Werde ich manipuliert – und von wem? Das Erschreckende an vielen Manipulationstechniken: Wir merken gar nicht, wie wir beeinflusst werden. Jeden Tag. Kann man wirklich so einfach Menschen manipulieren? Die vorangehenden Kapitel haben bereits gezeigt: Ja. Menschen entscheiden sehr irrational. Und genau das öffnet die Türe weit für eine Vielzahl an Beeinflussungsmöglichkeiten. Was genau ist Manipulation in der Psychologie? An welchen Kriterien kann man Manipulationen erkennen, wie sieht eine Definition aus? Und welche Beispiele gibt es? Das beantwortet dieses Kapitel. …
In diesem Beitrag:
Definition von Manipulation
Was bedeutet Manipulation genau? Natürlich gibt es Manipulation nicht nur in der Psychologie, sondern auch in anderen Sinn-Zusammenhängen, etwa bei Maschinen oder Daten. Im harmlosesten Fall ist damit neutral eine Beeinflussung gemeint (etwa, wenn in Experimenten eine Variable manipuliert wird). In der Umgangssprache ist der Begriff Manipulation aber nicht neutral besetzt. Menschen verbinden damit eine negative und verdeckte Veränderung ihres Denkens und Verhaltens.
Möchte man aus Sicht der Psychologie Manipulation in einen Satz pressen, dann ist die Definition:
Die Abgrenzung zu anderen Formen der Beeinflussung, etwa durch Informationen und Argumente ist also der gezielte Einsatz von nicht zu durchschauenden Techniken. Die Abgrenzung normaler Beeinflussung zur Manipulation ist nicht immer einfach. Was ist noch legitim, wo fängt Manipulation an? Ist es schon Manipulation, wenn sich eine Frau schminkt, um bessere Chancen bei Männern zu haben? Ist es Manipulation, wenn ein Mann Bilder von einem Urlaubsort zeigt, um seine Freundin zu beeinflussen dort hin zu fahren?
Manipuliert der Bewerber um eine Stelle, weil er zum Interview besser gekleidet als sonst erscheint und auf eine positive Ausstrahlung seines Erscheinungsbildes auf die Bewertung hofft?
Im nächsten Abschnitt geht es darum, wie man Manipulation genau erkennt.
Manipulationstechniken erkennen
Wie kann man Manipulationstechniken erkennen? Die Wirtschaftspsychologie hat sich mit dem Begriff der Manipulation befasst und entsprechende Kriterien für Manipulation definiert. Von Manipulation kann insbesondere gesprochen werden, wenn (vgl. v. Rosenstiel und Neumann, 2002):
- Der Beeinflusste durchschaut die Technik nicht oder nur teilweise
- Der Beeinflussende übt das entsprechende Verhalten bewusst aus.
- Der Beeinflussende versucht einen eigenen Vorteil zu erreichen.
- Nachteile des Beeinflussten interessieren den Beeinflussenden nicht.
Die Abbildung zeigt diese Kriterien zur Definition von Manipulation nochmal in der Übersicht.
Diese Kriterien helfen Manipulationen zu erkennen. Je mehr diese Aspekte zutreffen, desto eher ist die negative Bezeichnung Manipulation gerechtfertigt. Wer genau hinsieht, bemerkt viele manipulative Menschen im Alltag – die meisten Personen merken das aber nicht. Dazu der nächste Abschnitt.
Manipulative Menschen
Im Alltag sind viele Menschen geschult, Manipulationstechniken einzusetzen, andere Personen zu beeinflussen, ohne dass diese es merken. Es handelt sich um manipulativen Menschen: Sei es in Form von Politikern, Verkäufern oder Führungskräften.
Warum haben manipulative Menschen oft Erfolg? Bei einfachen Tätigkeiten wie Boden legen oder Malerarbeiten leisten die besten typischerweise anderthalb bis drei mal so viel wie der Durchschnitt. Bei komplexen Tätigkeiten, beispielsweise im Umgang mit anderen Menschen wie Kunden nehmen Leistungsunterschiede bei Menschen dramatisch zu. Gerade im Verkauf kann man klar und direkt sehen, dass in vielen Bereichen die besten Verkäufer nicht einfach fünf oder zehn Prozent mehr Umsatz als der Durchschnitt machen. Das gilt insbesondere dann, wenn man sich selbst um Kundenakquise kümmern muss. Die besten Immobilienmakler in München machen nicht nur fünf oder zehn Prozent mehr Umsatz als der Durchschnitt. Manche Menschen können unglaublich wirksam in der Kommunikation werden, 20 oder 30 mal mehr Ergebnis als der Durchschnitt der anderen Menschen in ihrem Feld in der selben Zeit erreichen.
Ein Beispiel von einem Anruf eines Verkäufers bei einem Kunden illustriert wie ein manipulativer Mensch vorgeht, wie er Manipulationstechniken einsetzt.
Handelt es sich bei dem Beispiel um Manipulation? Absolut. Der Verkäufer setzt bewusst und zum eigenen Vorteil Strategien ein, die der Kunde nicht durchschaut. Die Interessen des Kunden sind für den Verkäufer zumindest zweitrangig.
Gibt es so etwas nur im Verkauf? Nein. Man kann die Grenzen für manipulative Einflussnahme weit stecken. Vom simplen Verkäufer, über Politiker, Sektenführer, Nachrichtendienstmitarbeiter, manipulative Führungskräfte, Trickbetrüger oder Männer, die systematisch trainiert sind, Frauen zu gewinnen… Wenn jemand psychologisch geschult und entsprechend rücksichtslos ist, hat seine Zielgruppe nur geringe Chancen. Sie gerät an und in ein System an Einflussnahme. Aus diesem System können viele nicht entrinnen, geschweige denn es überhaupt durchschauen und treffen scheinbar freiwillig die Entscheidungen, die andere haben wollen. Eine eher harmlose aber faszinierende Gruppe, die solche Methoden einsetzt, sind übrigens die Mentalisten – Zauberkünstler, die mit psychologischer Einflussnahme arbeiten.
Wurde in diesem kurzen fiktiven Beitrag alles an Einflussmöglichkeiten aufgedeckt? Natürlich nicht. Es ist ein kleiner Blick auf die Spitze des Eisbergs. Zur weiteren Veranschaulichung folgen andere kurze Beispiele für alltägliche Manipulation im Bereich der Wirtschaftspsychologie.
Beispiele für Manipulationstechniken
Im obigen Beispiel mit dem Verkaufsgespräch hat der Verkäufer neben vielen anderen Maßnahmen Ähnlichkeit eingesetzt. Was zählt, ist der Eindruck von Ähnlichkeit bei anderen Personen (Ensher und Murphy, 1997) – dieser führt zu mehr Sympathie, mehr Kontakt und mehr Unterstützung. Studien zeigen: Auch Führungskräfte bevorzugen und fördern beispielsweise systematisch und unbewusst ihnen ähnliche Personen (Castilla, 2011; McGinn und Milkman, 2013). Das künstliche Herstellen von Ähnlichkeit gehört natürlich auch zum festen Programm in der Spitzenpolitik. Es geht damit los, dass kaum ein Politiker seinen Doktortitel erwähnt (der Wähler hat auch keinen, schafft nur Distanz, wenn man den Titel erwähnt), man immer wieder seine Herkunft aus „einfachen Verhältnissen“ betont, das Tragen seiner Brille vermeidet (wirkt akademisch, der Wähler ist aber meist nicht akademisch) oder man öffentlich-wirksam Getränke (Bier) oder Nahrungsmittel (Breze oder Curry-Wurst) des Normalbürgers konsumiert sowie seine Wortwahl (etwa mit der Aussage „Aber ab morgen kriegen sie in die Fresse!“ einer Parteivorsitzenden) und Dialekte strategisch an die Wählerschaft anpasst, um Ähnlichkeit zu erzeugen.
Ein typisches Beispiel für Manipulationstechniken im Kontext der Politik und Führung ist das Trainieren und Verändern der Stimmhöhe. Der wissenschaftliche Hintergrund dazu: Personen mit tiefer Stimme werden, natürlich unbewusst, eher als Führungskraft ausgewählt und akzeptiert. Sie wirken kompetent, physisch und mental stark, dominant und vertrauenswürdig (Tigue et al., 2012; Klofstad, 2016). Als Ergebnis dieser unbewussten Prozesse führen Personen mit tiefer Stimme größere Konzerne und verdienen mehr Geld als Menschen mit hoher Stimme (Mayew, Parsons und Venkatachalam, 2013). Es lohnt sich daher für Politiker eine tiefe Stimme zu haben, entsprechend fleißig wird „nach unten“ trainiert. Ein markantes Beispiel aus der Praxis ist die langjährige englische Premierministerin Margaret Thatcher. Ihr Biograf Charles Moore gibt an, dass sie Sprachtrainings besucht hat, um ihre Stimme tiefer zu bekommen, für mehr Stärke und Wirkung. Offenbar mit eindrucksvollem Erfolg, wie Vergleiche der Stimme über die Jahre und die lange Amtszeit verraten (Atkinson, 1984).
Ein verbreitetes Beispiel für Manipulation im Kontext der Organisationspsychologie ist transformationale Führung (Becker, 2015). Diese strebt an, dass sich Mitarbeiter anstatt nur von äußeren Anreizen (etwa der Bezahlung) aus innerer Verbundenheit für die Organisation und deren Ziele einsetzen. Folglich konzentriert sich transformationale Führung nicht direkt auf klassische Ziele wie die Arbeitsleistung der Mitarbeiter – transformationale Führung konzentriert sich auf die Mitarbeiter selbst, auf ihre Veränderung hin zu begeisterten Anhängern. Dabei setzt man Techniken ein, die betroffene Mitarbeiter nicht durchschauen: Transformationale Führung vermittelt Bedeutsamkeit und Sinn hinter einer Tätigkeit, weit über den simplen Eigennutzen der Mitarbeiter hinaus (May, Gilson und Harter, 2004). Dazu gehört etwa die Ideologie von religiösen oder politischen Bewegungen. Führungskräfte in der Wirtschaft versuchen analog dazu, eine kollektiv sinnstiftende Beschreibung der Tätigkeit zu entwickeln, die Mitarbeiter emotional anspricht und zu hoher Identifikation und Motivation führt (Babcock-Roberson und Strickland, 2010).
Mit transformationalen Techniken erreichen sie – im Vergleich zu traditionell geführten Mitarbeitern – höhere Arbeitsmotivation der Mitarbeiter (Aryee et al., 2012), Engagement der Mitarbeiter über den eigenen Tätigkeitsbereich hinaus (Sosik, 2005), stärkeres Vertrauen in und höhere Zufriedenheit mit der Führungskraft (Podsakoff et al., 1990) und mehr Leistung (z.B. MacKenzie, Podsakoff und Rich, 2001; Gong, Huang und Farh, 2009; Avolio, 2010).
Diese typischen Beispiele aus dem Alltag verdeutlichen, was mit Manipulation gemeint ist. Bei aufmerksamer Betrachtung seiner Umgebung als Wähler, Konsument und Mitarbeiter wird man eine Flut von weiteren Beispielen für Manipulation finden.
Der letzte Abschnitt gibt Hinweise für Bücher zur weiteren Vertiefung.
Manipulation: Literatur und Bücher
Auf der Suche nach einem Buch zu Manipulation? Hier aktuelle Literatur-Tipps:
- Durand, Annika (Autor)
- Goleman, Samuel (Autor)
- Wagner, Alexander (Autor)
- J.P. Goleman, Laura (Autor)
- Davis, Matthew (Autor)
Psychologie kann man in drei Strömungen unterteilen, die das nächste Kapitel beschreibt. Dabei werden auch verschiedene Teilgebiete der Psychologie angeführt, die sich jeweils den drei Basisströmungen zuordnen lassen.