„Wer Visionen hat, sollte zum Arzt gehen!“ Hatte Altbundeskanzler Schmidt recht mit dieser Aussage? Schaden uns Visionen? Nein. Im Gegenteil. Visionen sind ein hoch wirksamer Erfolgsfaktor im Leben. Forschungsergebnisse der Psychologie belegen die vielen Vorteile, wenn wir für unser Leben eine Vision entwickeln: Mit einer wirksamen Vision können wir schnell entscheiden und lange bei unserer Entscheidung bleiben – während andere Menschen unsicher sind, lange überlegen und ihre Entscheidungen rasch wieder verwerfen. Das bringt uns mehr Gesundheit, Motivation und Erfolg in vielfältigster Hinsicht. Viele außergewöhnliche Leistungen und Karrieren lassen sich auf die Kraft von Visionen zurückführen – sei es die bemannte Mondlandung, mehr Gleichberechtigung für Schwarze in den USA oder der Lebensweg von Arnold Schwarzenegger.
Dieser Beitrag gibt eine Definition für Vision, schildert die psychologischen Wirkmechanismen und Vorteile. Er zeigt die besten Ansätze, Tipps und Übungen, mit denen wir wirksame Visionen entwickeln.
Autor: Diplompsychologe Professor Dr. Florian Becker
Ohne klare Lebensvision und klare Werte treiben wir ziellos durch das Leben. Wir wissen dann nicht genau, was uns wichtig ist. Und so bestimmen Ablenkungen aus dem Alltag unsere Aufmerksamkeit und unser Leben. Weil wir keinen tieferen Sinn und keine langfristige Vision haben, fehlt uns oft eigener Antrieb und wir entwickeln keine nachhaltige Motivation. Wofür sollen wir uns anstrengen? Das Leben scheint sinnlos. Da wir keine eigene Richtung haben, bekommen wir oft eine Richtung vorgegeben – von anderen. Mit einer klaren eigenen Vision können wir uns davor schützen und selbstbestimmt unseren Weg gehen. Wir bündeln damit all unsere Kräfte über einen langen Zeitraum und erreichen herausragende Ergebnisse.
In diesem Beitrag:
Macht von Visionen: Beispiele
Für die Macht einer Vision gibt es viele Beispiele. Der damalige US-Präsident John F. Kennedy hielt 1962 eine visionäre Rede, in der er eine bemannte Mondlandung für das Ende des Jahrzehntes ankündigte. Tatsächlich glückte diese Mondlandung termingerecht 1969, Kennedy selbst war längst ermordet worden. Es gelang ihm mit seiner Vision über seinen Tod hinaus ein ganzes Land für Jahre zu mobilisieren: die klügsten Köpfe und gewaltige Mengen an Geld und Ressourcen. Wie ist Kennedy vorgegangen, was hat sein Beispiel einer Vision so wirkungsvoll gemacht?
- Er hat in seiner Rede das Ziel klar benannt: „Zum Ende des Jahrzehnts werden wir einen Mann zum Mond senden.“
- Zudem beschreibt Kennedy seine Vision der Mondlandung bildlich: „Wir werden zum Mond – 240.000 Meilen entfernt, eine riesige Rakete fliegen – mehr als 300 Fuß lang. Auf einer neuartigen Mission, zu einem unbekannten Himmelskörper. Und dann werden wir sie sicher zur Erde zurückbringen.“ Damit verknüpft er seine Vision mit einem klaren Konzept, um sie zu erreichen.
- Er verbindet in diesem Beispiel die Vision mit hohem Anspruch und Werten: „Aber warum der Mond, sagen manche, warum das als unser Ziel auswählen? – Sie könnten genauso fragen: Warum den höchsten Berg besteigen? Warum, vor 35 Jahren, den Atlantik überfliegen? … Wir entscheiden zum Mond zu fliegen in diesem Jahrzehnt und all die anderen Dinge zu tun. Nicht weil sie einfach sind. Sondern weil sie schwer sind!“ Dadurch erreicht Kennedy, dass seine Vision mit den Werten seiner Bürger stark übereinstimmt. Die Reaktion seiner Zuhörer: donnernder Applaus.
Seine Vision war derart formuliert so mächtig, dass sie auch nach seinem gewaltsamen Tod ein ganzes Land mit all seinen Ressourcen über Jahre mobilisiert hat.
Mit Visionen können wir aber nicht nur andere führen, sondern auch uns selbst. Ein Beispiel für die Macht von Visionen, um uns selbst zu führen, schildert Arnold Schwarzenegger regelmäßig in Vorträgen und Interviews: „The first rule of success is to have a vision.“ Er begründet das so: Ohne Vision treiben Menschen ziellos umher und kommen nirgendwo im Leben an – höchstens am falschen Platz. Er schildert, wie er als Schuljunge auf einer Zeitschrift den damaligen Mister Universe sah. Noch heute führt er wort- und detailreich aus, wie er die Zeitschrift immer wieder durchlas und erfuhr, dass dieser Bodybuilder zusätzlich Filmstar wurde. Er entschied: „Das ist meine Vision, das ist der Plan für mein Leben. Ich werde Mister Universe sein. Ich werde danach Filmstar. Genau wie dieser Mann. Ich werde berühmt und reich sein.“ Schwarzenegger schildert, wie ihn seine Vision motivierte, täglich viele Stunden härter zu trainieren als alle anderen und auch anspruchsvollste Herausforderungen und Rückschläge zu überwinden.
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von Diplompsychologe Prof. Dr. Florian Becker
Die Gemeinsamkeiten beider Beispiele für Visionen sind deutlich: Die Vision ist klar. Die Vision ist emotional und bildlich. Die Vision verbindet sich eng mit Werten. Die Vision ist anspruchsvoll. Die Vision ist verknüpft mit einem ambitionierten aber realistischen Konzept, um sie zu erreichen.
Das sind verbreitete, aber falsche Überzeugungen zu Visionen:
- Wer Visionen hat, sollte zum Arzt gehen, ist psychisch labil, ein Träumer.
- Mit Visionen zu führen, das ist nicht mehr zeitgemäß.
- Visionen sind zu emotional, Ziele müssen aber rational und messbar sein.
- Visionen müssen realistisch sein und vollständig erreicht werden.
- Visionen sind nur dazu da, um viele Menschen zu führen. Die sind nichts für einzelne Personen.
- Was wichtig ist im Leben? Das ist doch jedem klar. Wozu brauche ich eine Vision?
Der Beitrag deckt auf, warum das alles Denkfehler sind, die uns begrenzen und unseren Erfolg gefährden.
Sind Visionen tatsächlich so vorteilhaft, wie diese Beispiele nahelegen? Was sagt die Wissenschaft dazu?
Bedeutung von Visionen: Vorteile
Gibt es empirische Daten, die uns die Vorteile und Bedeutung von Visionen „beweisen“? Ja, diese Daten gibt es. Zuhauf. Attraktive Visionen haben nach zahlreichen Studien höchste Bedeutung für den Erfolg von Einzelpersonen, Gruppen und Organisationen. Das sind die konkreten Vorteile von Visionen:
- Optimismus (Peters et al., 2010)
- Gesundheit (King, 2001)
- Wohlbefinden und Zufriedenheit (Lyubomirsky et al., 2011)
- positive Emotionen (Layous, Nelson und Lyubomirsky, 2013)
- Flow-Erleben (Layous, Nelson und Lyubomirsky, 2013)
- individuelle Leistung (Howell und Frost, 1989; Oswald, Mossholder und Harris, 1994)
- Teamleistung (Schaubroeck, Lam und Cha, 2007)
- Erfolg einzelner Unternehmensbereiche mit Visionen (Bass et al., 2003)
- Erfolg von Unternehmen (Baum, Locke und Kirkpatrick, 1998)
- Commitment der Mitarbeiter zur Organisation und ihren Zielen (Barling, Weber und Kelloway, 1996)
- Vertrauen in die Führungskraft (Podsakoff et al., 1990)
- effektives Change-Management (Larwood et al., 1995)
Alles in allem bieten Visionen also deutliche Vorteile auf allen Ebenen – sowohl für einzelne Personen als auch für Teams sowie für ganze Unternehmen und andere Organisationen. Wir fühlen uns besser mit ihnen, sind optimistischer, motivierter und leistungsfähiger.
Eine bewusste, effektiv ausgearbeitete Vision für ihr Leben haben nur wenige Menschen. Doch auf unbewusster Ebene haben wir alle eine Vision. Diese äußert sich in unseren Standards für das Leben. Diese unbewusste Vision ist oft wenig ambitioniert, schadet uns. Davon handelt der Schaukasten.
Was sind Deine Lebens-Standards? Die meisten Menschen denken beim Begriff Lebensstandard an Dinge außerhalb von sich selbst: ein großes Haus in einer bevorzugten Wohnlage, schöne Autos, gutes Essen, Flugreisen und finanziellen Wohlstand. Davon wollen sie möglichst viel haben. Ihr Denken und ihre Träume kreisen um die Frage: Wie kann ich dieses und jenes haben?
Doch der Blick nach außen ist bei unseren Lebens-Standards eine sehr begrenzte Perspektive. Es ist Zeit, den Blick nach innen zu richten: Welche Standards habe ich für mich als Mensch? Welche Art Mensch will ich sein? Wie kann ich dieses und jenes werden?
Für Deinen persönlichen Lebens-Standard ist wichtig, dass Du Dir ganz bewusst immer wieder folgende Fragen stellst:
- Was ist mein Standard für persönliche Kontakte? Mit welcher Art von Menschen möchte ich mich umgeben, gemein sein, mit welcher lieber nicht? Mit wem möchte ich mich zukünftig öfter treffen, mit wem weniger?
- Wo will ich wirklich leben, was ist mein Standard für mein Umfeld?
- Was ist mein Standard im Umgang mit anderen Menschen? Wie möchte ich kommunizieren? Und wie erwarte ich, dass andere mit mir kommunizieren?
- Was ist mein Standard für meine Tätigkeiten? Mit welcher Art von Tätigkeit bin ich glücklich, welche Art von Arbeit mute ich mir nicht zu? Mit wem arbeite ich zusammen, mit wem nicht?
- Was ist mein Standard für Kunden? Mit welchen Kunden arbeite ich zusammen, mit welchen nicht?
- Was ist mein Standard für Bezahlung? Ab wie viel Tagessatz „gehe ich aus dem Haus“?
- Was ist mein Standard für Ernährung? Was und wie viel nehme ich auf in meinen Körper? Was mute ich meinem Körper zu? Welche Art von Restaurants möchte ich überhaupt besuchen, welche sind meiner „würdig“?
- Was ist mein Standard für Bewegung? Wenn ich die Wahl habe zwischen Aufzug und Treppe oder einer Rolltreppe: Was wähle ich?
- Was ist mein Standard für das, was ich in mein Gehirn aufnehme: gute Bücher und Gespräche, Fernsehprogramme, Computerspiele, Videos, Social Media…? Betäube ich mich mit geistigem Fast Food oder konsumiere ich Inhalte, mit denen ich wachse?
- Was ist mein Standard für Hierarchie? Welcher Art von Führungskräften und welcher Art von Politik und Politikern bin ich bereit, mich unterzuordnen? Welche Art von Führung bin ich bereit zu akzeptieren und welcher Art widersetze ich mich?
Ergänze die Liste mit Deinen Standards für Freundschaften, Standards für Liebesbeziehungen, Standards für das Verhalten von Kindern, …
Die meisten Menschen sind mit sehr geringen Standards für sich zufrieden. Sie bleiben in ihrer Komfortzone, schauen täglich viele Stunden fern, sind übergewichtig und lassen sich mit einem Mini-Gehalt abspeisen. Sie haben keine Vision von sich, entwickeln sich nicht und bleiben klein.
Deshalb: Hebe Deine Lebens-Standards an! Damit hebst Du auch Dich an, verwirklichst Dein Potenzial. Indem Du Dich mit Deinen Standards befasst, lernst Du Dich und Deine Werte besser kennen. Und Du entwickelst schrittweise eine Vision Deiner Zukunft: Welche Art von Mensch möchtest Du sein?
Die Vorteile von Visionen sind also bedeutsam. Doch was genau ist eine Vision?
Vision: Definition
Was ist eine Vision? Die Psychologie definiert Visionen aus wissenschaftlicher Sicht. So lautet die konkrete Definition:
Die Bezeichnung „langfristiger Zielzustand“ in der Definition für Vision bezieht sich darauf, dass Visionen keine kurzfristigen oder mittelfristigen Ziele definieren, sondern Idealvorstellungen, die über einen langen Zeitraum Orientierung bieten.
Visionen wirken als Zielzustand wie ein „Magnet“, der Individuen, Gruppen und Organisationen in eine bestimmte Richtung zieht – oft über viele Jahre hinweg. Warum sollten wir uns engagiert bewegen, wenn die Richtung nicht attraktiv ist, ja wir vielleicht nicht einmal die Richtung kennen? Mit einer Vision können wir uns nachhaltig in eine anvisierte Richtung entwickeln und weitaus mehr von unserem Potenzial ausschöpfen.
Dabei kann es sein, dass eine Vision niemals vollständig erreicht wird. Das ist auch nicht ihre wichtigste Aufgabe. Selbst wenn die USA es nicht geschafft hätten, schon 1969 bemannt auf dem Mond zu landen – ihre Vision hätte sie trotzdem viel weiter auf dem Weg der Technologie und Raumfahrt gebracht.
„Es ist nicht so, dass ich nicht wüsste, was ich tun soll. Ich habe ständig etwas zu tun. Arbeit, Kunden, Kollegen, mein Ehemann, das Finanzamt, der Mieter… alle wollen etwas, alle brauchen etwas, der Terminkalender ist voll. Das konsumiert meine ganze Zeit. Mir kommt das alles manchmal so sinnlos vor, ich frage mich dann, wofür ich das alles tun soll. Ich wünsche mir sehr, dass es etwas gibt, wofür ich gerne jeden Tag aufstehe, das einen Unterschied macht. Wozu habe ich gelebt am Ende? Nur um Steuern zu zahlen? Es ist schon einiges von meinem Leben vorbei und ich fühle mich, als hätte ich viel Zeit verschwendet.“
Eine Vision hilft uns dabei, Entscheidungen schnell und sicher zu treffen und lange bei unseren Entscheidungen zu bleiben. Wer keine Vision für sich, sein Team oder seine Organisation hat, der braucht dagegen lange, um Entscheidungen zu treffen – und er kämpft nicht für seine Ziele, verwirft seine Entscheidungen schnell, da er keinen Fixpunkt zur Orientierung besitzt.
Wir können sogar festhalten: Wer keine eigene Vision hat, lebt am Ende für die Vision von anderen. Beispielsweise Führungskräfte setzen daher erfolgreich Visionen ein, um Menschen langfristig und außergewöhnlich stark zu motivieren (Burns, 1978; House, 1977). Stichworte dazu sind charismatische Führung und transformationale Führung. Die Geführten leben dann für die Vision ihrer Führungskraft.
Was sind die Kennzeichen einer besonders wirkungsvollen Vision?
Merkmale einer guten Vision
Gute Visionen haben bestimmte Eigenschaften, die sie wirksam machen (Baum, Locke und Kirkpatrick, 1998). Umfangreiche Studien haben sich damit befasst. Die Abbildung gibt einen Überblick zu den Merkmalen einer guten Vision.
Das sind die entscheidenden Merkmale einer Vision:
- Langfristig. Eine Vision soll uns langfristig motivieren und leiten, gilt meist für viele Jahre. Dafür ist es notwendig, ein übergreifendes Thema, einen Endzustand zu visualisieren. Konkretere Zwischenziele und Meilensteine leiten sich dann leicht und fast automatisch aus der Vision ab.
- Klar und bildlich. Eine Vision sollte kristallklar bildlich sichtbar sein. „Einen Mann mit einer Rakete zum Mond bringen und sicher wieder nach Hause“. Das ist unmissverständlich klar und vor dem inneren Auge sichtbar. Bilder, Modelle, Symbole und Metaphern helfen eine Vision zu verbildlichen (Fairhurst und Sarr, 1996). Je besser unser Kopfkino ist, je klarer wir visualisieren, je öfter wir so an unser Ziel denken, desto motivierter sind wir.
- Emotional und werteorientiert. Visionen sollten uns emotional berühren, mit unseren Werten in Einklang stehen, uns stolz machen. Zum Mond zu fliegen, einfach weil es schwer ist und wir das können, weil wir krass sind… Das resoniert mit Werten wie Mut, Leistung und Freude am Erfolg. Es spricht den Optimismus von Menschen und ihre Selbstwirksamkeitserwartung an (Shamir, House und Arthur, 1993). Es macht Menschen stolz. So wird eine Vision attraktiv und erstrebenswert.
- Anspruchsvoll. Ein Goldfisch wird nur so groß, wie das Glas, in dem er lebt. Ähnlich ist es mit uns Menschen und unseren Zielen: Wir wachsen mit unseren Zielen. Eine gute Vision ist deshalb schwer zu erreichen, anspruchsvoll. Sie fordert uns und verlangt uns alles ab. Deshalb wachsen wir mit ihr. Menschen mit einer Vision entwickeln sich daher viel schneller als Menschen ohne Vision. Anspruchsvolle Leistungserwartungen führen zu besseren Ergebnissen als geringe Erwartungen und unambitionierte Ziele (Eden, 1990). Der Tennisspieler Roger Federer entwickelte beispielsweise schon als Jugendlicher die Vision unter die Top Ten der Weltrangliste zu kommen und dann die Nummer eins zu werden. Eine Vision, mit der er gewachsen ist, die er schließlich erreicht hat. Wäre er auch so weit gekommen, wenn er nur vorgehabt hätte unter die Top Ten der Schweiz zu kommen?
- Wegweisend und handlungsorientiert. Zu den Merkmalen einer guten Vision gehört auch Handlungsorientierung, ein Hinweis auf den einzuschlagenden Weg, ein klar verknüpftes Konzept zur Umsetzung. „Mit einer Rakete zum Mond zu fliegen.“ Damit zeigt Kennedy in seiner Vision klar den Weg. „Wir wollen einen Mann auf dem Mond haben.“ wäre dagegen zu wenig handlungsweisend. Ebenso ist die Vision von Schwarzenegger sehr handlungsorientiert. „Berühmt und reich werden, durch Bodybuilding und anschließender Karriere als Schauspieler.“ Das ist handlungsorientiert. Jemand, der sich einfach nur abstrakt vorstellt, „reich und berühmt“ zu sein, bekommt von seiner Vision dagegen keinen klaren Weg vorgezeichnet, den er motiviert gehen kann.
Handlungsorientierung, die letzte Eigenschaft einer guten Vision in dieser Aufzählung ist die Verbindung der Vision zur Realität, zum Plan, zu den konkreten Schritten und Maßnahmen. Die attraktivste Vision nutzt uns nichts ohne realistisches Konzept. Es geht also immer darum, eine Vision runter zu brechen. Runter zu brechen auf die Frage: Wie sieht meine Woche aus? Was ist heute mein Tagesziel? Auf dieser Ebene geht es dann darum, Ziele messbar zu machen, SMART-Ziele zu entwickeln.
Eines ist nach diesen Ausführungen klar: Alle noch so tollen konkreten Tagesziele und das beste Zeitmanagement führen uns höchstens noch effektiver in die falsche Richtung, wenn wir keine Vision für uns haben. Wie also können wir eine Vision für uns erstellen, für unser Leben?
Erstellen einer Lebens-Vision
Wie komme ich jetzt zu einer wirksamen und motivierenden Vision für mich selbst – so ganz privat, als einzelner Mensch? Was ist meine persönliche „Mondlandung“ in fünf Jahren? Es gibt dafür einen Ansatz aus der Positiven Psychologie: die „best possible selves intervention“, kurz BPS-Intervention (King, 2001). Dabei geht es, wie der Name schon sagt, darum, eine positive Lebens-Vision von sich selbst zu erstellen. Motto: Was wäre das beste mögliche Selbst von mir in fünf Jahren? Der Schaukasten zeigt die dazugehörige Übung.
- Frage Dich: Wie sieht mein Leben in fünf Jahren aus? Was tue ich? Wo bin ich? Wer bin ich? Was habe ich erreicht? Was gibt meinem Leben wirklich Sinn? Was für ein Mensch will ich sein?
- Nutze alle Sinne, stelle es Dir möglichst bildlich vor. Wie sieht das da aus, wie fühlt es sich an, wie hört es sich an? Visualisiere in Deiner Vorstellung: Wer ist mit mir, wie riecht es dort, was schmecke ich?
- Schreibe oder male Deine Vision auf, halte sie fest.
Bei der Erstellung Deiner Vision für Dich können Dir diese großen Lebensthemen eine gute Orientierung geben:
- Gesundheit (mental und körperlich)
- Emotionen (Stimmung, Glück, Zufriedenheit)
- Beziehungen (Familie, Freunde, Netzwerk)
- Freiheit und Unabhängigkeit
- sozialer Status
- Karriere
- Wohlstand (Lebensstandard, Grad finanzieller Freiheit)
- Kompetenzen und Wissen
- Spiritualität
- Impact (Wirkung, etwas hinterlassen, über sich hinaus schaffen)
Wer eine maximal langfristige Perspektive bei einer positiven Vision einnehmen will, kann sich folgende Frage stellen und ausarbeiten (vgl. Covey, 2020).
- Was sollte meine Partnerin / mein Partner sagen?
- Was wünsche ich mir, dass meine Kinder sprechen?
- Was sagt jemand aus meinem Freundeskreis?
- Was würde jemand aus meiner Nachbarschaft / Gemeinde / Religionsgemeinschaft berichten?
- Welche Worte sollte eine ehemalige Führungskraft mitteilen?
- Was wünsche ich mir, von meinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern zu hören?
- Was möchte ich, dass jemand aus meinem Kundenkreis spricht?
- Was sollte jemand stellvertretend für die Gesellschaft oder Menschheit sagen?
- Was würde „die Natur“ zu mir sagen, wenn sie denn könnte?
- …
Visionen sind in der Regel langfristig. Doch sie können für uns auch bei kurzfristigen Zielen sehr nützlich sein (Heimsoeth, 2017). Das greift folgende Übung auf.
- Stelle Dir vor, wie alle sehr interessiert zuhören.
- Visualisiere, wie die Menschen Dich dort anlächeln und Deine Expertise schätzen.
- Male Dir aus, wie die Teilnehmer positiv auf Deine Präsentation reagieren.
- Spiele in Deiner Fantasie ab, wie am Ende alle klatschen und sich freuen.
Die Vorstellung sollte dabei maximal bildlich und mit allen Sinnen erlebbar sein. Dieser Ansatz hilft uns, künftigen Herausforderung mit Vorfreude statt mit Angst zu begegnen. Das funktioniert natürlich nicht nur bei Präsentationen, sondern auch bei anderen wichtigen und herausfordernden Situationen wie Dates, Verhandlungen, Vorstellungsgesprächen oder Verkaufsgesprächen.
Dabei ist zusätzlich hilfreich, wenn Du an vergangene ähnliche Herausforderungen denkst, die Du bereits gut gemeistert hast. Diese „Kraft aus der Vergangenheit“ kannst Du so in zukünftige Herausforderungen mitnehmen.
Auch negative Visionen können uns stark motivieren. Sehr stark sogar. Eine wirksame Leitfrage dazu ist: „Wenn ich so weiter mache wie bisher, wo lande ich dann in fünf Jahren? Wie sind mein Zustand und mein Leben in zehn Jahren?“ Auch hier ist es sinnvoll, sich das Bild möglichst anschaulich und plastisch mit allen Sinnen vorzustellen. Wie bei den positiven Visionen ist Niederschreiben und eine Zeichnung zusätzlich wirksam. Dieses abschreckende Bild einer möglichen Zukunft können wir uns dann regelmäßig ins Gedächtnis rufen und einbrennen, um es zu vermeiden. So erstellte Bill Gates als Microsoft-Chef ein Nightmare-Memo in dem er sehr anschaulich Szenarien schilderte, die das Unternehmen vernichten könnten. Durch die negative Vision angetrieben, unternahmen er und seine Mitarbeiter alles, um diese Schreckens-Szenarien zu verhindern.
- Du willst Dich besser ernähren und abnehmen oder anfangen Sport zu machen: „Wie sehe ich in fünf Jahren aus, wenn ich mich weiter so falsch ernähre?“
- Du willst Veränderung in der Partnerschaft: „Wie sieht mein Leben in ein paar Jahren aus, wenn ich weiter diese negative Dynamik in der Partnerschaft zulasse? Wie geht es den Kindern damit?“
Ein Schüler hat folgende negative Vision genutzt, um sich für ein gutes Abitur zu motivieren: „Ich habe mir die unsympathischste Person in der Klasse ausgesucht und mir vorgestellt, wie sie meine Chefin ist – wenn ihr Abitur besser ist als meines. Das hat mich motiviert.“
Ein Trainer hat seinem Sportteam Bilder der jubelnden gegnerischen Fans und Spieler vorgespielt und gefragt: „Wer soll nächste Woche jubeln?“
Deine negativen Visionen können ruhig etwas übertrieben und erschreckend sein, um gut zu motivieren. Was Du Dir vorstellst und was bei Dir funktioniert, das ist sehr individuell. Welche negativen Visionen Dich besonders motivieren? Wahrscheinlich weißt Du es bereits.
Eine gute Vision ist das Eine. Die Voraussetzungen für ihre Wirksamkeit zu schaffen, das ist das Andere.
Erfolgskontext: das lässt Visionen wirken
Die meisten Menschen aber auch ganze Teams, Unternehmen, ja selbst Regierungen haben keine Vision. Zumindest keine, die den genannten Erfolgskriterien entspricht. Doch selbst, wenn eine brauchbare Vision da ist, benötigt sie einen Kontext, um ihre volle Wirkung zu entfalten. Wie sieht dieser Kontext aus? Das sind wichtige Voraussetzungen für eine erfolgreiche Lebens-Vision:
1. Selbstwirksamkeit
Menschen streben nur etwas an, wenn sie es für erreichbar und realistisch halten. Das Problem: Die meisten Menschen unterschätzen total, was sie in ein paar Jahren erreichen können, wie effektiv sie sein können. Jetzt wäre schade, den Anspruch einer Vision zu senken, nur damit diese erreichbar scheint. Besser ist es unsere Überzeugung zu steigern, dass die Ziele erreichbar sind: Das tun wir mit Selbstwirksamkeit. Sie ist der Gegenpol von Hilflosigkeit, sie ist die Überzeugung, einer Herausforderung gewachsen zu sein. Eine hohe Selbstwirksamkeitserwartung können sowohl einzelne Personen als auch ganze Gruppen haben. Man spricht bei Gruppen von kollektiver Selbstwirksamkeit.
Auch besonders wirkungsvolle Führungskräfte setzen darauf, wenden charismatische Führung an. Sie vermitteln ihren Anhängern, dass sie eine besondere Gruppe sind, die alles erreichen kann (Shamir, House und Arthur, 1993).
2. Soziale Akzeptanz
Wenn unsere Vorstellungen über die Zukunft mit den Zielen der Menschen in unserem sozialen Umfeld übereinstimmen, ist der Erfolg höher (Crown und Rosse, 1995). Ein Umfeld aus Menschen, die unsere Ziele und Träume ablehnen, ist dagegen hinderlich. Wie sollen wir unsere Vision leben, wenn die Ehefrau, der Ehemann, die Kinder oder andere sich dagegen stemmen? Besonders ungünstig sind Menschen, die uns permanent mit dringenden eigenen Anliegen überfluten. Diese „dringenden“ Anliegen führen dazu, dass wir keine Zeit mehr für die uns selbst wichtigen Ziele haben. Das bedeutet für uns: „Achte darauf, dass Du die richtigen Menschen in Deinem Umfeld hast. Das gibt Deiner Vision den nötigen Rückenwind. Lehnen Deine nächsten Personen Deine Vision jedoch ab, dann hast Du permanent Gegenwind durch die Gruppendynamik.“
Als Führungskraft bedeutet das zusätzlich: „Achte darauf, dass die Menschen in Deinem Team ähnliche Werte und Vorstellungen haben. Bringe die Vision in Einklang mit ihren Werten. Nur so kann eine Vision ihr Feuer entfachen.“
3. Kompatibilität mit der Kultur
Tatsächlich gibt es Kulturen, die Visionen grundsätzlich eher ablehnend gegenüber stehen – etwa weil sie schlechte Erfahrungen mit hoch manipulativen politischen „Führern“ gemacht haben (Javidan et al., 2006). Ein Beispiel dafür ist Deutschland mit den Ereignissen rund um das Dritte Reich. Diese Haltung gipfelt im, dem ehemaligen Bundeskanzler Helmut Schmidt zugeordneten Zitat: „Wer Visionen hat, sollte zum Arzt gehen!“ Oberflächlich betrachtet ist diese Haltung nachvollziehbar. Bei tieferer Betrachtung ist sie ein schädlicher Glaubenssatz, der unsere Handlungsfähigkeit sehr limitiert.
Eine Vision ist erst einmal ein mächtiges Instrument zur Motivation und als solches neutral. Sie ist per se weder schlecht noch gut. Entscheidend ist, welche Vision man wie verfolgt. Es ist hilfreich, sich das bewusst zu machen und nicht einfach aus emotionalen Gründen auf dieses mächtige Motivations-Instrument zu verzichten.
Visionen sollten zudem die Kultur berücksichtigen, um wirksam zu sein. Es gibt beispielsweise Kulturen, die leistungsorientierte Werte teilen und begrüßen. Und es gibt Kulturen, die Leistungsdenken und Wettbewerb eher ablehnen (House et al., 1999). Wer bestimmte Werte ablehnt, möchte sie auch nicht in einer Vision vorgesetzt bekommen. Die Vision muss, um zu funktionieren, zu den vorhandenen Werten der Menschen passen. Das bedeutet: „Achte darauf, dass Deine Vision eng mit den Werten verknüpft ist, nach denen Du und Dein Umfeld leben.“
Auch Tiere verfolgen Ziele. Wölfe und Löwen jagen Beute, Bienen sammeln Nektar – und sie kommunizieren untereinander, wo er zu finden ist. Was also ist das typisch Menschliche? Die wirklich langfristigen Ziele. Das Setzen von Visionen. Ziele, die wir in zehn Jahren erreichen wollen, unsere Lebensziele, die wir am Tag unserer Beerdigung gelebt und hinterlassen haben wollen. Der Grundschüler, der sich in der dritten Klasse in Mathematik anstrengt, weil er als Erwachsener Ingenieur sein will. Das können nur Menschen. Kein Tier kann so gut träumen wie der Mensch!
Mit einer klaren Vision nutzen einige Menschen ihr spezifisches menschliches Potenzial und führen ein erfolgreiches Leben.
Doch es ist noch mehr „Tier“ in uns, als den meisten Menschen lieb ist. Vielen fällt das Setzen von langfristigen, wichtigen persönlichen Zielen sehr schwer. Sie entscheiden sich für den leichten Weg. Sie entscheiden sich dafür, auf dem Funktionsniveau eines Tieres zu bleiben. Sie bleiben abgelenkt vom Leben vor ihrem Fernseher und arbeiten ansonsten für die „dringenden“ Ziele anderer. Erst wenn ein Bedürfnis tatsächlich sehr stark wird, das Konto oder der Kühlschrank leer, eine Krankheit eingetreten, dann werden sie aktiv. Wer so nur in den Tag hinein lebt oder rein reaktiv laute und dringende Ziele von anderen Menschen abarbeitet, der verzichtet auf seine Zukunft. Er hält sein Potenzial zurück, lässt seine menschliche Gabe ungenutzt verkommen.
Fazit: Visionen verändern die Welt. Und sie verändern Menschen. Sie können unser Potenzial zur vollen Blüte entfalten, sind eines der mächtigsten Instrumente der Motivation, das wir als Menschen haben. Und es ist auch klar, warum viele Menschen nicht mögen, wenn wir eine Vision haben, uns am liebsten zum „Arzt“ schicken wollen: Wir leben dann nicht mehr dafür, was sie von uns wollen, sondern dafür, was wir selbst wollen. Und wir machen ihnen vor, was sie auch erreichen könnten – aber nicht schaffen. Das stört ihr Ego. Anstatt Visionen mit Misstrauen zu begegnen, sollten wir uns dafür öffnen, sie verstehen und für uns selbst und für andere wirksam einsetzen. So können wir Außergewöhnliches erreichen – als einzelner Mensch, als Gruppe, als Organisation und als ganze Gesellschaft.
Wie aber funktionieren Visionen, was ist ihr genauer Wirkmechanismus?
Wirkung von Visionen
Wie genau wirken Visionen? Warum machen sie einen Unterschied? Eine Vision lenkt unsere gesamte Aufmerksamkeit, unser Denken, Entscheiden und Handeln. Sie ist eine Quelle für nachhaltige Energie und Motivation. Sie bietet spontan Orientierung, wenn eine neue Situation eintritt. Das zu zeigen, hilft uns ein weiterer US-Präsident. Ein guter Zugang zum noch tieferen Verständnis der Wirkung von Visionen ist die so genannte Eisenhower-Matrix. Eisenhower zitierte während einer Rede: „Ich habe zwei Arten von Problemen: die dringenden und die wichtigen. Die dringenden sind nicht wichtig. Und die wichtigen sind niemals dringend.“ Er unterscheidet also zwei Dimensionen bei Problemen: Dringlichkeit und Wichtigkeit.
Diese Dimensionen kann man auf Ziele übertragen. Nach dem Eisenhower-Prinzip gibt es letztlich vier Arten von Zielen:
- wichtig und dringend
Wir sollten uns sofort darum kümmern.
Diese Ziele bringen uns in ein Krisen-Management. Sie sind wichtig und dringend – etwa, weil wir schwer erkrankt sind. Oft ist der Grund, dass diese Ziele auftreten, dass wir uns nicht um die Themen gekümmert haben, solange sie zwar wichtig, aber noch nicht dringend waren. Im Beispiel mit der Erkrankung haben wir uns vielleicht nicht wirklich um unsere Gesundheit gekümmert. - wichtig und nicht dringend
Wir sollten zeitnah planen, wann und wie wir das Ziel rechtzeitig erreichen.
Unsere Gesundheit ist beispielsweise wichtig – aber nicht dringend, solange wir gesund sind. Solche zentralen Ziele für den langfristigen Erfolg im Leben bleiben oft auf der Strecke, werden von den anderen Zielen verdrängt. Oft kommen diese Themen dann irgendwann auf uns zu, mit einem hässlicheren Gesicht, sind auf einmal wichtig und dringend: Unsere Ehe, die wir nicht gepflegt haben, kommt dann als Brief von einem Scheidungsanwalt. - unwichtig und dringend
Es empfiehlt sich öfter und sozialverträglich „nein“ zu sagen, Grenzen zu setzen – oder das Thema in gute Hände zu delegieren.
Diese Art von Zielen kommen oft von außen, andere Menschen tragen sie an uns heran, wollen uns dafür einspannen. Diese Ziele sind „laut“, erwecken den Anschein wichtig zu sein. Doch sie sind nur dringend: Der Kollege braucht wieder jemanden, der ihn vertritt, das E-Mail-Postfach ist voll, das Telefon klingelt, die Schule braucht jemanden zum Plätzchen-Verkauf, beim Mieter geht die Klospülung nicht, das Finanzamt schreibt… - unwichtig und nicht dringend
Hier ist sinnvoll, die Ziele kurz zu prüfen und idealerweise zu streichen. Wir können das Thema liegen lassen, bis es ggf. dringend wird oder sich erübrigt. Vieles löst sich von allein.
Diese Ziele sind oft Flucht-Ziele, die uns ablenken von wichtigen Themen, mit denen wir prokrastinieren. Wir bleiben dann angenehm in der Komfortzone, schauen Serien, spielen Computer, treffen uns mit den falschen Menschen zur Zerstreuung und Betäubung. Insofern geht es hier vor allem um eines: Selbstdisziplin, uns selbst Grenzen setzen.
Diese Aufstellung macht klar, dass unser Erfolg im Leben daran hängt, möglichst viel Zeit in Kategorie zwei zu investieren – wichtig und nicht dringend.
Damit haben viele Menschen große Herausforderungen. Sie verbringen viel Zeit mit Kategorie drei, den „dringenden“ aber unwichtigen Zielen, die von außen kommen. Sie reagieren permanent auf die Anforderungen anderer. Zahllose Menschen tun sich sehr schwer, fremde Ziele als solche zu erkennen, wirksam Grenzen zu ziehen, zu delegieren und nein zu sagen. Von ihrem fremdbestimmten Hamsterrad betäuben sie sich dann mit Aktivitäten in Kategorie vier: Der durchschnittliche Deutsche verbringt so schließlich über fünf Stunden täglich mit Videos, Fernsehen und Computerspielen (Vaunet, 2023). In dieser Kategorie verbringen die meisten Menschen den größten Teil ihres Lebens. Sie befassen sich damit, wer Deutschlands nächster Superstar wird – anstatt an sich selbst zu arbeiten.
Das Einzige, was diese Menschen aus ihrer Lethargie herausreißt, und manchmal auch langfristig erweckt, ist, wenn sich die vernachlässigten Ziele der Kategorie zwei dann in neuem hässlichem Gewand als Ziele der Kategorie eins vorstellen: Die Beziehung, die man nicht gepflegt hat, ist am Ende, eine Trennung zu überstehen. Die Gesundheit, um die man sich nie gekümmert hat, tritt jetzt als Krankheit auf. Vermögen, das man nie aufgebaut hat, stellt sich als Abhängigkeit von anderen, Armut und Not vor.
Mit folgender Übung setzen wir unsere Lebenszeit besser ein.
Womit verbringst Du Deine Lebenszeit?
- Beobachte Dich einen Tag lang und notiere Deine Aktivitäten.
- Ordne vor dem Schlafen-Gehen Deine Aktivitäten den vier Kategorien aus der Eisenhower-Matrix zu.
- Schätze grob, wie viel Prozent Deiner wachen Zeit Du in den einzelnen Kategorien verbringst.
Viele Menschen stellen fest, dass sie unglaublich viel Zeit in der Kategorie „unwichtig und nicht dringend“ verbringen – zum Beispiel auf Social Media und beim Fernsehen. Oft sind das über 40 Prozent der wachen Lebenszeit. Sie merken, dass sie zudem viel Zeit die dringenden doch für sie selbst wenig wichtigen Anliegen anderer Menschen abarbeiten. Auch das sind oft über 40 Prozent der wachen Lebenszeit. Für das Wichtigste, die nicht dringenden aber wichtigen Ziele, für ihre Träume, bleibt sehr vielen Menschen kaum Zeit. Manche haben nicht einmal mehr Träume. Sie haben das Träumen verlernt, vergessen wie es war, als Kind Träume zu haben.
Wie sieht es aus bei Dir und Deiner Lebenszeit? Nimmst Du Dir wirklich Zeit für die Dinge, die wichtig sind? Fällt Dir ein Missverhältnis auf? Möchtest Du etwas ändern?
Beobachte Dich noch ein paar weitere Tage. Oft stößt allein diese Bewusstheit für Lebenszeit schon eine Veränderung an. Ansonsten kannst Du auch gezielt fragen: Was nimmt Dir am meisten Zeit in Kategorie „unwichtig und nicht dringend“? Reduziere es stark oder schalte es ganz ab. Was nimmt Dir am meisten Zeit in Kategorie „unwichtig und dringend“? Übe „nein“ zu sagen, anderen Grenzen zu setzen und reduziere auch in dieser Kategorie. So gewinnst Du Zeit für die wichtigen Dinge in Deinem Leben.
Was leistet eine Vision? Dringende Ziele machen uns reaktiv. Eine Vision macht uns proaktiv. Eine Vision setzt uns Ziele in den Zielbereich „wichtig und nicht dringend“. Sie erinnert uns immer wieder an die wichtigsten Ziele für unsere Entwicklung. Sie beantwortet die Frage nach dem Sinn für uns: Was ist wirklich wichtig? Woher weiß ich, welche Probleme, Aufgaben und Ziele zentral sind und welche nur dringend und „laut“ sind?
Eine Vision sortiert für uns automatisch alle Ziele, Aufgaben und Probleme nach Wichtigkeit. Sie wirkt wie ein Filter für alles, was das Leben an uns heranträgt. Sie sortiert das Unwichtige aus. Sie befreit uns davon, ein reiner Spielball äußerer Einflüsse zu sein. Sie hilft uns, gesunde Grenzen zu setzen, auf uns selbst zu achten. Sie schützt uns davor, dass fremde Ziele unser Leben aufzehren. Sie sorgt dafür, dass wir das Heft des Handelns in die Hand nehmen und aktiv unsere Lebensziele verfolgen, statt permanent nur die „dringenden“ Ziele von anderen abarbeiten.
Fazit: Wer keine Vision hat, lebt reaktiv. Diese Menschen und Organisationen arbeiten Aufgaben ab, die scheinbar dringend sind – aber ausschließlich „laut“ sind und von außen kommen. Sobald eine klare eigene Lebens-Vision da ist, haben wir eine eigene Orientierung, einen Maßstab. Unsere Vision gibt unseren Zielen einen Wert und damit eine klare Struktur. Wir erkennen, welche Aufgaben vielleicht gar nicht wichtig sind, und setzen uns aktiv neue Ziele, die sonst gar nicht vorhanden wären. Eine Vision füllt vor allem die wichtigste Kategorie an Zielen für unsere Entwicklung auf, die wir sonst leicht vergessen: wichtig aber nicht dringend.
Unsere Lebens-Vision ist wichtig. Wir sind gefordert sie zu schützen – wie etwas Heiliges. Das tun wir, indem wir unsere Grenzen schützen und lernen, souverän nein zu sagen. Wie das geht, zeigt das nächste Kapitel.