„Was uns nicht umbringt, macht uns stärker!“ sagt man. Doch das stimmt leider nur bei ganz wenigen Menschen. Sie sind resilient. Was gibt diesen besonderen Menschen das mentale Extra, sodass sie auch widrigste Situationen nicht nur überstehen, sondern sogar gestärkt daraus hervortreten? Wie können wir Resilienz stärken? Unfälle, Erkrankungen, Todesfälle, toxische Mitmenschen sowie politische und gesellschaftliche Verwerfungen: Die Frage ist nicht ob, sondern nur wann solche Krisen-Ereignisse auf jeden von uns zukommen. Werden wir dann erfolgreich damit umgehen? Viele Menschen zerbrechen in solchen Krisen, kollabieren, geben auf, werden zum „Opfer“ der Situation. Und manche Personen scheitern schon am ganz normalen Alltag, sind auf Hilfe angewiesen. Andere überwinden dagegen auch schlimme Situationen. Und ganz wenige Menschen wachsen sogar im Feuer widrigster Umstände vollkommen über sich hinaus, beherrschen die Situation. Was macht diese Menschen so unzerstörbar?
Dieser Beitrag diskutiert die aktuelle Forschung. Er gibt eine Definition von Resilienz, schildert ihre Bedeutung und verrät die Säulen, mit denen wir unsere mentale Widerstandskraft aufbauen. Tipps und Übungen erklären, wie wir unsere psychologische Resilienz fördern.
Autor: Diplompsychologe Professor Dr. Florian Becker
In diesem Beitrag:
Was ist Resilienz? Definition und Merkmale
Schon der lateinische Ursprung „resilere“ (abprallen, zurückspringen) definiert Resilienz sehr anschaulich: Etwas prallt wirkungslos an uns ab, als hätten wir einen Schutzschild. Soweit die einfache Antwort auf die Frage: Was ist Resilienz? Was aber bedeutet resilient zu sein wissenschaftlich gesehen? Handelt es sich um eine Eigenschaft, ein Verhalten, etwas im Umfeld von Personen, einen Entwicklungsprozess oder ein Ergebnis (Reich, Zautra und Hall, 2010)? Wenn wir wissenschaftlich Resilienz definieren, sieht das so aus:
Das Bild zeigt, wie Resilienz definiert ist und wirkt. Hohe Resilienz führt zu einem Überstehen von Situationen mit Krisenpotenzial. Im Idealfall findet sogar ein Wachstum statt, wir treten dann umso kompetenter und stärker aus dem „Feuer“ der Krise hervor. Wir sind gestärkt für zukünftige Herausforderungen. Niedrige Resilienz führt dagegen dazu, dass eine Situation tatsächlich zu einer Krise eskaliert, bewirkt ein Scheitern. Die Folge ist oft eine weitere Schwächung für zukünftige Herausforderungen.
Die Definition von Resilienz weist auf wichtige Merkmale hin:
- Resilienz ist eine Kompetenz. Es ist eine Kompetenz in Bezug auf potenziell widrige Situationen. Per Definition ist Resilienz mehr als eine bloße Eigenschaft oder ein Verhalten von Menschen. Sie umfasst verschiedene Säulen, beinhaltet neben inneren psychologischen Eigenschaften wie Intelligenz oder emotionale Stabilität auch zwischenmenschliche Aspekte wie Freundschaften oder Ressourcen wie Geld und Information.
- Lässt sich entwickeln und stärken. Da Resilienz als Kompetenz auf vielen Säulen fußt, lässt sie sich gezielt aufbauen. Menschen können bestimmte Verhaltensstrategien lernen, Eigenschaften stärken, Beziehungen knüpfen, Denkmuster ablegen und erwerben, Ressourcen schaffen. Wie beim Aufbau von Muskeln ist das anstrengend, braucht Zeit, ist aber gut möglich.
- Widrige Umstände, keine Krisen. Viele Definitionen der Resilienz beinhalten das Überstehen von Krisen. Das trifft den Kern, was resilient bedeutet, nur zum Teil. Denn es geht gerade darum, dass für resiliente Personen etwas oft gerade eben nicht zur Krise wird, was für andere eine Krise ist. Es geht um potenziell widrige Umstände, mitunter potenziell traumatisierende Situationen (Bonanno, 2004). Resilienz bedeutet, dass diese Umstände ihr schädliches Potenzial bei einer Person nicht entfalten können.
- Beinhaltet auch Wachstum. Es geht nicht nur darum, eine Situation zu überstehen, an sich „abprallen“ zu lassen. Resilienz hat eine größere Bedeutung. Frei nach dem Motto: „Was uns nicht umbringt, das macht uns stärker!“ Was für andere eine Krise ist, das ist für resiliente Menschen idealerweise eine Herausforderung, an der sie wachsen.
- Gilt auch für ganze Gruppen. Resilienz bezieht sich nicht nur auf einzelne Menschen. Nach dieser Definition können auch ganze Gruppen von Personen resilient sein, trotz potenziell widriger Umstände wachsen. Das betrifft zum Beispiel Gruppen mit starkem Zusammenhalt, gutem emotionalen Klima, klarer Hierarchie und sinnvoller Rollenverteilung. Diese Gruppen haben dann kollektive Resilienz.
Fazit: Dieser Abschnitt beantwortet fokussiert die Frage „Was ist Resilienz?“. Er zeigt, warum verbreitete Definitionen zu kurz greifen und die Perspektive zu sehr verengen. Resilienz bedeutet, richtig definiert, viel mehr, als nur eine Krise zu überstehen. Resiliente Menschen sorgen dafür, dass widrige Situationen erst einmal gar keine Krise werden. Sie vermeiden oder überstehen die Situation nicht nur, sie wachsen daran und treten gestärkt daraus hervor. Die wissenschaftliche Definition geht also weit über ein bloßes „Abprallen“ hinaus. Widrige Umstände prallen nicht einfach ab an resilienten Menschen – sie werden konsumiert, genutzt, um zu lernen und stärker zu werden. Was für viele andere Gift ist, das ist für resiliente Menschen Medizin und eine Chance zu wachsen.
Bedeutung von Resilienz: Beispiele
Unstrittig hat Resilienz Bedeutung für unser Leben. Wer profitiert schon nicht davon, wenn er bei Herausforderungen in Gesundheit, Familie, Beruf oder Finanzen dafür sorgt, dass diese erst einmal keine Krisen werden? Wer möchte schon nicht lieber an Herausforderungen und Schicksalsschlägen wachsen und stärker werden, als daran zu zerbrechen? Und es geht bei der Bedeutung von Resilienz nicht nur um unangenehme psychologische Wirkungen, wie etwa eine Posttraumatische Belastungsstörung (PTSD), die man anhand einer schlimmen Erfahrung entwickelt – oder eben nicht. Mitunter geht es um das nackte Überleben. Es gibt extreme Beispiele für Resilienz, die ihre Bedeutung untermauern. Zwei davon zeigt der Schaukasten.
- Resilienz bei Krankheit. Lance Armstrong ist bekannt als einer der erfolgreichsten Radsportler der Geschichte. Er ist aber auch ein gutes Beispiel für die Bedeutung von Resilienz. Ein potenziell traumatisches Ereignis für ihn war die Diagnose von Hodenkrebs mit Metastasen in Lunge und Gehirn. Es folgten Operationen und eine Chemotherapie. Er hat den Krebs nicht nur besiegt. Er berichtet durch das Ereignis sogar stärker geworden zu sein: „Im Rückblick würde ich nichts daran ändern wollen. … Ich habe viel gelernt und bin persönlich gewaltig gewachsen die letzten beiden Jahre.“
- Resilienz bei Gefangenschaft. Admiral Robert Shumaker kam, nachdem sein Flugzeug in Vietnam abgeschossen wurde, in achtjährige Kriegsgefangenschaft. Er geriet damit in eine Situation, in der Resilienz eine hohe Bedeutung hat, überlebensnotwendig wurde. Er durchlebte körperliche Folter, Isolationshaft, und psychischen Druck. Dabei hat ihm und seinen Mitgefangenen zwischenmenschlicher Austausch und geheime Kommunikation geholfen. Das gelang ihm trotz Isolationshaft unter anderem, indem er einen „Tap Code“ nutzte, ein Morsesystem mit Klopfzeichen. So konnte er Informationsaustausch aufrechterhalten: Wem wurden welche Fragen im Verhör gestellt? Welcher frische Gefangene weiß etwas Neues? Der Hauptvorteil war aber, dass sich kein Gefangener allein fühlte. Shumaker stellte so mit den anderen Gefangenen einen Zusammenhalt im Team her und hielt sogar die militärische Hierarchie aufrecht – trotz Isolationshaft. Damit ist das auch ein schönes Beispiel für kollektive Resilienz.
Beide Beispiele zeigen Menschen, die auch deswegen resilient waren, weil sie dazu eine sehr gute Basis hatten. Sie kamen alles andere als unvorbereitet in diese schwierigsten Situationen. Lance Armstrong konnte auf seine ungeheure Disziplin und mentale Stärke als Spitzensportler aufbauen, seine Fähigkeit, sich auch in widrigsten Situationen zu motivieren, wenn jede Faser des Körpers danach schreit aufzugeben. Robert Shumaker hatte militärische Disziplin, Kenntnisse über verdeckte Kommunikationen, Führungserfahrung und das Wissen, wie man eine Mannschaft unter schwersten Bedingungen zusammenschweißt und handlungsfähig behält.
Es ist daher kein Zufall, dass gerade diese Personen resilient waren. Sie geben uns wichtige Hinweise auf Ursachen und Quellen von Resilienz. Dazu später mehr.
So wie diese beiden Beispiele zeigen unzählige weitere, dass Resilienz Bedeutung hat: Holocaust-Überlebende, Menschen, die Schiffsbrüche überlebt haben oder lange im arktischen Eis gefangen waren, Soldaten, die Kriegserfahrungen nicht nur überlebt haben, sondern handlungsfähiger und selbstbewusster zurückkamen. Menschen, die sprichwörtlich durch das Feuer gingen und stärker daraus hervortraten.
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von Diplompsychologe Prof. Dr. Florian Becker
Resilienz ist nicht nur in Hollywood-artigen Extremsituationen wichtig. Jedes Leben bringt Situationen mit Krisenpotenzial, bei einigen ist der Alltag davon geprägt. Auch dazu zwei Beispiele für Resilienz im Alltag.
Resilienz ist auch im Alltag wichtig, bei ganz „normalen“ Menschen. Wir alle begegnen schlimmen Erfahrungen im Leben – einige von uns schon als Kinder. Dabei ist sehr entscheidend, wie wir psychologisch damit umgehen. Zwei kontrastierende Beispiele:
- Peter ist ein liebevoller Familienvater. Seine Kinder und Ehefrau behandelt er voller Respekt und Wertschätzung. Er hat eine tiefe Ablehnung für Gewalt, auch in der Kommunikation. Und er lebt abstinent. „Mein Vater war schwerer Alkoholiker, hat uns Kinder und meine Mutter misshandelt. Er hat jeden Tag herumgeschrien, uns beschimpft und geschlagen. Wie könnte ich es je zulassen, dass so etwas in meiner Familie geschieht? Wie könnte ich meinen Kindern so etwas antun? Ich habe mir geschworen, nie die Hand gegen meine Kinder und meine Frau zu heben und niemals Alkohol zu trinken.“ Peter ist resilient, an der schwierigen Situation gewachsen und mit einem starken inneren Kern aus festen Werten und klaren Regeln daraus hervorgetreten. Seine schlimme Kindheit hat ihn klarer und stabiler gemacht – klar und stabil, wie ein Diamant.
- Michael ist als Familienvater gewalttätig und schwerer Trinker: „Ja, ich hatte selbst eine schlimme Kindheit. Tägliche Gewalt und Alkohol waren normal. Das hat mich geprägt. Natürlich finde ich das nicht gut – aber mit meiner eigenen Kindheitserfahrung bekomme ich das nun mal nicht besser hin. Normal. Was will man erwarten? Und mir hat es ja auch nicht wirklich geschadet. Außerdem schlage ich ja nur mit der Hand.“ Michael ist nicht resilient. Er ist von seinen schwierigen Kindheitserfahrungen nach wie vor gezeichnet. Er nutzt sie sogar als Entschuldigung, sich nicht entwickeln zu müssen, keine festen Regeln und Werte zu haben, seine Familie schlecht zu behandeln. Seine schlimme Kindheit hat ihn passiv und instabil hinterlassen.
Auch diese Kontrast-Beispiele weisen auf eine wichtige Quelle der Resilienz: die Selbstwirksamkeitserwartung. Wir können vielleicht unsere Situation nicht immer ändern – aber wir können über unsere Reaktion auf die Situation entscheiden. Unsere innere Haltung entscheidet, wie äußere Umstände wirken.
Peter glaubt fest, dass er selbst über sein Leben entscheiden kann, seine Situation die Folge eigener Entscheidungen ist. Er übernimmt aktiv Verantwortung, wandelt die entsetzlichen Erfahrungen innerlich in etwas Positives um.
Dagegen blickt Michael nach außen, sucht die Verantwortung für sein Leben und seine Situation bei seinen Eltern, der Gesellschaft. Er bleibt passiv und zeigt nach außen auf vermeintlich „Schuldige“. Er glaubt nicht (oder will nicht glauben), dass er sich anders entscheiden könnte. Er lässt sich und sein Leben von der schlimmen Situation bestimmen.
Die Beispiele geben uns bereits Hinweise: Resilienz ist kein Zufall. Unsere innere Haltung entscheidet.
Resilienz-Training: Übung für innere Haltung
Wir können durch Übung Resilienz trainieren. Dazu zeigte der Schaukasten einen Ansatz, der unsere innere Haltung auf mehr Resilienz trainiert. Das fördert unsere mentale Stärke.
Wenn Du Deinen Blick nach innen richtest: Welche innere Haltung siehst Du?
- Wenn Du an Erfolge ein Deinem Leben denkst, worauf führst Du diese zurück? Auf äußere Dinge wie Glück, Zufall, Dein gutes Elternhaus, die „richtigen“ Freunde und Kontakte? Oder auf innere Faktoren wie Deine Anstrengung oder Intelligenz?
Wozu neigst Du, welche Ursachen dominieren? - Wenn Du an Misserfolge und schlechte Umstände in Deinem Leben denkst, worauf führst Du diese zurück? Auf äußere Dinge wie Glück, Zufall, Dein Elternhaus, die „falschen“ Freunde, die Gesellschaft, die Dich benachteiligt? Oder auf innere Faktoren wie mangelnde Anstrengung, Ablenkung vom Wesentlichen, Angst oder Inkompetenz?
Wozu neigst Du, welcher Blickwinkel überwiegt?
Mit einer gesunden inneren Haltung können wir neu aufstehen. Für das Training von Resilienz ist folgendes Denkmuster entscheidend:
- Interne Kontrollüberzeugung. „Erfolg und Misserfolg in meinem Leben liegen zuallererst an einer Person: an mir selbst. Andere sind nicht verantwortlich für mein Glück, ich selbst sitze im Fahrersitz meines Lebens. Es wird kein anderer „Fahrer“ kommen!“
In der Psychologie sagen wir dazu „interne Kontrollüberzeugung“ – Du glaubst, dass Du selbst über Dein Leben bestimmst. Viele Menschen haben leider eine „externe Kontrollüberzeugung“ – sie glauben, dass externe Kräfte über ihr Leben bestimmen und bleiben passiv. - Fokus auf innen. „Selbst wenn ich äußere Umstände einmal nicht schnell ändern kann, dann kann ich meine innere Haltung dazu bestimmen, über meine Reaktion entscheiden. Damit bestimme ich zu großen Teilen über die Wirkung dieser Umstände auf mich. Diese Freiheit kann mir niemand nehmen.“
Damit behältst Du auch in härtesten Situationen, über die Du keine direkte äußere Kontrolle hast, die innere Kontrolle. Über die innere Haltung bestimmst nur Du. Damit bestimmst Du auch die Wirkung der Situation auf Dich. Wandle die Situation innerlich in etwas möglichst Positives für Dich um – so wie der Familienvater Peter in der Geschichte oben oder Lance Armstrong bei seiner Erkrankung. - Growth Mindset. „Wenn ich erfolgreich oder nicht erfolgreich bin, dann liegt es an Dingen, die ich ändern kann: mein Wissen, meine Disziplin, meine Anstrengung, meine Konzentration, meine Motivation. Es liegt nicht an fixierten, weitgehend unveränderlichen Dingen wie etwa meiner Intelligenz.“
Mit dieser inneren Haltung maximierst Du Deine Selbstwirksamkeitserwartung. Du gewinnst damit ein „growth mindset“, glaubst, dass Du etwas verändern und Dich entwickeln kannst. Viele Menschen haben ein „fixed mindset“. Sie glauben vielleicht, dass Erfolg oder Misserfolg an ihnen liegt, aber denken, dass es stabile, unveränderliche Eigenschaften sind – etwa ihre Persönlichkeit oder Intelligenz. Das macht einen enormen Unterschied für die Motivation. Eine Person mit „growth mindset“ wird zum Beispiel sagen: „Ich habe den Kunden nicht für das Projekt gewonnen, weil ich mich nicht gut vorbereitet habe und zu wenig über seine Ziele und Situation wusste. Nächstes Mal bereite ich mich besser vor.“ Eine Person mit „fixed mindset“ wird sagen: „Ich habe den Kunden nicht für das Projekt gewonnen, weil ich einfach nicht mit Menschen umgehen kann. Ich sollte mir einen anderen Beruf suchen.“
Dieses Mindset ist Dir nützlich, Du solltest es leben. Es motiviert Dich und trainiert Resilienz. Es wendet Deinen Blick auf Dinge, die Du ändern kannst und macht Dich proaktiv. Versuche dieses Mindset auch Deinen Mitmenschen zu vermitteln, etwa Kindern und Mitarbeitern. Sie profitieren davon und klettern damit in den Fahrersitz ihres Lebens.
Beschreibt dieses Denkmuster aus der Übung für mehr Resilienz die Realität ganz objektiv und zutreffend? Das ist die falsche Frage, das ist gar nicht seine Aufgabe. In der Positiven Psychologie heißt es: „Wirklich ist, was wirkt.“ Deshalb sollten wir nie erlauben, dass sich eine innere Haltung ausbreitet, die Menschen aus der Verantwortung für ihr Leben und ihre Entscheidungen entlässt, ihnen suggeriert, dass sie keinen Einfluss haben, nur Spielbälle der Gesellschaft und Umstände sind, nur Chancen wie in einem Glücksspiel haben – aber keinen eigenen Einfluss entfalten können. Diese Haltung ist die Entscheidung nicht zu leben, sondern gelebt zu werden, eine Entscheidung für Passivität und den Tod.
Woraus schöpfen manche Personen das mentale Extra, dass sie sogar daran wachsen können, woran andere zerbrechen? Das vertieft der nächste Abschnitt.
7 Säulen der Resilienz: Ursachen und Quellen
Wie stark wir sind, das merken wir meist erst dann, wenn wir stark sein müssen. Dennoch können wir auch vorher eine Idee von unserer inneren Stärke bekommen, wenn wir auf die Ursachen und Wurzeln der Resilienz achten. Diese speist sich aus verschiedenen Quellen (Pangallo et al., 2015). Das sind sieben Resilienz-Säulen:
1. Soziale Ressourcen
„Your network is your net worth.“ Sagt man in den USA. Und hierin liegt einiges an Wahrheit, wie zahlreiche wissenschaftliche Studien zeigen. Soziale Ressourcen sind eine der zentralen Säulen der Resilienz. Familie, Freunde und ein umfangreiches soziales Netzwerk darüber hinaus sind eine unermessliche Hilfe, um resilient zu sein (House und Kahn, 1985; Brewin, Andrews und Valentine, 2000). Ein soziales Umfeld macht Menschen resilienter bei verschiedensten gefährdenden Situationen von Kriegserfahrungen (Stretch, 1986) bis hin zu sexuellem Missbrauch (Golding et al., 1989). Woran liegt das? Soziale Ressourcen liefern: relevante Informationen und Hinweise, operative Unterstützung etwas umzusetzen, Ressourcen (Geld, Material, Zugang zu wichtigen Menschen) und emotionale Unterstützung. Letztlich kann unser soziales Netz in alle anderen Säulen der Resilienz einzahlen.
2. Selbstwirksamkeit
Hinter dem psychologischen Begriff Selbstwirksamkeit verbirgt sich der Glaube, auch kritischen Situationen gewachsen zu sein, dass man es schaffen kann, selbst sein Leben bestimmt. Das ist eine wichtige Säule der Resilienz. Menschen mit dieser Mentalität, stehen nach Schicksalsschlägen, wieder auf, kämpfen weiter (Earvolino-Ramirez, 2007; Garcia-Dia et al., 2013). Menschen ohne Selbstwirksamkeit reagieren hilflos. Sie resignieren und warten passiv auf andere, die es richten sollen.
3. Emotionale Stabilität
Emotionsregulation lässt Menschen entscheiden, wann und wie lange sie welche Emotionen wie stark empfinden, anwachsen lassen und ausdrücken (Gross, 2014). Bei potenziell traumatischen Ereignissen hilft uns diese Eigenschaft, die emotionalen Auswirkungen zu steuern. Manche Menschen können sich einen gewissen Schutzschirm aus positiven Emotionen aufbauen, wenn sie mit adversen Situationen wie Terrorismus, Kriegsgefangenschaft oder Unfällen konfrontiert sind (Feder et al., 2010). Sie bleiben damit handlungsfähig. Sie legen ihren Fokus auf das, was sie ändern können. Andere stürzen in ein tiefes Loch aus Hoffnungslosigkeit, Verzweiflung und Resignation. Sie fokussieren auf Dinge, die sie nicht ändern können. Ihre Säule der Resilienz fällt dadurch in sich zusammen.
4. Persönliche Kompetenzen
An sich ist dieser Punkt trivial – und vielleicht gerade deshalb auch eine zentrale Resilienz-Säule: „Man muss sich halt zu helfen wissen.“ Wer bestimmte Kompetenzen mitbringt, ist eher immun potenziell schädlichen Situationen gegenüber (Ahern, 2006; Simmons und Yoder, 2013). Ähnlich wie ein sehr kompetenter Autofahrer eine gefährliche Verkehrssituation besser übersteht, sind Personen mit einschlägigen Kompetenzen resilienter. Diese Personen verstehen auf Basis ihrer Kompetenzen eine Herausforderung wirklich und entwickeln konstruktive Strategien, um die Herausforderung zu lösen. Welche Kompetenzen sind eine Säule der Resilienz? Das sind insbesondere Kompetenzen in Kommunikation und Umgang mit anderen Menschen, der Fähigkeit sich selbst zu motivieren, Finanzangelegenheiten, Selbstverteidigung und Gesundheitswissenschaften.
5. Flexibilität und Anpassungsfähigkeit
Wer sich an alte Konzepte und Gewohnheiten klammert, wenn sich die Umstände radikal ändern, den überrollt die Situation. Das Persönlichkeitsmerkmal Offenheit für Veränderung ist daher wichtig, um konstruktiv mit neuen Begebenheiten umzugehen. Hohe Ausprägungen hängen mit dem Meistern von schwierigen Situationen zusammen (Tedeschi und Calhoun, 2004). So hat Lance Armstrong im Beispiel oben seine Kompetenzen als Spitzensportler flexibel auf die neue Situation als Krebspatient übertragen und angepasst – und damit den Krebs besiegt. Ebenso hat Admiral Robert Shumaker seine Kompetenzen sehr flexibel auf die neue Situation als Gefangener angewendet. Zuvor war er objektiv Admiral, hatte die formelle Macht und militärische Befehlsgewalt. Er war ganz oben in der Hierarchie. Plötzlich war er objektiv einfach ein Gefangener unter anderen, zudem isoliert, hatte formell nichts zu melden. Egal. Er hat sich an die vollkommen andere Situation angepasst – und wieder eine Hierarchie und Zusammenhalt geschaffen.
6. Optimismus und positive Emotionen
Positive Emotionen führen zu Erfolg – stärker als andersherum Erfolg zu positiven Emotionen führt (Lyubomirsky, King und Diener, 2005). Das hat seine Gründe (vgl. Fredrickson, 2009): Positive Emotionen erweitern unseren Aufmerksamkeitsfokus, begünstigen Kreativität, schützen vor Stress, verbessern die Gesundheit und stärken das Selbstvertrauen ebenso wie unsere Beziehungen mit anderen Menschen. Mit positiven Emotionen verbunden ist auch Optimismus. Optimisten erleben ihre Situation eher als günstig, sie glauben, dass widrige Umstände vorübergehend und veränderbar sind (Seligman, 1998). Dieses Denkmuster ist eine Säule für Resilienz und hilft bei widrigen Umständen. Ein Optimist fokussiert die Energie auf Dinge, die er ändern kann – anstatt auf Dinge, die er nicht ändern kann. Und er gibt nicht auf.
7. Selbstdisziplin
Aus schwierigen Situationen herauskommen. Das verlangt häufig Disziplin und Durchhaltewillen. Diese Tatsache gilt für gesundheitliche Krisen ebenso wie für Krisen in der Schullaufbahn oder im Berufsleben. Es geht dann darum, unmittelbare Motive und Impulse zu beherrschen, um langfristige wichtige Ziele zu erreichen. Es geht darum, das „Jetzt“ in den Hintergrund zu drängen zu Gunsten einer Zukunft, die man herstellen will. In der Psychologie hat sich dafür der Begriff Selbstdisziplin eingebürgert (Gillebaart, 2018). Es gelingt Personen mit niedriger Selbstdisziplin nicht, ihre augenblicklichen Bedürfnisse zu beherrschen, um langfristige Ziele zu erreichen. Sie sind daher in kritischen Situationen nicht resilient, sie kämpfen nicht für eine positive Zukunft.
Wir haben diese Säulen der Resilienz teilweise in unserer eigenen Hand – doch nicht ganz. Eine wichtige oft übersehene Wurzel von Resilienz ist die Genetik (Waaktaar und Torgersen, 2012; Pluess, 2015). Resilienz scheint tatsächlich zu über der Hälfte auf angeborenen Aspekten zu beruhen. Auf den ersten Blick mag das für viele verwunderlich klingen nach dem Motto: „Was hat mein soziales Umfeld oder Kompetenzen mit meinen Genen zu tun?“ Ein näherer Blick zeigt aber bei vielen Säulen der Resilienz erbliche Einflüsse. So scheint die Fähigkeit der Emotionsregulation etwa hälftig angeboren (Weinberg et al., 2015). Hormone, Intelligenz, Lernfähigkeit und andere körperliche und geistige Voraussetzungen spielen mit, wenn es um den Aufbau von persönlichen Kompetenzen geht. Selbst soziale Ressourcen hängen an Einflüssen wie unserer Attraktivität oder Persönlichkeit – eine extrovertierte Person tut sich leichter damit soziale Kontakte zu knüpfen als eine introvertierte. Genetisch mitgeprägte Aspekte wie Extraversion oder emotionale Stabilität spielen daher eine Rolle im erfolgreichen Durchschreiten von potenziell traumatischen Begebenheiten (Tedeschi und Calhoun, 2004).
Nicht alles an unserer Resilienz ist angeboren oder stabil. Es gibt viel Spielraum, um die eigene Resilienz zu fördern und zu stärken.
Resilienz stärken: Training, Übungen, Tipps
Wie kann man Resilienz stärken? Die oben genannten Säulen der Resilienz geben uns einige Tipps für ein wirksames Resilienztraining:
- Kommunikative Fähigkeiten trainieren. Soziale Ressourcen haben sich als eine der wesentlichen Säulen von Resilienz erwiesen. Fähigkeiten, die uns helfen ein starkes persönliches soziales Netz aufzubauen und zu pflegen, sind daher entscheidend. Im Ernstfall ist es dieses Netz, das da ist und uns auffängt – oder eben nicht. Wichtige Kompetenzen im Bereich Kommunikation, um positive Bindungen mit anderen Personen zu etablieren, sind Sympathie und Vertrauen aufbauen, Empathie entwickeln, Zuhören können, Rückmeldung wertschätzend geben, Ideen präsentieren und Fragen stellen. Insbesondere der letzte Punkt ist wichtig. Wer sich nicht öffnet und aktiv nach Unterstützung fragt, der bekommt auch nichts von seinem sozialen Umfeld. Wer seine Kommunikation trainieren will, fokussiert die Aufmerksamkeit zunächst auf einen einzelnen Aspekt: „Habe ich eine offene Körperhaltung, wenn ich zuhöre?“ oder „Wie oft unterbreche ich andere, wenn sie reden?“. So kann man nach und nach seine Fertigkeiten im Bereich Kommunikation trainieren. Auch der Umgang mit Konflikten und Verhandlungstechniken sind ganz zentrale Kompetenzen, mit denen wir Situationen mit Krisenpotenzial meistern.
- Selbstwirksamkeit stärken. Wer seine Selbstwirksamkeit stärkt, der stärkt Resilienz. Eine gute Übung dazu ist sich (auch die kleinen) Erfolge des Tages am Abend nochmal zu visualisieren: „Was habe ich heute geschafft und gut gemacht? Wie hat es sich angefühlt, welche Bilder sind im Gedächtnis geblieben?“
- Gute Gewohnheiten aufbauen. Wie kann die Macht der Gewohnheit Resilienz aufbauen? Ein gesunder Körper und ein gesunder Geist sind eine wichtige Basis, um potenziell traumatisierende Ereignisse zu überstehen. Viele Menschen gehen mit traumatischen Ereignissen wenig nachhaltig um. Sie betäuben sich mit Alkohol und Medikamenten, flüchten in eine digitale Realität oder lenken sich mit Arbeit, Aufräumen und Ähnlichem ab. Sport, gesunde Ernährung sowie vernünftiger Schlaf, Pausen und Regenerationszeiten sind daher wichtige Gewohnheits-Elemente, die unsere Resilienz trainieren. Bei guten Gewohnheiten wie Sport ist oft das Schwierigste „einfach“ damit anzufangen. Wir können als praktische Maßnahme mit uns selbst einen kleinen „Deal“ machen und sagen: „Ich fange an, aber ich muss nur drei Minuten machen!“ Am Ende machen wir dann natürlich mehr als die drei Minuten – die neue Gewohnheit ist zumindest gestartet. Und dann gilt es diese zu festigen, oft zu wiederholen und auszubauen.
- Herausforderungen wirklich verstehen. Mitunter sagt man im Militär den Rekruten: „Was auch immer deine Aufgabe ist: Versuche so viel wie möglich darüber zu lernen!“ Im Prinzip ist das richtig. Je besser wir herausfordernde Situationen verstehen, desto eher finden wir gute Lösungen. Zudem ist die Angst größer vor Dingen, die abstrakt bleiben. Sobald Menschen eine Herausforderung, wie etwa eine Krankheit, wissenschaftlich rational verstehen, ist der Schrecken geringer und konstruktive Schritte zur Lösung sind wahrscheinlich. In der Praxis führt also kein Weg daran vorbei, zu lernen. Dazu gibt es die verschiedensten Ansätze, besonders hilfreich ist oft das soziale Netzwerk. „Wer in meinem Umfeld ist Experte oder weiß zumindest mehr als ich über die Herausforderung? Wer war ein einer ähnlichen Situation und hat diese gemeistert?“ Zeit mit diesen Personen Kontakt aufzunehmen!
- Proaktivität. Wer wartet, bis das sprichwörtliche Kind in den Brunnen gefallen ist, verschlimmert die Situation für sich völlig unnötig. Wesentlich günstiger ist es, frühzeitig zu handeln, das „Kind“ auf dem Weg zum „Brunnen“ zu stoppen. Daher sind Menschen, die rein reaktiv warten, bis ein Problem voll ausgeprägt und eskaliert ist, weitaus weniger resilient. Wer seine Resilienz trainieren will, der entwickelt ein Gespür für mögliche Risikoszenarien, achtet auf die ersten Anzeichen von potenziell traumatischen Situationen und handelt frühzeitig, um diese Situationen abzuwenden oder abzumildern. Dafür gewöhnen wir uns an, wichtige Dinge möglichst frühzeitig zu erledigen, beenden Prokrastination. Wir können uns dafür an den erfolgreichen Menschen in unserem Umfeld orientieren: „Wer war wiederholt schlauer als die anderen? Wer erkennt eine Entwicklung immer schon etwas früher als alle anderen? Wie handelt diese Person jetzt? Wie bereiten sich Experten in meinem Umfeld auf eine bestimmte Situation vor?“
- Selbstregulation trainieren. Die Forschung zu Quellen der Resilienz weist immer wieder auf einen zentralen Aspekt hin: Regulation. Wer seine Emotionen regulieren kann, positive Emotionen fördert, negative Emotionen beiseite schiebt, um für ein langfristiges Ziel zu kämpfen, der übersteht auch härteste Herausforderungen besser. Um unser Mindset auf Resilienz zu optimieren, sollten wir daher in Emotionsregulation investieren. Wir sollten Fokus und Konzentration lernen, unsere Aufmerksamkeit kontrollieren, auf wichtige Dinge fokussieren – anstatt über Unveränderliches zu klagen.
Fazit: Ist Resilienz erlernbar? Das war die Ausgangsfrage dieses Abschnitts. Die Antwort ist ein klares „Ja“. Alle oben genannten Ansatzpunkte können unsere Resilienz stärken. Der Blick auf die Forschungsergebnisse macht aber auch klar, dass Aufbau und Training von Resilienz harte Arbeit sind. Wer Resilienz stärken will, der baut sich ein starkes soziales Netzwerk auf, kultiviert gute Gewohnheiten, arbeitet sich in Themen fundiert ein, handelt schon dann, wenn andere noch tatenlos wegsehen, arbeitet an seinen Emotionen und baut Disziplin auf. Selbstverständlich geht das nicht alles auf einmal. Indem wir konsequent Zeit und Energie investieren, absolvieren wir Schritt für Schritt unser Resilienz-Training bis zur Meisterschaft.
Optimismus, Selbsterfüllende Prophezeiungen, Selbstwirksamkeit und Resilienz: Sie geben uns einen selbstbewussten Blick auf die Welt und uns selbst. Sie füllen uns mit Energie und Mut, geben uns eine Plattform aus Sicherheit. Jetzt geht es darum, von dieser Plattform aus zu wachsen. Es geht darum, unseren Mut und unser Selbstbewusstsein, unsere Energie in eine klare Richtung zu bündeln. Das ist die Rolle von Visionen. Visionen unserer Zukunft geben uns Richtung und Sinn im Leben und können uns zu Außergewöhnlichem motivieren. Wie das geht, zeigt das nächste Kapitel.