Vorbildfunktion: Führung durch Vorbild

„Ein Beispiel zu geben ist nicht die wichtigste Art, wie man andere beeinflusst. Es ist die einzige!“ soll Albert Schweizer gesagt haben. Und tatsächlich suchen Menschen Vorbilder. Du kannst als Führungskraft Vorbild sein, denn Du hast dafür gute Voraussetzungen: Du genießt hohen Status, stehst im Rampenlicht, gibst Orientierung und Motivation. Vorbildverhalten und Vorbildfunktion in der Führung können Dein zentrales und wichtigstes Instrument sein. Aber es kann auch schädliche Wirkung entfalten, wenn man die Erfolgsfaktoren nicht beachtet. Das Ergebnis sind dann Führungskräfte, denen einfach niemand folgen will. Ihre Mitarbeiter lehnen sie innerlich ab, verachten sie vielleicht sogar. Im schlimmsten Fall vermitteln manche Leitfiguren sogar (unbewusst) schädliche Werte und Verhaltensweisen.
Bist Du ein wirksames Vorbild? Wie das geht, erfährst Du in diesem Kapitel. Stelle Dir folgende Fragen: „Warum sollte mir überhaupt jemand folgen wollen? Was macht mich konkret attraktiv in meiner Vorbildrolle als Führungskraft? In welchen Bereichen und auf welche Menschen wirke ich mit Vorbildverhalten? Wirke ich überhaupt in die gewünschte Richtung?“ Dieser Text begleitet Dich auf Deinem Weg zum attraktiven Vorbild für Mitarbeiter. Lerne Führen als Vorbild. …

Vorbildfunktion: Führung bedeutet auch Vorbild zu sein

Vorbildfunktion als Führungskraft: Soziales Lernen

Warum ist die Vorbildfunktion so ein mächtiges Führungsinstrument? Bei uns Menschen gibt es einen ganz zentralen Lernmechanismus: Wir lernen nicht nur aus eigener Erfahrung, sondern durch Beobachtung von anderen oder auch Erzählungen darüber und Videos davon. Dieses soziale Lernen (Bandura, 1977) erspart dem einzelnen Menschen viel eigenes Experimentieren und so manche unangenehme Erfahrung – man denke nur an Gefahren wie Unfälle oder Giftstoffe. Tatsächlich ist das soziale Lernen ein entscheidender Quantensprung im Lernen gewesen (Tomasello, Kruger und Ratner, 1993). Es ist sogar so wirksam, dass es auch bei einigen Tierarten zu beobachten ist (Whiten und Ham, 1992).

Die ohnehin große Bedeutung der Vorbildfunktion ist bei Führungskräften weiter gesteigert. Das hat vor allem zwei einfache Gründe:

  • Ranghohe Individuen genießen mehr Aufmerksamkeit. Die Blicke sind auf Dich gerichtet, Du stehst im Rampenlicht. Denn Du bist die Führungskraft. Je höher Dein Status ist, desto größer ist damit auch ganz automatisch Dein Einfluss bei der Gestaltung von Normen. Andere Personen beobachten Dich eher, hören Dir mehr zu und ahmen dann Dein Verhalten nach. Als Führungskraft formst Du so das Verhalten Deiner Mitarbeiter (z.B. Dalmaso et al., 2012).
  • Als Person mit hohem Status hast Du mehr Freiheit im Verhalten. Je höher Dein Status ist, desto größer ist auch die Toleranz für Abweichungen von den Normen, von dem was als akzeptiertes Verhalten gilt (Becker, 1963; Kohn, 1977; Galinsky et al., 2008). So findet man beispielsweise bei Normen zum äußeren Erscheinungsbild nicht selten, dass besonders angesehene Manager oder auch Wissenschaftler sich bei Kleidung und Auftreten Abweichungen erlauben können, die bei anderen Personen im Team nicht toleriert werden würden. Als Führungskraft brichst Du ungestraft Regeln und zeigst abweichendes, neues Verhalten. Du kannst damit viel freier als andere Menschen neue Akzente bei Verhaltensweisen setzen und Impulse für Veränderung geben.

Aus diesen Erkenntnissen lässt sich leicht ableiten, dass Führungskräften als Personen mit hohem Status eine besondere Bedeutung zukommt (Bowles und Gelfand, 2010). Du stehst im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit, vermittelst Rollenerwartungen im Team, prägst die Regeln und damit das Verhalten der anderen als Leitfigur (Katz und Kahn, 1978). Als Führungskraft kannst Du vorhandenes Verhalten durch Deine Vorbildfunktion festigen oder soziale Normen in Frage stellen, aufbrechen und neues Verhalten fördern. Entsprechend haben sich viele Wissenschaftler mit dem Phänomen der Führung als Vorbild beschäftigt (z.B. Manz und Sims, 1980; Choi und Mai-Dalton, 1999; Trevino und Brown, 2005).

Fazit: Die Vorbildrolle als Führungskraft kann also Dein wichtigstes Führungsinstrument sein. Besonders sichtbar, erinnerbar und damit wirksam, ist natürlich symbolisches, dramatisches Verhalten, wie folgendes Beispiel zeigt.

Beispiel: Zhang Ruimin – Haier
Ein Eindrucksvolles Beispiel für symbolisches Verhalten mit Vorbildfunktion, das Mitarbeiter wachrüttelt, ist das von Zhang Ruimin. Er war viele Jahre CEO des chinesischen Unternehmens Haier, das mittlerweile Weltmarktführer für Kühlschränke und viele andere Hausgeräte ist. Mitte der 80er Jahre stürmte er mit einem Vorschlaghammer in eine Produktionshalle und zerstörte dutzende Kühlschränke. Mit diesem symbolischen Verhalten gab er eine zentrale Botschaft an die Mitarbeiter: „Unsere Qualität ist nicht gut genug für die Kunden! Bevor wir ein schlechte Ware verkaufen, zerstören wir diese lieber!“

Konsequent zu seiner Wirkung als Vorbild, folgten ihm viele Mitarbeiter und zerstörten ebenfalls die frisch produzierten Geräte.

Vorbilder können also sehr wirksam führen. Aber: Was genau macht Dich zum attraktiven Vorbild? Dazu der nächste Abschnitt.

Attraktives Vorbild: Merkmale

Kannst Du ein attraktives Vorbild sein? Welche Eigenschaften bringen Dich in die Vorbildrolle? Vielleicht wollen Deine Mitarbeiter Dich gar nicht nachahmen, sehen Dich überhaupt nicht als Leitfigur. Worauf kommt es also an? Was kann Deine Vorbildfunktion stärken? Untersuchungen haben die entscheidenden Merkmale guter Vorbilder klar identifiziert. Die Abbildung zeigt Dir die Übersicht.

Vorbild sein: Diese Merkmale stärken die Vorbildfunktion

Im Folgenden ein vertiefter Blick auf die einzelnen Merkmale, die Deine Vorbildfunktion stärken.

  • Hoher Status des Vorbildes. Wer den höchsten Status hat, genießt am meisten Aufmerksamkeit und Nachahmung des Verhaltens (Bauer et al., 1983). Auch wenn es sich nicht zeitgemäß anhört: Du profitierst von einem gewissen Mythos um Dich und Deine Fähigkeiten. Es ist in Deinem Interesse, dass Deine Mitarbeiter Dich leicht überhöht wahrnehmen. Beispielsweise sollten sie Dich als jemanden erleben, der einen guten „Instinkt“ hat, Chancen und Gefahren erkennt, bevor es alle anderen verstehen. Oder als jemanden, der andere Personen (Kunden, obere Führungskräfte, Kooperationspartner) begeistern und überzeugen kann. Im Extrem können einzelne Personen einen derartigen Mythos um sich schaffen, dass zehntausende ihr Verhalten nachahmen. Einzelne Tweets von Elon Musk können über diesen Hebel Aktienkurse und Kurse von Kryptowährungen explodieren oder abstürzen lassen. Typisch ist auch, dass solche Führungskräfte ihre Strahlkraft verlieren, sobald ihr Status und der Mythos um sie Risse bekommt.
  • Sichtbarkeit und Nähe der Führungsperson. Am wirksamsten ist Vorbildverhalten, wenn es direkt aus nächster Nähe beobachtbar ist. Physische Präsenz und Nähe zu den Mitarbeitern sind daher ein wichtiger Erfolgsfaktor für Dich, um als Vorbild zu wirken. Versuche viel Zeit im Team und mit den Mitarbeitern zu verbringen, um positiv auszustrahlen. Auf Distanz, etwa bei virtueller Teamarbeit, kann man auch als Vorbild führen – aber es ist herausfordernder und aufwändiger: Eine gute Kommunikation des Verhaltens als plakative Geschichte und Kompression auf symbolische Extrembeispiele und griffige Formulierungen sind dann entscheidend.
  • Erfolg des Vorbildes. Menschen ahmen wesentlich lieber das Verhalten von Personen nach, die sie als erfolgreich wahrnehmen (Rosenbaum und Tucker, 1962; Greenfeld und Kuznicki, 1975; Kroll und Levy, 1992). Irgendwie verständlich. Wer möchte einen Verlierer nachahmen? Auch hier gibt es natürlich eine klare Implikation für Dich als Führungskraft: Sei ein Gewinner. Sorge dafür, dass Du für Erfolg stehst, lasse nicht zu, dass an diesem Image gekratzt wird.
  • Ähnlichkeit. Menschen beachten lieber Personen, die als kompetent gelten, erfolgreich sind. Wichtig ist aber, dass sich die Personen auch zutrauen, das gewünschte Verhalten selbst zu zeigen. Wahrgenommene Ähnlichkeit zum Vorbild (Brown und Inouye, 1978) ist hoch wirksam für Nachahmung. Als Vorbild solltest Du also erfolgreich aber auch nicht zu abgehoben sein in dem Sinne „Der ist so unnahbar, lebt in einer anderen Welt!“. Daher ist eine Bodenhaftung und Ähnlichkeit mit den Mitarbeitern gut. Es sollte das Motto herrschen „Wenn diese Person das kann, dann ist das auch für mich erreichbar, wenn ich mich engagiere. Ihr Erfolg zeigt, dass es auch für mich möglich ist!“ Gib Deinen Mitarbeitern die Botschaft: „Du kannst das auch erreichen, wenn Du Dich anstrengst und meinem Beispiel folgst!“
  • Akzeptanz der Führungskraft. Je mehr Deine Mitarbeiter das Gefühl haben „Der ist der richtige auf der Position, ich hätte den selbst ausgewählt!“, desto besser für Deine Wirkung als Vorbild. Gut für Nachahmung von Verhalten ist daher beispielsweise, wenn Mitglieder in einem Team ihre Führungskraft selbst auswählen können (Haigner und Wakolbinger, 2010).

All die genannten Merkmale und Eigenschaften fördern das Nachahmen von Verhalten durch soziales Lernen. Weitere Aspekte, die bei der Nachahmung eine Rolle spielen können, hat die Forschung zur Wirksamkeit von Kommunikation geliefert. Menschen übernehmen am ehesten Einstellungen und Meinungen von Personen, die sie wahrnehmen als sympathisch und glaubwürdig (z.B. Wilson und Sherrell, 1993). Dazu gibt es Indikation, dass Attraktivität die Rolle als Vorbild fördert (Langlois et al., 2000) – insbesondere erhalten attraktive Personen mehr Aufmerksamkeit und das Aufsuchen ihrer Nähe. Beides sind wichtige Grundlagen für die Wirkung als Vorbild.

Der nächste Abschnitt zeigt Dir in welchen Bereichen Dein Vorbildverhalten wirkt.

Führung durch Vorbild: Vorteile

Welche Vorteile bietet Dir Vorbildverhalten? Der Psychoanalytiker Jung sagte: „Kinder werden durch das erzogen, was der Erwachsene ist, nicht durch das, was er schwätzt.“ Jede Führungskraft möchte Wirkung. Und je höher Dein Anspruch an Dich selbst ist, desto mehr wirst Du auf Vorbildverhalten setzen. Es gibt typische Themenfelder, in denen Du mit Vorbildverhalten erfahrungsgemäß besonders viel bei Deinen Mitarbeitern erreichst. Die Abbildung zeigt eine Übersicht.

Vorbildfunktion: Vorteile und Auswirkungen bei der Führung

In diesen Bereichen bietet Dein Vorbildverhalten Vorteile:

  • Veränderung und Innovation. Entscheidend ist Vorbildverhalten in allen Situationen, die nicht bereits zu festen Gewohnheiten geworden sind. Beispielsweise, wenn es darum geht, neues Verhalten aufzubauen und erstmals zu zeigen, gewohntes Verhalten zu ändern, sich neuen Herausforderungen und Situationen zu stellen. Mitarbeiter beobachten hier genau Deine ersten Reaktionen und Schritte. Bei Führungskräften ist wegen des hohen Status die Toleranz für Abweichungen von den etablierten Normen höher (Becker, 1963; Kohn, 1977; Galinsky et al., 2008). Du kannst daher als Führungskraft wunderbar Innovation und Veränderung als Vorbild anstoßen, neue Wege vorangehen, „Mauern“ und „Zäune“ einreißen.
  • Leistungseinstellung. Früh aufstehen und hart arbeiten? Dinge sofort anpacken und nicht liegen lassen? Chancen ergreifen, wenn sie frisch sind? Probleme lösen, bevor sie Katastrophen werden? Nach Misserfolgen aufstehen und weiter kämpfen? Deine Einstellung zu Leistung strahlt auf das ganze Team aus.
  • Lösungsorientierung und Verantwortung. Fehler passieren. Manche Führungskräfte vermitteln hier Teil der Lösung, statt Teil des Problems zu sein. Sie analysieren Ursachen und konzentrieren sich auf die Zukunft: Fehler beheben und zukünftig ausschließen. Andere Führungskräfte kreisen lange um die Schuldfrage, schauen kaum nach vorne. Beides färbt auf die Mitarbeiter ab. Im Extremfall gibt es dann Teams, in denen es wichtiger ist „nicht schuld zu sein“, anstatt Fehler zu vermeiden. Sei anders.
  • Ethisches Verhalten. Es gibt viele ethische Themen am Arbeitsplatz: Umgang mit Firmeneigentum, „Blaumachen“, Vetternwirtschaft, Diskriminierung, sexuelle Aktivität am Arbeitsplatz, Abzocken von Kunden. Als Führungskraft setzt Du hier den Standard, den Deine Mitarbeiter nachleben werden.
  • Unbeliebte Tätigkeiten. Bei Arbeitsumgebungen ist es wie bei Wohngemeinschaften: Es gibt Tätigkeiten, die sind wichtig aber die möchte eigentlich niemand gerne tun. Im übertragenen Sinne ist der Müll runter zu bringen oder die Toilette zu putzen. Drückt sich eine Führungskraft immer vor ungeliebten Tätigkeiten, dann sind Mitarbeiter sehr sensibel dafür und neigen dazu, sich ebenfalls zu drücken. Wenn Du als Führungskraft die Einstellung vorlebst „Ich mache das eben mal!“, dann werden auch Deine Mitarbeiter selbstverständlicher unangenehme Dinge erledigen. Häufig gehören auch Verhaltensweisen aus dem Bereich Arbeitssicherheit und Datenschutz zu den eher ungeliebten Tätigkeiten. Hier gilt es, mit gutem Beispiel voran zu gehen, um diese kritischen Aspekte als „Selbstverständlichkeit“ im Verhalten der Mitarbeiter zu verankern.
  • Umgang mit Menschen. Manche Teams sind von freundlichem Umgang untereinander geprägt, interagierend wertschätzend mit Kunden und reden auch in Abwesenheit von anderen Personen respektvoll von diesen. Als Führungskraft hast Du einen gewaltigen Einfluss auf dieses Verhalten. Es gibt Teams, in denen Führungskräfte Mitarbeiter beim Telefonieren mithören lassen, das Gerät auf stumm schalten und über Kunden oder Kollegen lästern und lachen. In diesen Teams breitet sich dann oft eine toxische Einstellung zu Kunden und Kollegen aus. Und es gibt ganze Unternehmen, auch mit mehreren hundert Mitarbeitern, in denen sich Mitarbeiter mit Redewendungen wie „Hey Du Wichser, …” ansprechen.
  • Handlungsfähigkeit und Entwicklung. Mache Führungskräfte lernen kontinuierlich weiter. Sie holen sich Feedback ein und hören gut zu. Sie beobachten genau, was andere tun und sie sprechen darüber. Ihr Ziel ist, sich jeden Tag weiter zu entwickeln, niemals stehen zu bleiben. Sie stellen sich jeden Abend die Frage: „Bin ich heute besser als gestern?“ Dadurch vermitteln sie lebenslanges Lernen und Entwicklung als Mindset bei ihren Mitarbeitern.
  • Freizeitverhalten. Achten Führungskräfte auf ausreichend Zeit für Regeneration, Sport, Bewegung, gesunde Ernährung und ein gesundes soziales Umfeld (Familie), färbt das auch auf Mitarbeiter ab. Ziel ist, dass Deine Mitarbeiter sich selbst gut behandeln, ein Freizeitverhalten haben, das ihnen Kraft gibt, anstatt Kraft raubt und dass sie gut regeneriert am Arbeitsplatz erscheinen.

Was ist zu tun, um diese Vorteile zu ernten? Der Ablauf ist einfach: Schau Dir als erstes genau an, ob bzw. wie Deine Mitarbeiter Dich als Führungskraft in den hier genannten Bereichen erleben. Suche Dir dann die Bereiche aus, in denen Du mehr Impulse als Vorbild setzen möchtest. Zeige anschließend gut sichtbar Vorbildverhalten in diesen Feldern. Natürlich spielt Deine konkret Führungssituation eine Rolle: Gutes Vorbildverhalten in einer Abteilung für Buchhaltung sieht anders aus als in einer Vertriebsabteilung.

Vorbildverhalten wirkt sowohl im positivem als auch im negativem Sinne, wie der folgende Abschnitt zeigt.

Gutes und schlechtes Vorbild bei der Mitarbeiterführung

Vorbilder erfüllen wichtige Funktionen für Menschen. Und diese Funktionen gelten vor allem auch bei der Mitarbeiterführung. Grob gesagt gibt es gute und schlechte Vorbilder. Im täglichen Miteinander kannst Du als Führungskraft immer wieder ein Beispiel für vorbildliches Verhalten sein. Dabei zeigen sich drei Arten der Wirkung:

  • Gutes Vorbild. Vorbilder geben ein Modell für gewünschtes Verhalten. Dadurch, dass Du als Führungskraft bei entscheidenden Themen vorangehst, als erstes investierst, werden Deine Mitarbeiter auch eher investieren (Hermalin, 1998). Und das führt zu Erfolg. Im Militär hat sich das Konzept „Führung von vorne!“ entwickelt. Der Anführer, der seinen Soldaten voran gegen den Feind stürmt, hatte zwar ein persönlich höheres Risiko. Er konnte aber meist seine Gefolgschaft damit inspirieren, ihm umso entschlossener zu folgen. Mit dieser Methode waren auch Siege gegen scheinbar haushoch überlegene Truppen möglich. So wie im Militär gibt es an jedem Arbeitsplatz Menschen, die wie Leuchttürme strahlen, die Entschlossenheit verkörpern und vermitteln. Deine Mitarbeiter ahmen Dein Verhalten und Deine Werte nach, wenn Du so eine Person bist. Ein Beispiel ist eine Führungskraft, die selbst immer pünktlich und gut vorbereitet zu Meetings erscheint, damit niemand warten muss und sich auch selbst an die vorher im Zeitplan festgelegten Redezeiten für die Tagesordnungspunkte hält. Dieser Standard strahlt aus, andere folgen.
  • Schlechtes Vorbild. Aber es gibt natürlich gegenteilige Beispiele, nicht nur im Militär, die „Führung von hinten!“ praktizieren. Besonders tragisch ist, dass solche Führungskräfte als Modell für unerwünschtes Verhalten dienen, ihre Mitarbeiter unpassendes und unerwünschtes Verhalten nachahmen. Hier gilt dann das Sprichwort „Der Fisch stinkt vom Kopf zuerst!“. Ein typisches Beispiel: Eine Führungskraft untersagt den Mitarbeitern während der Arbeitszeit privat im Internet zu surfen – wenig später wird sie mit einem Online-Game auf dem Smartphone beobachtet. Der Alltag ist voll von solchen Beispielen: Gesundheitsminister, die sich an die eigenen Corona-Regeln nicht halten; Führungskräfte und Politiker, die mitteilen, es müsse gespart werden und sich selbst die Boni oder Gehälter erhöhen und in dicke Villen einziehen; Eltern die von ihren Kindern gute Schulleistungen fordern, während sie selbst den halben Tag im Bett liegen.
  • Aus Fehlern anderer lernen. Jeder hat seine Schwächen und jeder zeigt auch schlechtes Vorbildverhalten. Das muss keine Katastrophe sein, im Gegenteil. Wenn Du als Führungskraft schlechtes Verhalten gezeigt hast, kannst Du den Schaden durch richtige Kommunikation reduzieren. Solche Ereignisse wirken als negatives Modell für unerwünschtes Verhalten, als abschreckendes Beispiel. Aus Deinen Fehlern lernen Deine Mitarbeiter idealerweise, diese Fehler zu vermeiden – wenn Du richtig darüber kommunizierst. So kannst Du Mitarbeitern erzählen, dass Du früher auch so wie sie gedacht, gehandelt hast – und warum Du das geändert hast. Du kannst auch erzählen, wie Du einmal ein wichtiges Projekt verloren hat, weil Du beispielsweise nicht rechtzeitig auf etwas reagiert hast, etwas übersehen hast, schlecht vorbereitet warst. Voraussetzung ist aber, dass Du als Führungskraft die Größe hast, eigenes Verhalten offen als schlechtes Vorbild darzustellen. Die Botschaft an die Mitarbeiter ist dann: „Fehler passieren. Aber wir sollten dazu stehen und daraus lernen!“ Sprich offen mit Deinen Mitarbeitern über eigene Fehltritte, damit diese daraus lernen können. Das macht Dich auch als Mensch greifbar und sympathisch. Zudem werden Deine Mitarbeiter auch frühzeitig und offen zu Dir kommen, wenn ihnen selbst einmal ein Fehler passiert.

Fazit: Die Forschung zeigt, dass Führungskräfte, die vorangehen und als erste in einen Weg „investieren“, ihre Mitarbeiter zur Nachahmung animieren (Hermalin, 1998). Auch bei Führungskräften, die wenig zum Erfolg beitragen und investieren, folgen die Mitarbeiter diesem Beispiel und tragen entsprechend auch wenig bei (Moxnes und Heijden, 2003). Oft sind sich Führungskräfte ihrer Wirkung als Vorbild kaum bewusst, wie folgendes Beispiel zeigt.

Beispiel: Geht es hier wirklich um Vertrauen?
Eine Führungskraft spricht mit ihrem Coach.

Führungskraft: „Aktuell habe ich die Herausforderung, dass ich meinen Mitarbeitern nicht vertraue.“

Coach: „Nicht vertrauen. Das ist jetzt sehr allgemein und sehr breit formuliert. Du wirst ihnen ja nicht in jeder Hinsicht nicht vertrauen?“

Führungskraft: „Es geht besonders um die Arbeitseinstellung, dass die einen guten Job machen wollen.“

Coach: „Kannst Du ein ganz konkretes Beispiel geben?“

Führungskraft: „Ja, letzte Woche am Freitag. Alle haben angegeben, dass sie bis 17 Uhr am Arbeitsplatz waren. Aber das glaube ich einfach nicht.“

Coach: „Was heißt glauben, wo warst denn Du?“

Führungskraft: „Ich war im Biergarten!“

Dieses Beispiel verdeutlicht ein verbreitetes Problem: Mitunter ist uns gar nicht bewusst, dass wir als schlechte Vorbilder wirken und unsere Mitarbeiter unerwünschtes Verhalten nachahmen. Wenn Du also unerwünschtes Verhalten bei anderen beobachtest, frage Dich: Habe ich selbst dazu als wesentlicher Teil des sozialen Systems am Arbeitsplatz beigetragen? Ist mein eigenes Verhalten ein gut sichtbarer positiver Kontrast dazu, wirke ich als Vorbild? Habe ich ggf. selbst durch mein Verhalten falsche Akzente gesetzt und eine Dynamik in die falsche Richtung ausgelöst?

Der nächste Abschnitt zeigt, wie Vorbilder auch Führungskräfte selbst beeinflussen.

Vorbild sein – Führungsnachwuchs prägen

Als Führungskraft prägst Du als Vorbild die Gegenwart – aber auch die Zukunft. Manche Anführer haben nachfolgende Generationen an Führungskräften für Jahrhunderte geprägt, insbesondere im religiösen Bereich. Aktuelle Führungskräfte haben entsprechend viele Prinzipien und Verhaltensweisen übernommen von Personen, die diese selbst führen oder einmal geführt haben. Vieles übernehmen Menschen auch, ohne dass es ihnen bewusst ist – von den Eltern, aus ihrer Geschwisterkonstellation (z.B. als älteres Geschwister Verantwortung für die jüngeren) und von Führungskräften im Beruf. Dabei gibt es grob zwei Mechanismen:

  • Nachahmung. Mitarbeiter begegnen beispielsweise Führungskräften, die wertschätzend und freundlich sind aber gleichzeitig hohe Leistungsanforderungen haben. Diese Führungskräfte geben den Mitarbeitern das Gefühl, wichtig zu sein, an etwas wichtigem zu arbeiten, besonderes erreichen zu können. Mitarbeiter machen bei solchen Führungskräften die Erfahrung, wie sie selbst und andere gerne und mit Spaß Höchstleistung bringen. Später, wenn sie selbst Führungskräfte geworden sind, eifern sie diesem positiven Bild nach. Sie versuchen auch diese Wirkung zu entfalten.
  • Vermeidung. Umgekehrt denken Führungskräfte mitunter auch an eigene düstere Erfahrungen zurück. Sie erinnern sich an einen Vorgesetzten, der cholerische Schrei-Anfälle, entwürdigenden Kommunikationsstil und Mobbing praktizierte. Sie haben damals beobachtet, wie alle guten Mitarbeiter den Arbeitsplatz wechselten und nur die schwachen zurückblieben, die glaubten „Ich finde leider keinen anderen Arbeitsplatz, wer will mich schon!“. Sie konnten sehen, wie nicht nur das menschliche Miteinander und die guten Mitarbeiter verschwanden, sondern schließlich auch die Leistung einbrach. Mit diesem negativem Bild als abschreckendes Beispiel im Kopf, versuchen sie dann selbst anders zu führen, solche Praktiken zu vermeiden.

Durch diese Prägung über Generationen von Führungskräften wirkt Vorbildverhalten letztlich auch als Fundament einer Unternehmenskultur. Vorbilder geben die Kultur von Generation zu Generation weiter. Daher kann man in machen Firmen den Geist des lange verstorbenen Gründers noch spüren, der von Generation zu Generation im Mindset der Führungskräfte weiterlebt und damit wie aus dem Jenseits in die Strategie und das operative Geschehen hineinwirkt.

Führen als Vorbild kannst Du auch indirekt. Das zeigt der folgende Abschnitt.

Vorbildfunktion der Mitarbeiter

Wer immer nur seine eigene Rolle als Vorbild im Blick hat, sollte den Fokus erweitern. Welche Vorbilder neben Dir wirken in Deinem Verantwortungsbereich? Du solltest für andere gute Vorbilder im Kontext Deiner Mitarbeiter sorgen – und schlechte Vorbilder abschalten. Wie geht das? Indem Du Mitarbeiter mit besonders vorbildlichem Verhalten öffentlich heraushebst, das Verhalten lobst und deren Beitrag zum gemeinsamen Erfolg betonst. Indem Du mit solchen Mitarbeitern zentrale Stellen besetzt. Dann prägen diese den Ton und das Verhalten im Team. Sie sozialisieren die anderen Mitarbeiter, lenken alles in die gewünschte Richtung.

Die Psychologie hinter diesem Effekt ist relativ simpel:

  • Wer sich an die Normen einer Gruppe hält, erfährt Zustimmung von den anderen Gruppenmitgliedern.
  • Wer dagegen Normen verletzt, erhält Sanktionen von den anderen im Team.

Die in einem Team ausgeprägten Normen schlagen damit auf das konkrete Verhalten der einzelnen Mitarbeiter und damit auf die Ergebnisse durch. Es gibt keinen Bereich des Verhaltens in Teams, der nicht von sozialen Normen geprägt ist. Die Wirkung beschränkt sich daher natürlich nicht nur auf Arbeitsleistung. Auch an andere Verhaltensweisen ist zu denken: Etwa an Kreativität mit dem entsprechenden Output an Ideen als Ergebnis (Gilson und Shalley, 2004), Lernen und Lerntransfer (Smith-Jentsch, Salas und Brannick, 2001), Kundenorientierung mit dem Ergebnis Kundenzufriedenheit (Schneider et al., 2005) oder Arbeitssicherheit mit Auswirkungen auf die Rate von Arbeitsunfällen (Zohar, 2000).

Also nochmal: Fördere Mitarbeiter, die als positive Vorbilder wirken. Und beseitige schlechte Vorbilder zusammen mit ihrer zersetzenden Wirkung.

Ich weiß, das war jetzt einiges an Forschung als Input. Keiner hat gesagt, dass es leicht ist, ein gutes Vorbild zu sein. Daher zum Schluss nochmal die entscheidenden Tipps in der kompakte Übersicht.

Vorbild sein: Tipps

Nicht alle wirken gleich stark als Vorbild und viele wirken in die falsche Richtung. Daher gibt der Schaukasten Dir nochmal entscheidende Tipps zur Führung als Vorbild in der Übersicht.

Tipps: Als Vorbild führen
Vorbild sein. Das ist eine Reise, die nie wirklich endet, ein Streben, das nie enden sollte. Wenn wir ehrlich sind, sollte jeder von uns an diesem Thema sein Leben lang arbeiten. Die Punkte aus diesem Kapitel helfen Dir eine Vision zu entwickeln, was für ein Vorbild Du sein möchtest. Sie zeigen Dir die Stufen und Schritte auf dieser Reise. Darauf solltest Du achten, damit Du effektiv als Vorbild führst:

  • Der wichtigste Tipp: Sei Dir als Führungskraft Deiner Rolle als Vorbild bewusst. Wirklich bewusst, nicht nur nach dem Motto „Ja, ja, ich bin Vorbild, ist doch klar.“ Erkenne Vorbildverhalten als das, was es ist: Dein zentrales Führungsinstrument. Mitarbeiter machen Dein Verhalten nach. Immer. Im Guten wie im Schlechten. Im besten Fall prägst Du in wesentlichen Feldern den höchsten Standard, strahlst golden auf alles und jeden in Deinem Umfeld aus. Im schlimmsten Fall vermitteln aber nicht wenige Führungskräfte unbewusst schädliche Einstellungen, verbreiten toxische Werte und Verhaltensweisen.
  • Überlege Dir genau, welche Ansprüche Du an Mitarbeiter stellst. Lebe diese dann konsequent vor. Wenn Deine Ansprüche und Dein Verhalten aus Sicht der Mitarbeiter nicht zusammen passen, entsteht tiefer und langfristiger Schaden: Das Vertrauen in Dich geht verloren. Der doppelte Standard im Sprechen und Handeln „Wasser predigen und Wein trinken“ enttäuscht Deine Mitarbeiter, untergräbt Deine Glaubwürdigkeit. Das alles wieder aufzubauen, dauert lange und wird Dich viel Energie kosten. Komme besser erst gar nicht in diese Situation.
  • Ja, Vorbild zu sein, erfordert Charakterstärke, ist hart. Glaubwürdig Vorbild sein (authentisch), sich selbst keine Ausnahmen zu erlauben, auch wenn scheinbar keiner zusieht, ist schwer. Führung bedeutet daher am Ende für Dich von Dir selbst mehr zu verlangen als von jedem anderem. Immer. Das Prinzip „Führung von vorne“ bedeutet sogar noch mehr zu liefern als man von anderen verlangt. Überlege Dir, ob Du liefern kannst und willst – oder ob Du besser nicht Führungskraft sein solltest. Herrschen können viele. Aber gute Führung ist schwer und den wenigsten vorbehalten.
  • Du kannst Deine Wirkung als Vorbild hebeln und vervielfältigen, indem Du bestimmte Merkmale pflegst und förderst: Achte darauf, dass Du sichtbar und nah an Deinen Mitarbeitern bist. Sorge dafür, dass Du als erfolgreich und kompetent wahrgenommen wirst. Achte darauf, dass Mitarbeiter Dich als sympathisch und nahbar empfinden, Dich in vielem als ähnlich erleben (nur eben als kompetenter und erfolgreicher). Und ja, auch wenn es manche ungern hören und es nicht dem Zeitgeist entspricht: Attraktivität scheint auch für Führungspositionen hilfreich – achte also auf Dein Erscheinungsbild.
  • Manche Führungskräfte übersehen auch einfach wichtige Bereiche des Vorbildverhaltens. Sie sind unbewusst, merken gar nicht, was sie damit anrichten. Unbeabsichtigt setzen sie hier dann falsche Standards. Sie Dir die Liste aus dem Abschnitt oben sehr, sehr genau an, ignoriere kein wichtiges Handlungsfeld des Vorbildverhaltens. Leuchte jedes Feld aus, gestalte bewusst, was bisher mit wenig Bewusstsein geschehen ist.
  • Erkenne die wichtigsten Personen am Arbeitsplatz für die Du Vorbild bist: Die nächste Generation an Führungskräften. Sei hier noch sorgfältiger und bewusster in Deiner Wirkung. Du vererbst sie auf die nächste Generation – und manchmal noch viel weiter.
  • Nutze andere Personen (Mitarbeiter im Team) als Vorbild. Achte sehr genau darauf, wer im Mittelpunkt steht – und wer besser nicht. Überlege Dir, wen Du öffentlich herausstellst und lobst. Bedenke auch, welche Personen ungesunde Mindsets vermitteln, falsche Vorbilder sind. Entferne diese faulen Äpfel. Lasse niemals zu, dass sie den Ton angeben.

Der letzte Abschnitt gibt Literaturhinweise zur weiteren Vertiefung.

Vorbild sein: Literatur

Aktuelle Literatur-Tipps zu Führung durch Vorbildfunktion.

Mit Vorbildverhalten hast Du jetzt das wichtigste Führungsinstrument kennengelernt. Warum ist es das wichtigste? Wenn Du hier nicht wirkst oder sogar in die falsche Richtung wirkst, dann untergräbst Du alle Deine anderen Anstrengungen als Führungskraft. Setze also hier als erstes an, beschäftige Dich mindestens einige Wochen intensiv damit – und bleibe dann Dein Leben lang bewusst in diesem Feld.

Mit diesem Instrument hast Du Deine Basis gelegt, um die anderen Führungsinstrumente zu entwickeln. Wenn Du Dir die einzelnen im Kapitel angesprochenen Themen angeeignet hast und im Verhalten zeigst, dann bist Du im ersten Stock des Hochhauses der Mitarbeiterführung angelangt. Im nächsten Kapitel geht es weiter auf der Treppe zum zweiten Stock. Erfolgreiche Führung braucht gute Beziehungen als Grundlage. Du erfährst deshalb im Folgenden, wie Du Sympathie aufbaust.