, welche stabilen Eigenschaften dazu wichtig sind.
Ein paar Beispiele: Hohe fachliche Kompetenz im Bereich, den Führungskräfte verantworten, spielt beispielsweise eine Rolle für den Erfolg der Führung (Havron und McGrath, 1961; Palmer, 1962). Das bedeutet – statistisch gesehen – ist es beispielsweise sinnvoller, ein ausgebildeter Militär ist Verteidigungsminister als eine Gynäkologin. Intelligenz gilt insgesamt als einer der besten Prädiktoren für berufliche Leistung von Menschen, insbesondere bei komplexen Tätigkeiten (Schmidt und Hunter, 1998). Auch bei Führungskräften hat sie sich als bedeutsam erwiesen (Lord, De Vader und Alliger, 1986; Judge, Colbert und Ilies, 2004). Es ist nicht verwunderlich, dass klassische Intelligenz mit Führungserfolg im Sinne von objektiver Leistung zusammenhängt. Extraversion selbst und die beiden Unterdimensionen Dominanz und sozialer Anschluss hängen positiv mit dem Führungserfolg zusammen (Judge et al., 2002). Alle drei genannten Eigenschaften lassen sich gut messen und sind wichtig. Das Problem hier: Kaum ein Unternehmen misst diese Eigenschaften wissenschaftlich seriös (wenn überhaupt) bei der Auswahl der Führungskräfte.
Psychologen können hier einen Unterschied machen, indem sie dafür sorgen, dass die relevanten Eigenschaften seriös gemessen und bei der Auswahl von Führungskräften berücksichtigt werden.
Ist das alles notwendig, sind Unternehmen hier nicht schon fit genug, die Führungskräfte erkennen doch wer ein Talent ist, wozu braucht es noch Psychologen? Nach allen Daten, die wir haben, ist die Realität erschütternd. Da Leistung bei Karriereentscheidungen nur wenig berücksichtigt wird, gibt es zahlreiche irrationalen Karrierefaktoren. Diese sind mittlerweile gut erforscht, aber wenig bekannt in der Praxis. Sie muten auch vielen eher exotisch an und entsprechende Forschungsergebnisse sind für den Laien oft überraschend und schwer zu glauben. Welche irrationalen Eigenschaften begünstigen also Karriere? Dazu gehören beispielsweise Körpergröße (z.B. Hensley, 1993; Judge und Cable, 2004), tiefe Stimmen (Tigue et al., 2012; Klofstad, 2016), Ähnlichkeit mit den Entscheidern (McGinn und Milkman, 2013) und physische Attraktivität (Judge, Hurst und Simon, 2009). Zudem hängt Maskulinität deutlich mit der wahrgenommenen Eignung als Führungskraft zusammen (Lord, De Vader und Alliger, 1986).
Fazit: Unternehmen sind augenblicklich weit davon entfernt ihre Personalentscheidungen rational zu treffen. Psychologen können hier einen entscheidenden Unterschied machen. Sie sorgen dafür, dass diejenigen Personen als Mitarbeiter ausgewählt werden, auf entsprechende Stellen gesetzt werden, nach oben gelangen und dort bleiben, die gute Ergebnisse liefern. Damit ermöglichen Psychologen entscheidende Wettbewerbsvorteile gegenüber den anderen Unternehmen, die obskuren Personaldienstleistern, mit ihren selbst-gebastelten Tests oder dem scheinbar gesunden Verstand ihrer Führungskräfte die Personalentscheidungen überlassen.
Für diese Anforderungen sind psychologisches Fachwissen und insbesondere methodische und diagnostische Kompetenz von hoher Bedeutung. Vor dem Hintergrund der Globalisierung empfehlen sich interkulturelle Kenntnisse.
Experte für Arbeitspsychologie, Motivation, Führung und Veränderung
Psychologen können auch sehr gut Prozesse gestalten – etwa Arbeit. Die psychologische Optimierung von Arbeit zur Steigerung von Zufriedenheit, Motivation, Gesundheit und Leistung ist ein klassisches psychologisches Handlungsgebiet. Eng damit zusammen hängen Aspekte der Führung, Motivation und Organisation sowie die psychologische Begleitung von Veränderungsprozessen. Das für diese psychologischen Zielbereiche (wie Motivation) Psychologen gefragt sind, ist nicht weiter verwunderlich. Der Schaukasten zeigt wie Psychologie Arbeit motivierender gestaltet.
Beispiel: Psychologie macht Arbeit sexy
Für manche Menschen ist es schwer vorstellbar: Arbeit ist nicht nur ein Mittel zum Zweck (beispielsweise Gehalt), sondern Arbeit kann auch selbst ein Zweck sein – wenn sie richtig gestaltet ist. Wie das geht, zeigt das Job-Characteristics-Model, das ursprünglich Hackman und Oldham vorgestellt haben (Hackman und Oldham, 1980) und das stetig weiterentwickelt wurde. Fasst man den aktuellen Forschungsstand zusammen, dann gibt es mehrere zentrale Merkmale von Arbeit bzw. Arbeitsaufgaben (z.B. Christian, Garza und Slaughter, 2011; Bakker und Demerouti, 2007), die sich positiv auf die Motivation auswirken. Hier die Liste:
Ein erster wesentlicher Aspekt von Arbeitsaufgaben ist die Abwechslung. Im Zeitalter der Industrialisierung traten zahlreiche sehr monotone Tätigkeiten auf, bei denen Mitarbeiter mitunter den ganzen Tag immer wieder nur ein paar Handgriffe zu erledigen hatten. Ermüdung, mangelnde Motivation und teilweise auch depressive Verstimmungen waren als psychologische Effekte zu beobachten. Die Verhaltenskonsequenzen waren niedrige Arbeitsleistung und hohe Fehlzeiten. Hohe Abwechslung geht dagegen mit stärkerer Arbeitsmotivation einher (Beckers et al., 2004; van den Broeck et al., 2008).
Ein zweiter wesentlicher Aspekt von Arbeitstätigkeiten ist die Ganzheitlichkeit von Aufgaben. Bei Tätigkeiten, die nach Produktionsgesichtspunkten technisch sinnvoll zergliedert werden, fehlt häufig eine psychologisch sinnvolle Gliederung – und damit fehlt dann auch das Gefühl der Zuständigkeit. Mitarbeiter, die dagegen das Gefühl haben, für einen ganzen abgeschlossenen Prozess verantwortlich zu sein, nehmen eine höhere Bedeutsamkeit der Aufgabe wahr und können sich besser damit identifizieren.
Menschen brauchen bei ihrer Tätigkeit das Gefühl von Bedeutsamkeit. Nietzsche hat das gut auf den Punkt gebracht mit „Wenn man ein Wozu des Lebens hat, erträgt man jedes Wie.“ Entsprechend wesentlich ist daher die Aufwertung einer Arbeit in der psychologischen Bedeutung für die Mitarbeiter.
Die meisten Personen reagieren mit erhöhter Motivation auf Autonomie und Eigenverantwortung (vgl. Christian, Garza und Slaughter, 2011). Daher ist empfehlenswert, dem Mitarbeiter möglichst Freiräume zu geben, sich selbst zu organisieren und die Wege frei zu wählen, um Arbeitsziele zu erreichen. Maßnahmen können z.B. der Abbau von Kontrolle und vergrößerte Entscheidungsbefugnisse sein. Wichtig ist, dass das gewünschte und optimale Ausmaß an Autonomie natürlich von Mitarbeiter zu Mitarbeiter verschieden sind.
Tätigkeiten bei denen die Rückmeldung über die Zielerreichung ausbleibt, motivieren nicht. Alleine die simple Darstellung von Menge und Qualität der Leistung erhöhte die Leistung der Mitarbeiter bereits um ca. 20 Prozent (Stajkovic und Luthans, 2001).
Zeitdruck bezieht sich auf das Tempo (bzw. Zeitfenster), in dem Mitarbeiter bestimmte Arbeitsaufgaben und Arbeitsmengen in bestimmter Qualität erledigen sollen (Zapf, 1993). Auch viele Studenten berichten, dass sie ohne Zeitdruck wenig motiviert sind, nicht intensiv lernen und kaum voran kommen mit ihrem Studium. Bei Arbeitnehmern weisen die Forschungsergebnisse in die selbe Richtung (Crawford, LePine und Rich, 2010).
Marketingpsychologie – Schlüssel im Kampf um die Kunden
Wirtschaftspsychologen machen häufig Karriere im Marketingbereich. Ein Grund dafür ist der starke Wettbewerb und die verstärkte Marktorientierung von Unternehmen. Auch sind wirklich objektivierbare Unterschiede zwischen Angeboten gering und können oft schnell imitiert werden. Die zentrale Bedeutung von Kunden und anderen Zielgruppen und ihrem Verhalten für den Unternehmenserfolg ist der Praxis daher zunehmend bewusst.
Der Bedeutung von psychologischen Kenntnissen kommt auch eine deutliche Bewegung des Marketings in psychologische Themenbereiche zugute. Nahezu alle aktuellen großen Themen im Marketing sind stark psychologisch orientiert: dazu zählen z.B. die Bereiche Kundenzufriedenheit und Kundenbindung, Markenführung und Markenwert, Beziehungen mit Kunden, Konsumentenverhalten und Entscheidungsprozesse im B2B-Bereich. Systeme zum Sammeln und Auswerten von Kundendaten (datamining, big data) werden immer komplexer. Hier haben Psychologen durch ihre hohe methodische Kompetenz und den wissenschaftlichen Hintergrund entscheidende Vorteile. Viele Verfahren, die in den Unternehmen und der Betriebswirtschaft an Bedeutung gewinnen (etwa die faktorenanalytischen Verfahren), stammen aus der Psychologie. Dieser Wissensvorsprung ist gefragt und zahlt sich aus.
Der Schaukasten zeigt am Beispiel von Supermärkten, wie zentral psychologische Gesichtspunkte das Marketing bestimmen.
Beispiel: Psychologie optimiert Supermärkte
Supermärkte gibt es seit Jahrzehnten. In dieser Zeit haben die Anbieter viel experimentiert und geforscht, Konzepte behalten, die funktionieren, Ansätze verworfen, die nicht funktionieren. Gleichzeitig haben sich diejenigen Supermarktketten durchgesetzt, die sich besser auf ihre Kunden eingestellt haben, alle anderen wurden verdrängt, übernommen oder sind insolvent. Ein heutiger Supermarkt ist also extrem durchdacht und psychologisch optimiert. Eine kleine „Reise“ durch einen Supermarkt macht das deutlich.
Los geht es, bevor wir in den Supermarkt gehen. Wir schnappen uns einen Einkaufswagen – und dieser ist häufig vollkommen überdimensioniert, erst recht für die Single-Gesellschaft, die deutsche Großstädte bestimmt. Warum ist der Einkaufswagen bei vielen Anbietern so groß, obwohl die meisten ja nicht eine ganze Schulklasse ernähren müssen? Er ist so groß, weil es unbewusst eine Norm vermittelt: Es ist normal so viel einzukaufen! Der Einkaufswagen suggeriert uns also ständig „Ich bin noch so leer, du verhältst dich nicht normal, leg noch mehr rein!“.
Wir gehen durch die Türe in den Supermarkt und sind nahezu immer im Obst- und Gemüsebereich. Warum kommt dieser Bereich als erstes? Weil er den ersten Eindruck vermittelt und der erste Eindruck ist wichtig, prägt die weitere Informationsverarbeitung. Der Obst- und Gemüsebereich vermittelt mehrere Dinge: „Hier ist es gesund und frisch!“ Das ist bei einer zunehmenden Sensibilisieren breiter Teile der deutschen Konsumenten für Gesundheit wichtig. Nicht zuletzt hat selbst McDonald’s den roten Hintergrund im Logo hinter dem goldenen „M“ durch grün ersetzt und die rot/weiße Plastik-Optik der Filialen durch Holz-Optik (selbstverständlich immer noch aus Plastik). Auch wenn also nach dem Obst- und Gemüsebereich meterlange Kühlregale mit Fertigprodukten und Junk-Food stehen: Die Kunden wollen ein gutes Gewissen beim einkaufen. Das bekommen sie durch diesen Start. Aber der Obst- und Gemüsebereich kann noch mehr. Er vermittelt die Atmosphäre eines kleinen persönlichen Marktes, des netten, kleinen Gemüsehändlers: Denn viele Kunden wollen bei einer Person einkaufen, nicht bei einem anonymen, großen Konzern. Ausserdem überflutet dieser Bereich uns auf verschiedenen Sinneskanälen. Wir sehen die leuchtenden Farben der Früchte, riechen Obst und Gemüse und langen diese Produkte auch gerne an. Das bremst uns, holt uns als Reizkonstellation psychologisch aus dem Alltag in den „Kaufmodus“ hinein. Wir werden uns jetzt langsamer durch den Rest des Supermarktes bewegen, dadurch mehr Zeit im Markt sein, mehr sehen und mehr Impulskäufe tätigen.
Auf unserem Einkaufszettel stehen mehrere Produkte. Der Supermarkt weiß durch die Auswertung seiner Kassensysteme, welche Produkte viele Menschen kaufen. Diese Produkte sind tief im Markt platziert und auch oft weit voneinander entfernt, damit wir durch den ganzen Markt gehen und weite Wege zurücklegen. Je weiter wir gehen müssen, desto mehr Produkte sehen wir – und je mehr wir sehen, desto mehr kaufen wir. Typischerweise ist beispielsweise das Fleisch weit vom Eingang entfernt platziert. Auch die Milchprodukte sind oft weit vom Eingang entfernt und zudem weit weg vom Fleisch. Und die Scannerkassen verraten dem Supermarkt noch mehr: Welche Produkte werden oft in Kombination gekauft? Es gilt diesen Verbundeffekt zu nutzen. In der Folge finden sich oft Produkte an Orten, an denen diese normalerweise nicht stehen. Bier steht auf einmal neben der Grillkohle, anstatt in der Getränkeabteilung, Serrano-Schinken findet sich auf einmal in der Obst-Abteilung neben den Honigmelonen. Kunden bekommen so immer komplementäre Produkte angeboten und kaufen mehr.
Der ganze Supermarkt ist auch sonst so aufgebaut, dass wir möglichst lange drin sind und möglichst weite Wege (oft möglichst langsam) zurücklegen. Dazu gehört auch, dass man Kundenwege so plant, dass fast der gesamte Markt durchlaufen wird. Mit unterschiedlichen Bodenbelägen kann man das Tempo der Kunden steuern. Gleiche Funktionen haben Wühlkisten in den Gängen (man nennt das treffend „Blocking“) und die leider oft obligatorische Schlange an der Kasse. So lange wir an der Kasse warten, platziert der Markt rechts und links von uns Impulsartikel, die wir nicht vor hatten zu kaufen und verdient an unserer Wartezeit ggf. noch mit dem Verkauf von Werbeplätzen auf den Displays über der Schlange.
Wo die Produkte in den Regalen stehen, ist kein Zufall. Auf Augenhöhe ist die Sichtzone. Hier haben Produkte die größte Wahrscheinlichkeit aufzufallen – und damit gekauft zu werden. Gut ist auch gleich darunter die Greifzone. Hier fallen uns Produkte auf und wir können diese bequem in unseren Einkaufswagen nehmen. Deutlich schwieriger ist es für Produkte ganz unten in der Bückzone oder ganz oben in der Reckzone. Oft gehen wir einfach zu schnell vorbei, etwa weil wir auch der Arbeit schnell heim wollen zum Abendessen und greifen das meist teurere Produkt aus den begehrten Zonen. Oder weil es uns nicht wirklich interessiert, was ein Päckchen Nudeln kostet, nehmen wir einfach das teure aus der Greifzone. Die anderen Kunden, die dann wirklich preissensibel sind, sich Zeit nehmen (können) und Angebote vergleichen, können sich bücken und strecken. Aber freiwillig gibt uns der Markt nicht die günstigeren Alternativen, die ihm weniger Marge bringen.
Auch sonst überlässt ein moderner Supermarkt nu wenig dem Zufall. Musik und Düfte beeinflussen unsere Produktpräferenzen, das Tempo, mit dem wir uns bewegen und unsere Preisakzeptanz.
Fazit: Zwar sagt man „Der Kunde ist König!“ aber das Machtverhältnis ist asymmetrisch: Als Kunden gehen wir unter Zeitdruck durch den Markt und treffen sehr schnell und alleine oft wenig bewusste Entscheidungen. Auf der andren Seite steht eine ganze Armee aus Psychologen, die seit Jahrzehnten systematisch und wissenschaftlich fundiert nur eines optimiert – die Beeinflussung unserer Kaufentscheidungen.
Marktforschung als Berufsfeld für Wirtschaftspsychologen
Ein großes und schnell wachsendes Arbeitsfeld für Wirtschaftspsychologen ist die Markt- und Meinungsforschung. In den letzten zehn Jahren hat sich der Umsatz in dieser Branche auf über 18 Milliarden Euro verdoppelt. Europa ist mit derzeit mehr als 40% des Weltmarktes der mit Abstand wichtigste Marktforschungsmarkt. Entsprechend dominant sind europäische Marktforschungskonzerne. Deutschland ist international vorne mit dabei. Große Player wie TNS-Infratest oder die GfK sowie zahllose kleinere spezialisierte Unternehmen bieten interessante Arbeitsplätze in diesem Bereich.
Ein Psychologiestudium bereitet gut auf typische Tätigkeiten in der Marktforschung vor. Die hohe methodische Kompetenz von Psychologen bei der Auswertung und Interpretation von Daten ist hier ebenso erforderlich, wie die Fähigkeit, Fragen und Fragebögen erstellen und beurteilen zu können. Gerade im Bereich, der zunehmend nachgefragten qualitativen Methoden, wie Fokusgruppen oder nondirektive Interviews, liegt eine psychologische Kernkompetenz. Darüber hinaus werden von Marktforschungsunternehmen vermehrt fertige „Tools“ eingesetzt. Diese werden häufig von Psychologen entwickelt. Das Wissen im Bereich Testkonstruktion kann hier sehr gut eingesetzt werden.
Beispiel: Psychologie nicht beachtet, Coca-Cola scheitert mit New Coke
In den 80er Jahren griff Pepsi den Wettbewerber Coca Cola massiv mit einer Marketingoffensive an. Geschmackstests hatten gezeigt, dass Pepsi im Blindversuch wesentlich mehr Menschen besser schmeckt als Coka-Cola. Das wurde mit Promotion-Ständen von Pepsi gegen den Wettbewerber genutzt: Unter dem Titel „The Pepsi Challenge“ wurden Personen zum Verkosten von Cola aufgefordert – im Blindversuch mit Cola in neutralen weißen Plastikbechern. Das bedeutet, ihnen war nicht bekannt, welche Marke sie trinken. Die Personen sollten an den Promotionständen angeben, welche Cola ihnen besser geschmeckt habe, dann wurde das Ergebnis aufgedeckt. Es war bei den meisten Pepsi-Cola, die ihnen besser schmeckte.
Coca-Cola geriet unter Druck und fing an, mit neuen Rezepturen zu experimentieren. Nach Jahren der intensiven Forschung und tausenden von Verkostungsversuchen war man sich sicher: Die neue Formel schmeckt besser! 1985 wurde die objektiv besser schmeckende Cola unter dem Namen New-Coke in den USA auf den Markt gebracht, die alte Coca-Cola aus dem Markt genommen.
Doch es gab massive Absatzprobleme für die New Coke. Nach Protesten der Verbraucher (Motto: „Coca-Cola ist USA – die dürft ihr uns nicht nehmen, die gehört nicht euch! Gebt uns unsere alte Coke zurück!“), Hamsterkäufen der alten Coca-Cola und einem sich entwickelnden Schwarzmarkt dafür wurde bald die ursprüngliche Rezeptur unter dem Namen Coca-Cola Classic wieder eingeführt. Was war geschehen? Coca-Cola hatte sich bei der Such nach einer Antwort auf die Angriffe von Pepsi rein auf den Geschmack konzentriert. Damit hatte Coca-Cola den benötigten Informationsbedarf klar viel zu eng eingegrenzt, die Psychologie der Konsumenten ignoriert. Coca-Cola hatte über Jahrzehnte mit massivem emotionalen Marketing eine sehr starke emotionale Bindung an die Marke geschaffen. Viele Kunden hatten sich mit Coca-Cola sehr stark identifiziert. Durch den starken Wechsel des äußeren Erscheinungsbildes des Produktes, wurde vielen Kunden ihr geliebter emotionaler Identifikationsgegenstand genommen, der Teil ihres Lebens war. Das neue Produkt war zu unterschiedlich, als dass die positiven Emotionen sich darauf generalisiert hätten. Eine Reizgeneralisierung konnte nicht stattfinden.
Was hätte Coca-Cola besser machen können? Anstatt nur den Geschmack zu beachten, hätte Coca-Cola das Marketingproblem breiter betrachten sollen, die Psychologie hinter dem Geschmackserlebnis und hinter den Kaufentscheidungen berücksichtigen.
Viel einflussreicher als der objektive Geschmack, sind beispielsweise die visuellen Reize und Markeneffekte bei der psychologischen Empfindung von Geschmack. So glauben beispielsweise Menschen, die braun eingefärbten Vanillepudding zum probieren bekommen haben, sie hätten Schokoladenpudding gegessen (Tom, Barnett, Lew und Selmants, 1987). Selbst Weinexperten bemerken nicht, wenn sie einen rot eingefärbten Weißwein bekommen (Lindstrom, 2005) und minderwertige Erdnussbutter schmeckt, sofern mit bekannter Marke gekennzeichnet, besser als ein objektiv wesentlich besseres Produkt ohne Kennzeichnung mit bekannter Marke (Hoyer und Brown, 1990).
Coca Cola hätte also auf jeden Fall die Macht der wertvollen Marke weiter nutzen müssen, die positiven Markenassoziationen behalten sollen, das Design, das in Jahrzehnten teuer mit positiven Emotionen aufgeladen wurde.
Man hätte, wenn man schon unbedingt will, gleichzeitig den Geschmack bzw. die Rezeptur objektiv optimieren können. Diese Optimierung hätte beispielsweise in so kleinen Schritten vorgenommen werden können, dass die Kunden von einer Veränderung gar nichts merken. Man spricht hier von Veränderungen unterhalb der relativen Wahrnehmungsschwellen von Unterschieden.
Eine andere Alternative wäre gewesen, New Coke als neue parallele Marke einzuführen, ohne die alte zu beenden. So hat man das in Zukunft bei Produktvariationen (z.B. Coca-Cola Zero) und anderen Geschmacksrichtungen (z.B. Coca-Cola Vanilla) gehandhabt.
Medienpsychologie und Kommunikation als klassischer Berufsweg
In der Medien- und Kommunikationsbranche besteht traditionell Bedarf an der Psychologie als Wissenschaft vom Erleben und Verhalten. Schließlich soll Kommunikation sich auf das Erleben und Verhalten von Zielgruppen in der gewünschten Weise auswirken. Der alte Begriff Werbepsychologie ist mittlerweile überholt, Kommunikation hat sich weiterentwickelt. Die konkreten Tätigkeiten können dabei sehr unterschiedlich sein: Von der strategischen Planung und Konzeptentwicklung in Werbe- und Kommunikationsagenturen über den Bereich der Unternehmenskommunikation bis zur Programmentwicklung und Gestaltung bei Medien. Der Schaukasten zeigt eine Anwendung von Psychologie in der Werbung.
Beispiel: Wie die Freude in die Coca-Cola-Flasche kommt
„Mach Dir Freude auf“ war für viel Jahre der Slogan von Coca-Cola in Deutschland, in den USA war das Pendant „make it happy“. Der Slogan ändert sich – aber die psychologische Positionierung dahinter bleibt. Coca-Cola soll Emotionen im positiven und leicht oberen Erregungsbereich wecken. Dafür wurden und werden Milliarden an Euro investiert. Jedes Jahr. Seit Jahrzehnten. Weltweit. Wie gesagt, Milliarden! Nur von Coca-Cola. Allein. Es lohnt sich: Menschen neigen dazu, Produkte und Marken zu nutzen, die emotional positiv besetzt sind, die sie „mögen“ oder sogar „lieben“, die Freude machen oder begeistern. Emotionen treiben Konsumentscheidungen, sind stabil und man kann nicht dagegen argumentieren. Es stört die Konsumenten nicht einmal, dass Pepsi-Cola im Blindversuch besser schmeckt. Coca-Cola ist die erfolgreichste Softdrink-Marke, die es je gab.
Wie aber kommt die „Freude“ in die Flasche? Dabei setzt Coca-Cola knallhart auf Psychologie. Es gibt wenige Firmen, die ihre Kunden so gut verstehen, die sich so gründlich von einem rationalen Menschenbild verabschiedet haben, die so früh mit Psychotechniken angefangen haben, die die meisten anderen heute noch nicht kennen, geschweige denn verstehen. Aus dem breiten Spektrum angewandter Psychologie das Coca-Cola einsetzt, greifen wir hier eines heraus: Emotionale Konditionierung.
Emotionale Konditionierung baut im Vorgehen auf der klassischen Konditionierung auf, die viele noch aus dem Schulunterricht kennen – Stichworte: Pawlow, Hund, Glocke, Futter. Das grundlegende Muster der klassischen Konditionierung ist relativ einfach. Es gibt verschiedene Arten von Stimuli und Reaktionen, hier am Beispiel eines Hundes geschildert:
Der Neutrale Stimulus (NS). Das ist derjenige Reiz der erstmal keine Reaktion auslöst, z.B. eine Glocke, die dem Hund „egal“ ist.
Der Unbedingte Stimulus (US). Das sind Reize, die Reaktionen auslösen, also Bedeutung für einen Organismus haben, z.B. Futter, dass dem Hund schmeckt.
Die Unbedingte Reaktion (UR). Das ist die Reaktion, die erfolgt, wenn ein US auf einen Organismus wirkt, z.B. Speichelfluss, wenn der Hund das leckere Futter riecht und sieht.
Der besondere Verdienst von Pawlow ist, dass er folgendes herausfand: Wenn ein Organismus (Hund) wiederholt vor einem US (Futter) einen NS (Glocke) dargeboten bekommt, dann bleibt die Glocke kein neutraler Stimulus, sondern ändert ihre Eigenschaften. Sie löst die selbe Reaktion aus, wie der US (Futter). Es gibt also noch zwei weitere Arten von Stimuli und Reaktionen:
Der Konditionierte Stimulus (KS). Das ist der Reiz, zu dem ein neutraler Stimulus wird, wenn man diesen wiederholt vor einem US (Futter) einem Organismus (Hund) darbietet. Er erzeugt jetzt eine äußerlich vergleichbare Reaktion wie ein US.
Die Konditionierte Reaktion (KR). Diese ist die Reaktion eines Organismus (Hund) auf einen KS (Glocke nach der Konditionierung).
Diese Veränderung eines NS, der keine Reaktion auslöst zu einem KS, der eine konditionierte Reaktion auslöst bezeichnet man als Konditionierung.
Was hat jetzt der Hund mit Konsumenten zu tun und Coca-Cola mit einer Glocke? Vordergründig wenig, für 99,9 Prozent der Menschen gar nichts, würde man sie fragen. Tatsächlich aber sehr viel. Psychologen fanden auch Pawlow schnell heraus, dass sich nicht nur rein körperliche Reaktionen (Speichelfluss) konditionieren lassen, sondern auch emotionale Reaktionen. Beispielsweise zeigte sich, dass Menschen politische Botschaften, die sie in einem positiven Kontext verarbeiten (eingeladen zum Essen) positiver bewerten – und Botschaften, die sie in einem negativen Kontext verarbeiten (unangenehmer Geruch), negativer bewerten (Razran, 1954). Lesen Menschen wiederholt einen Begriff (z.B. „Holland“), dem jeweils emotional positive („Schönheit“) oder negative („Feind“) Worte folgen, dann verändern sich ihre Einstellungen zu den Begriffen entsprechend (Staats und Staats, 1957). Im Extremfall reicht dafür sogar ein Durchgang der emotionalen Konditionierung, etwa bei Traumatisierungen. Manche Menschen, die extremen Ereignissen ausgesetzt waren, etwa in einem brennenden Auto eingeschlossen waren oder von Tieffliegern beschossen wurden, bekommen auch Jahrzehnte später emotionale Reaktionen (Panik), wenn sie damit konditionierten Reizen ausgesetzt sind – etwa wenn sie in ein Auto einsteigen oder ein Propellerflugzeug hören. Das wurde auch schnell in Experimenten auf Konsumenten übertragen und Emotionen gegenüber Marken und Produkten mit emotionaler Konditionierung geschaffen und beeinflusst (z.B. Stuart, Shimp und Engle, 1987; De Houwer, Thomas und Baeyens, 2001). Hilfreich für Werbezwecke ist, dass Konditionierung auch funktioniert, wenn Personen nur andere Personen beobachten, die emotionale Reaktionen auf Reize zeigen – etwa auf einem Fernsehbildschirm (Baeyens et al., 1996).
Viele Werbespots von Coca-Cola setzen auf emotionale Konditionierung. Ein Beispiel:
Zu Beginn des Spots kommt ein Junge von der Schule nachhause und geht auf seine Haustüre zu. Er wirkt niedergeschlagen, als Betrachter weckt das bei uns selber negative Emotionen und Erinnerungen an harte und viel zu lange Schultage.
Dieses „herunterziehen“ im emotionalen Spektrum am Anfang ist typisch für Werbung von Coca-Cola und sehr sinnvoll. Warum? Weil positive emotionale Reize dann später besser wirken können vor dem negativen affektiven Hintergrund. Der Kontrast wird stärker, es ist so, als ob wir die Hand erst im kaltem Wasser gehabt hätten, bevor wir diese in einen Eimer warmes Wasser tauchen.
Nach diesem „herunterziehen“ ist jetzt der Neutrale Stimulus (NS) erforderlich. Dieser kommt auch prompt, der Junge geht in der nächsten Sequenz zum Kühlschrank. Darin stehen lauter Cola-Flaschen mit ihrer unverwechselbaren Form und Farbe, natürlich mit gut sichtbarem Logo. Der Junge öffnet eine davon.
Nach dem Neutralen Stimulus (Coca-Cola Flasche/Logo) braucht es bei einer emotionalen Konditionierung jetzt den Unbedingten Stimulus (US), der die gewünschten emotionalen Reaktionen auslöst. Und natürlich am besten nicht nur einen, sondern ein ganzes Set an Unbedingten Stimuli. Warum ein ganzes Set? Mehrere Gründe: Mehrere emotionale Reize wirken stärker. Ein gutes Essen besteht auch nicht nur aus einer Zutat, am besten sogar aus mehreren Gängen, Sets wirken intensiver. Zudem sind Menschen in der Zielgruppe verschieden, bei jedem lösen Reize etwas andere emotionale Reaktionen aus. Man nimmt also Sets aus bei der Zielgruppe auf emotionale Wirkung getesteten Stimuli, um die gewünschten emotionalen Reaktionen zu erzeugen.
In unserem Beispiel setzt Coca-Cola das so um: Sobald der Junge die Flasche hat, ertönt laut emotionale positiv besetzte Musik, er dreht den Verstärker weiter auf, dreht die Flasche danach auf. Seine Körpersprache ist jetzt anstatt niedergeschlagen depressiv und erschöpft auf einmal aktiviert und gut gelaunt. Er trinkt die Flasche gut sichtbar vor dem Spiegel, springt und rockt herum und lässt sich dann gut gelaunt auf sein Bett fallen, die leere Flasche rollt daneben auf dem Boden. Jetzt folgen tanzende und feiernde Jugendliche die ebenso wie er in ihren Zimmern „abrocken“, natürlich immer mit einer Coke in der Hand. Für jeden aus der Zielgruppe ist jemand als Identifikationsplattform dabei: Weibchen, Männchen, Afrikaner, Asiaten, Europäer, etc.
Die emotionale Konditionierung ist abgeschlossen, unser Gehirn hat Coca-Cola mit Emotionen verknüpft im etwas oberen Erregungsbereich und mit positiver Ausrichtung: Freude.
Am Schluss folgt als Outro noch einmal die markante Flasche als Silhouette und der gesprochene Claim „Coca-Cola: Mach dir Freude auf“ mit schriftlicher Verankerung im Bild. Aber dieser letzte Punkt ist für die emotionale Konditionierung egal. Er dient eher nur der Rationalisierung, damit sich die Zuschauer nicht über den Spot wundern und anfangen sich zu fragen, was dieser eigentlich mit ihrem Gehirn macht.
Die meisten Spots von Coca-Cola sind genau nach diesem Muster aufgebaut. Sie ändern sich an der Oberfläche, der normale Konsument denkt sich „Ah, eine neue Cola-Werbung, so wird mir nicht langweilig, immer was anderes.“: Mal ist es ein alter Mann im Altersheim, der vor sich hin starrt, eine Coke trinkt und auf einmal die tollsten Dinge macht, mal eine weinende Frau in der U-Bahnstation, die ein Coke-Logo sieht und auf einmal lächelt und gute Laune ausstrahlt. Die emotionale Botschaft bleibt aber exakt gleich. Die Abwechslung an der Oberfläche und der verwendeten US ist wesentlich: Erstens langweilt die Werbung die Konsumenten so nicht. Und zweitens wirken die US stärker, denn wiederholte Exposition nutzt ihre Eigenschaft ab, Affekte auszulösen (Hammerl et al., 1997).
Coca-Cola macht das mit allen von uns, viele hunderte Male, weltweit. Und das ist das praktische daran: Emotionale Botschaften kann man, unterschiedlich an der Oberfläche verpackt, immer wieder senden. Sie werden nicht langweilig (im Gegensatz zu rationalen Informationen – man stelle sich vor, verschiedene Menschen sagen uns immer das Selbe) und festigen die emotionalen Reaktionen immer mehr. Tatsächlich ist emotionale Konditionierung sehr resistent gegen Löschung (vgl. De Houwer et al., 2000), d.h. auch wenn Konsumenten in der Realität zum Beispiel nicht die positiven Erfahrungen aus der Werbung erfahren, bleibt die aufgebaute Emotion stabil. So ist für uns alle die Freude in die Flasche gekommen – und geblieben. Eine Flasche, für deren Konsum es keinen einzigen rationalen Grund gibt, die vergleichsweise viel Geld kostet (was die Firma wieder in unsere emotionale Konditionierung investiert) und die den meisten im Blindversuch auch noch schlechter schmeckt als Pepsi. Aber die Macht der Emotionen setzt sich gegen all das durch und katapultiert diese Coca-Cola-Flasche seit langem und mit Abstand zur wertvollsten Softdrink-Marke der Welt.
In all diesen Feldern ist das Wissen um das menschliche Erleben und Verhalten von hoher Relevanz. Zudem sind zur Gestaltung und Überprüfung der Wirkung von Kommunikation fundierte psychologische und methodische Kenntnisse entscheidend.
Psychologie bei Mensch-Maschine-Schnittstellen
Begriffe wie HMI (Human-Machine-Interaction) und Kognitive Ergonomie sind ebenfalls wachsende Berufsfelder für Wirtschaftspsychologen – sei es bei Mitarbeitern oder Kunden. Immer anspruchsvollere und komplexere Produkte unterscheiden sich zunehmend weniger in den technischen Eigenschaften. Usability und Ergonomie sind damit ein wesentliches Differenzierungsmerkmal für Websites, Software und Hightechprodukte.
Coaching und Trainings als Berufsweg der Wirtschaftspsychologie
Coaching und Trainings für Führungskräfte und andere Personen können ein lukratives Arbeitsfeld sein. Zentrale Anforderungen im Management wie Mitarbeiterführung, Gestalten von Gesprächen und Kommunikation sowie die Karriereplanung und Persönlichkeitsentwicklung, haben starken Psychologiebezug.
Beispiel: Führungskräfte-Coaching als angewandte Psychologie
Wenn es ein Instrument gibt, das besonders im Trend liegt, um Führungskräfte zu entwickeln, dann ist es Führungskräfte-Coaching (Ely et al., 2010; Feldman und Lankau, 2005). Führungskräfte-Coaching ist kein langjähriges und permanentes Mentoring, sondern ein klar zeitlich und inhaltlich umrissener kurzfristiger Auftrag. Typischerweise handelt es sich um mehrere Stunden, die im Wochenrhythmus stattfinden.
Ziel des Coachings ist, die Führungskraft auf aktuelle oder zukünftige Herausforderungen vorzubereiten, indem man Kompetenzen aufbaut. Die Themenfelder von Coaching können daher sehr unterschiedlich sein, je nachdem was eine Führungskraft gerade oder zukünftig braucht. Vielleicht möchte eine Führungskraft Unterstützung dabei, dass sie mehr Wertschätzung zu ihren Mitarbeitern vermittelt. Eine andere Führungskraft möchte sehen, wie sie Rollen und Verantwortlichkeiten klarer abgrenzt, eine dritte möchte lernen richtig zu delegieren und eine vierte den nächsten Karriereschritt vorbereiten.
Coaching stellt den Klienten in den Mittelpunkt und versucht diesen zu aktivieren, damit er selber Lösungen für die Themen entwickelt, die ihn bewegen. Anders als häufig bei der Beratung geht es also nicht darum, dem Klienten gut zuzuhören und dann eine fertige Lösung für ihn zu entwickeln. Es geht um Hilfe zur Selbsthilfe.
Coaching greift dabei vor allem auf Methoden zurück, die in der Psychologie insbesondere für qualitative Forschung und therapeutische Anwendungen seit langem vorliegen. Typische Beispiele sind:
Das Stellen von Fragen ist eine Kernmethode in jedem Coaching. Mit offenen Fragen regt der Coach den Coachee an, zu reflektieren und seine Perspektive auf Herausforderungen zu erweitern. Das können scheinbar einfach Fragen sein, wie „Wer könnte dir dabei helfen?“. Diese Frage lenkt die Aufmerksamkeit zum Beispiel auf soziale Ressourcen und regt an, zu reflektieren, wie man sein Umfeld für die Ziele einsetzt. Die Frage „Auch wenn die Situation erst mal unangenehm ist: Welche Chancen bietet sie vielleicht?“ hilft beispielsweise den Fokus weg von Problemen und hin zu Chancen zu richten.
Mit bloßem Nachdenken kommt man oft nicht so weit, wie mit assoziativen Verfahren. Beispielsweise fühlt sich ein Klient „leer und ohne Sinn“ bei der Arbeit. Der Coach fordert ihn auf, die Augen zu schließen und zu sagen, welche Bilder ihm zu einfallen. Nach einer Weile erzählt der Klient von seiner inneren Vorstellung: „Ich bin in einem kollosalen Raum, sehe keine Wände und keine Decke. Ich möchte dort etwas für mich aus riesigen Lego-Steinen bauen. Aber ich komme nicht dazu. Die ganze Zeit fliegen aus allen Richtungen große Bausteine auf mich zu, die ich nehmen und irgendwie verbauen muss. Ich will diese Steine alle gar nicht, sie kommen einfach, ich muss damit umgehen, ich komme nicht zum Nachdenken, habe keine Pausen mehr.“ Danach kann der Coach fragen, wie sich der Coachee dabei fühlt. Anschließend fragt der Coach, wie es idealerweise in dieser Vorstellung aussehen sollte. Der Coachee erzählt davon und beschreibt wie er sich dabei fühlt. Der Klient macht sich anschließend Gedanken, wie er seine Arbeitssituation so ändert, dass sie sich der Idealvorstellung aus seiner Vorstellung mit dem Lego-Spiel nähert. Assoziativ wird auch oft mit Bildern (etwa Fotos) gearbeitet, die der Coachee aussuchen soll und erläutern, warum das Bild zu seiner Fragestellung passt.
Coaching arbeitet auch mit systemischen Verfahren, etwa der Aufstellung von Figuren. Ein Coachee stellt dann beispielsweise die Beteiligten in einer Wettbewerbssituation um eine Führungsposition als Playmobilfiguren auf. Mit dieser Aufstellung lassen sich vergangene Szenarien, die aktuelle Situation und mögliche zukünftige Reaktionen der Beteiligten durchspielen. In einem Teamcoaching kann man die Beteiligten auch einfach auffordern sich in einem leeren Raum zu verteilen, bis sie das Gefühl haben, dass alle richtig stehen. Danach kann man über die Positionen sprechen und was diese bedeuten.
Psychologen sollten also methodisch bestens aufgestellt sein für eine Tätigkeit als Coach. Sollten. Die Realität sieht anders aus. Psychologen haben das Feld Coaching, für das sie eigentlich prädestiniert wären, liegen lassen. Das hat vor allem zwei Gründe:
Einseitige Ausbildung im Studium. Viele psychologische Studiengänge fokussieren sich nahezu rein auf quantitative und standardisierte Verfahren. Sie vermitteln, wie man einen Fragebogen aufbaut, quantitative Beobachtungsdaten erhebt und Experimente durchführt. Explorative, nondirektive, qualitative Verfahren oder einfach das Stellen von guten Fragen und psychologische Gesprächsführung kommen dabei sehr oft viel zu kurz.
Ein dogmatisches, begrenztes Selbstverständnis. Insbesondere die Klinische Psychologie verfügt über Ansätze, die sich relativ nahtlos zum Coaching eignen. Dazu zählen vor allem Ansätze der Gesprächstherapie und der Systemischen Therapie. Sie hat aber diesen Bereich bisher nicht erschlossen, was letztendlich auch an Dogmen liegt, die als geistige Gefängnisse die Handlungsfreiheit einschränken. Oft haben Psychologen mit klinischer Ausbildung ein defizitorientiertes Selbstverständnis: „Ich bin dann zuständig, wenn jemand extrem leidet, die Norm nach unten weit durchschlägt, Kriterien für eine psychische Störung nach ICD oder DSM erfüllt!“ Das wachstumsorientierte Mindset fehlt: „Hey, da gibt es jemanden, der ist psychisch absolut normal – aber ich kann ihm dennoch helfen, noch handlungsfähiger, glücklicher, erfolgreicher, fokussierter, souveräner oder selbstbewusster in sozialen Beziehungen, Beruf und gesunder Lebensführung zu sein!“
Fazit: Die Psychologie, insbesondere die Klinische Psychologie und die Wirtschaftspsychologie, hat es bisher versäumt, das Themenfeld Coaching voranzutreiben. Daher ist es insbesondere von Quereinsteigern geprägt. Diese Quereinsteiger bringen oft einen fachlichen Zugang zum Coachinggebiet mit, sind beispielsweise ehemalige Führungskraft und bieten jetzt Führungskräftecoaching an. Der „Teller“ auf dem sie stehen ist also der fachliche Zugang, die psychologischen Methoden haben sie sich extra zusätzlich angeeignet, haben also über ihren Tellerrand geblickt und neues auf den Teller geholt.
Noch ein wichtiger Aspekt, den jeder kennen sollte, der überlegt, sich beruflich in diese Richtung zu bewegen: Nur die wenigsten Personen mit einer Coaching-Ausbildung verdienen wirklich ihr Geld damit. Dafür verdienen die Organisationen, die immer neue Coaches ausbilden, umso besser. Und jeder darf sich derzeit Coach nennen, der Begriff ist nicht geschützt. Es darf auch jeder einen Verband gründen, der Coaches zertifiziert oder Einrichtungen akkreditiert, die Coaches ausbilden. Es entsteht der Eindruck, dass sich hier vieles nur um sich selbst dreht und für sehr viele eine Coachingausbildung eher ein Weg der Selbstfindung an sich ist, als ein Instrument darstellt, mit dem sie dann später anderen Menschen helfen.
Es gibt also viele Coaches, aber wenige gute. In diesem Feld gilt es daher einen entsprechenden „Namen“ zu haben, so dass sich ein direkter Einstieg gleich nach dem Studium schwer gestaltet. Es empfiehlt sich diese Option in einer späteren Phase der beruflichen Entwicklung zu erwägen. Sinnvoll kann zunächst eine Promotion und entsprechende praktische Erfahrung, etwa bei einer Unternehmensberatung, sein.
Wissenschaft und Lehre als Beruf
Die wenigsten Studierenden schlagen eine Karriere in der Wissenschaft ein. Das hat klare Ursachen: Derzeit sind die Bedingungen an den Universitäten allgemein nicht sonderlich gut, was Arbeitsplatzsicherheit und Einkommen für den wissenschaftlichen Mittelbau anbelangt.
Allerdings erfreut sich die Wirtschaftspsychologie wachsender Beliebtheit an Hochschulen und Universitäten. Entsprechende Angebote nehmen rasant zu. Viele Hochschulen haben mittlerweile Wirtschaftspsychologie in das Lehrangebot aufgenommen. Insbesondere wächst die Zahl privater Anbieter, die Wirtschaftspsychologie in ihr Studienprogramm integrieren.
Der letzte Abschnitt gibt Literaturhinweise zur weiteren Vertiefung.
Wirtschaftspsychologie: Literatur
Aktuelle Literatur-Tipps zu Wirtschaftspsychologie.