„Endlich glücklich sein!“ Das wünschen sich viele. Doch liegt unser Glück tatsächlich in unserer Hand? Jeder Mensch fragt sich irgendwann: „Was ist Glück? Was macht glücklich?“ „Das ist alles eine Frage der Lebensbedingungen. Wir müssen Vermögen umverteilen!“ rufen die einen. „Glück ist angeboren. Manche Menschen sind einfach unglücklich, ziemlich egal was ist.“ behaupten die anderen. Mittlerweile ist das Thema gut erforscht – mit überraschenden Ergebnissen. Dieser Beitrag beschreibt die Psychologie dahinter und zeigt anhand von Forschungsergebnissen und Beispielen, wie wir glücklicher werden können.
Autor: Diplompsychologe Professor Dr. Florian Becker
Ohne Glück ist unser Leben grau und leer, Spaß und Freude gehen verloren. Doch es kostet uns noch viel mehr: Wir sind unbeliebt, es droht Einsamkeit, da Menschen unglückliche Personen eher ablehnen. Unsere negativen Emotionen sorgen zudem für einen Tunnelblick, eine Schutzhaltung. Anstatt kreativ Chancen und Möglichkeiten zu sehen, zu nutzen und damit zu wachsen, konzentrieren wir uns auf Bedrohliches. Unglücklichsein gefährdet unsere Gesundheit, unseren Berufserfolg und unsere Partnerschaft und Ehe. Ein Teufelskreis aus Unglück und Misserfolg zieht uns in den Abgrund. Und wir strahlen unser Unglücklichsein auf die nächsten Menschen in unserer Umgebung aus, infizieren sie damit. Wir ziehen sie mit in den Abgrund.
In diesem Beitrag:
Glück: Definition und Modell
Was ist Glück? Um zu wissen, was Glück ist, sind wissenschaftliche Modelle und Definitionsansätze hilfreich (Seligman, 2002). Hier eine wissenschaftliche Glücks-Definition:
Aus dieser Definition von Glück lassen sich drei Komponenten abgrenzen:
- Affektive Komponente – Fühlen. Hier bedeutet Glück Gefühle im positiven Emotionsbereich, wie Vergnügen, Freude, Spaß, Begeisterung oder Entspannung. Gleichzeitig sollten negativ getönte Emotionen wie Depression, Angst oder Wut fehlen.
- Kognitive Komponente – Denken. Auf dieser Ebene bedeutet Glück die Bewertung des eigenen Lebens, die Lebenszufriedenheit. Dabei ist zu denken an Fragen wie: Macht mein Leben für mich Sinn? Habe ich ein gutes Leben? Wie zufrieden bin ich mit meinem Leben? Im Bereich Denken finden sich auch Ansatzpunkte wie Dankbarkeit, Optimismus oder Selbstvertrauen.
- Motivationale Komponente – Tun. Dieser Bereich betrifft unsere Ziele und Tätigkeiten im Leben. Verfolge ich Tätigkeiten, die mich erfüllen, Freude bereiten und meinem Leben Sinn geben? Gestalte ich mein Leben proaktiv und selbstbestimmt – oder bin ich der passive Spielball und Erfüllungsgehilfe fremder Interessen? Typische Aspekte aus dieser Komponente von Glück sind gute Gewohnheiten, das Verlassen der Komfortzone und Flow-Erleben.
Die Abbildung zeigt Glück als Modell.
Das Drei-Komponenten-Modell weist auf Wege zum Glück hin.
Glücklich sein: Wege zum Glück
Wie können wir glücklicher werden? Was lässt uns glücklich sein? Drei zentrale Komponenten definieren und weisen uns Wege zum Glück (Seligman, 2002), mit denen wir glücklicher werden: Wie fühle ich mich in meinem Leben (das angenehme Leben)? Wie denke ich über mein Leben (das sinnerfüllte Leben)? Wie lebe ich mein Leben (das aktive Leben)?
- Das angenehme Leben. Manche Menschen setzen direkt an ihrem Fühlen an, versuchen sich unmittelbar Glück zu holen. Oft äußert sich das in einem hedonistischen von Konsum gekennzeichneten Lebensstil mit Fokus auf die „drei F“ (Fressen, Fernsehen, F…) und einer Betäubung negativer Emotionen durch digitale Medien (Spiele, Social Media…) sowie Rauschmittel wie Alkohol. Sie bleiben bequem, suchen das Glück in einer möglichst angenehmen Gegenwart in der Komfortzone.
Ein nachhaltigerer Ansatz, der auch zu diesem Weg gehört, ist die Interaktion mit anderen Menschen, die uns gut tun, der Genuss von guten sozialen Beziehungen. - Das sinnerfüllte Leben. Andere Menschen fokussieren auf ihr Denken, um glücklich zu sein. Sie praktizieren Meditation, Dankbarkeitsübungen, geben sich Sinn mit einer konkreten Vision für die sie leben und arbeiten an ihrer inneren Haltung hin zu positivem Denken.
- Das aktive Leben. Und schließlich gibt es Menschen, die vor allem den dritten Pfad zum glücklich Sein betonen, das Tun. Sie überwinden sich selbst, gehen aus ihrer Komfortzone, gehen sinnvollen Aufgaben nach, in denen sie in einem Flow-Erleben aufgehen, setzen auf gute Gewohnheiten bei Sport, Ernährung, Regeneration und Schlafverhalten. Und sie nutzen körperbetonte Übungen, um glücklicher zu werden und positive Gefühle herzustellen.
Die drei Wege zum glücklich sein stehen in enger Wechselwirkung, so dass am glücklichsten Personen sind, die auf nachhaltige Weise alle drei Wege gehen (Peterson, Park und Seligman, 2005). Diese Menschen haben ein erfülltes, ein volles Leben – während das Leben anderer Menschen leer bleibt.
Die drei Wege zum Glück spiegeln sich auch in zahlreichen religiösen Lehren wider. Sowohl der Buddhismus als auch das Christentum und der Islam legen einen Fokus auf Sinnerfüllung und aktive Aspekte im Leben. Das spiegelt sich im zweiten und dritten Weg zum Glück wider. Den kurzfristig „bequemen“ Weg, Glück durch unmittelbaren Genuss herzustellen, lehnen sie tendenziell ab. Ähnliches Denken findet sich im Hinduismus. Während einige Religionen vereinfacht gesagt betonen, dass man beispielsweise als Schwein wiedergeboren wird, wenn man maßlos isst, skizzieren andere ein Paradies oder eine Hölle. Der Weg in die Hölle ist in der Regel der bequeme, einfache Weg des kurzfristigen Genusses. In den Himmel führt der härtere, beschwerliche Weg, ein sinnerfülltes, ein aktives, ein forderndes Leben innerer Reife und Wandlung und äußerer Disziplin. Dabei geht es oft gerade darum, augenblicklichen Genuss, augenblickliche Bedürfnisse und Impulse zu opfern, um einem höheren Sinn zu dienen. Das Opfer hat in vielen Religionen eine zentrale symbolische Bedeutung. Gemeinsam ist auch der Gedanke, dass unser augenblickliches Tun, unsere Entscheidungen zukünftige Konsequenzen haben – Belohnung oder Bestrafung.
Wenn wir die Metaphysik verlassen, dann können wir uns die Hölle und das Paradies auch ganz weltlich vorstellen. Der erste, einfache Weg zum Glück mit Völlerei, Pornografie, Fernsehen und Alkohol führt noch zu Lebzeiten in eine Hölle aus Übergewicht, Typ-2-Diabetes, Leberproblemen, Krebs, Einsamkeit und Unglück. Mittlerweile sind mehr als die Hälfte der Erwachsenen in Deutschland übergewichtig (Statistisches Bundesamt, 2022). Zudem verbringt der durchschnittliche Deutsche über fünf Stunden täglich mit Videos, Fernsehen und Computerspielen (Vaunet, 2023).
Wir tauschen damit jedes Mal unsere Zukunft ein gegen den unmittelbaren Genuss. Wir betäuben negative Emotionen, anstatt etwas gegen die Ursachen zu tun. Dagegen führen die anspruchsvollen Wege des sinnerfüllten Lebens und der aktiven Lebensgestaltung zu langfristiger Gesundheit, Erfolg und Glück.
Zu jedem dieser drei Wege gibt es eine Vielzahl von Ansatzpunkten, um glücklicher zu sein. Dazu später mehr. Zunächst ein Fallbeispiel für persönliches Glück.
Glücklich werden: Beispiel
Wie sollte denn jemand glücklich sein, wenn sein Leben von schrecklichen Umständen geplagt ist? So denken viele. Doch gerade diejenigen Menschen können uns inspirieren, die trotz tragischer Erfahrungen sich nicht der Verbitterung und dem Hass oder der Resignation öffnen. Es gibt Menschen, die trotz allem Unglück in ihrem Leben glücklich sind. Ein Beispiel für viele ist Eddie Jaku.
Eddie Jaku wurde in Leipzig geboren und war stolz in Deutschland aufzuwachsen. Er betrachtete Deutschland als Heimat seiner Vorfahren, als kultivierteste und gebildetste Gesellschaft der Welt. Doch damit sah er sich nach der Machtergreifung der Nazis getäuscht, denn er war Jude. Er lebte fünf Jahre unter falscher Identität, besuchte eine Schule, getrennt von seiner Familie. Noch als Kind wurde er enttarnt. Dazu sagte er später: „Ich verlor meine Würde, meine Freiheit und meinen Glauben an die Menschheit.“ Er erlebte erst das Konzentrationslager Buchenwald sowie eine Odyssee durch verschiedenste Lager und Länder. Schließlich das Vernichtungslager Auschwitz, wo seine Eltern unmittelbar ermordet wurden. Seine Kenntnisse im Ingenieursbereich machten ihn offenbar „wertvoll“ für das Regime, er sollte arbeiten. Nach langer Zeit konnte er fliehen, sich monatelang im Wald verbergen, überlebte.
Was hat diese erschütternde Geschichte mit Glück zu tun? Hätte Eddie Jaku nicht eher allen Grund dazu gehabt, unglücklich zu sein, für den Rest seines Lebens sich Trauer, Hass und dem Wunsch nach Vergeltung hinzugeben?
Gerade das macht Eddie Jaku besonders. Er hat sich nach seiner Befreiung aus Auschwitz gerade wegen seiner Erlebnisse geschworen, jeden Tag glücklich, hilfsbereit und freundlich zu sein, zu lächeln. Er wollte für jeden Tag dankbar und glücklich sein, ihn auskosten und genießen, die schönen Momente bewusst wahrnehmen. Und er gab sich selbst eine Mission, einen Sinn im Leben: Glücklichsein zu lehren und zu verbreiten. So wurde er als „The Happiest Man On Earth“ bekannt, dem Titel seines Buches. Bei öffentlichen Auftritten strahlte er stets Freude und Glücklichkeit aus und erfreute sich großer Beliebtheit. Er sagte Dinge wie: „Doch ich stehe heute hier als glücklicher Mann, der das Leben genießt mit einer wundervollen Frau und einer wunderschönen Familie.“ Dazu führte Eddie Jaku sinngemäß aus: „Ich hasse niemanden. Hass ist eine schreckliche Krankheit. Sie wird möglicherweise deinen Feind vernichten – aber sie wird dich ebenfalls vernichten auf diesem Weg.“ Es gelang ihm trotz aller schrecklichen Erfahrungen in seinem Leben glücklich zu sein und die Früchte dieses Glücks zu ernten – erfüllte soziale Beziehungen und ein langes Leben. Er starb 2021 im Alter von 101 Jahren – er starb als glücklicher Mann.
Was ist Eddie Jakus Botschaft an uns alle? Für ihn war Glück eine Entscheidung. Eine Entscheidung, die jeder Mensch persönlich für sich treffen kann. Die Essenz seiner Nachricht an uns ist: „Glück fällt nicht vom Himmel. Es liegt in deiner Hand.“ Er selbst hat diese Botschaft gelebt und bewiesen. Das ist sein Vermächtnis.
Es folgt Forschung der Psychologie zur Bedeutung von Glück.
Zur Bedeutung von Glück: Nur ein Abfallprodukt?
Was ist die Bedeutung von Glück für unser Leben? Ist es wirklich so bedeutsam, Glück anzustreben? Viele sehen die Bedeutung von Glück eher in einem Nebeneffekt positiver und gesellschaftlich begehrter Dinge. Sie sagen: „Wer reich, erfolgreich und gesund ist, der ist auch glücklich. Ist doch klar!“ Böse formuliert ist für viele Menschen damit Glück nur bedeutend als ein Abfallprodukt. Ein Abfallprodukt positiver Umstände. Nicht zuletzt ist dieses Narrativ zur Bedeutung von Glück so mächtig, weil Werbung und Politik es permanent suggerieren: „Kauf dich glücklich!“ sagen die einen „Wähle dich glücklich! Wir verteilen für dich Wohlstand um!“ versprechen die anderen. Viele Menschen denken sich daher: „Wenn ich mir dies oder das hole, wenn ich jenes bekommen kann, dann werde ich glücklich sein!“
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von Diplompsychologe Prof. Dr. Florian Becker
Tatsächlich erweist sich das langfristige Glücksniveau allerdings als überraschend robust für viele Umstände – Wohlstand (sozioökonomischer Status), Bildung oder Familienstand (Heirat) beeinflussen unser Glück nur marginal, zeigen Studien. Keiner der Zusammenhänge kommt über drei Prozent (Lykken und Tellegen, 1996). Glück als Abfallprodukt guter Umstände, von Erfolg zu sehen… Das ist offenbar ein Denkfehler. Albert Einstein meinte dazu: „Ein Leben, das vor allem auf die Erfüllung persönlicher Bedürfnisse ausgerichtet ist, führt früher oder später zu bitterer Enttäuschung.“
Was also, wenn wir die Denkrichtung umdrehen? Was, wenn man Glück nicht mehr nur als Konsequenz, sondern auch als Ursache und Quelle für Erfolg, Gesundheit, Wohlstand betrachtet? „Wer unglücklich ist, der wird auch eher krank. Wer glücklich ist, der zieht Erfolg im Beruf an. Wer glücklich ist, der ist beliebter als Partner und bei der Familiengründung.“ Für viele Menschen sind solche Gedanken erstmal fremd, gegen ihre Intuition und stellen das fest eingeschliffene Weltbild in Frage.
Glück und Erfolg: Vorteile durch Glücklichsein
Sie hängen anders miteinander zusammen als viele Menschen denken: Glück und Erfolg. Es gibt immer mehr Hinweise, dass Glück nicht nur das Resultat guter Umstände ist, sondern sogar stärker deren Ursache – eine Wechselwirkung (Lyubomirsky, King und Diener, 2005). Nach Auswertung zahlreicher Forschungsberichte liefert uns Glück Vorteile:
- körperliche Gesundheit (Koivumaa-Honkanen et al., 2004a)
- geistige Gesundheit (Koivumaa-Honkanen et al., 2004b)
- Lebenserwartung (Danner, Snowdon und Friesen, 2001)
- Berufserfolg (Burger und Caldwell, 2000; Roberts, Caspi und Moffitt, 2003)
- Einkommen und Wohlstand (Diener und Biswas-Diener, 2002; Marks und Fleming, 1999)
- Heirat und Familiengründung (Marks und Fleming, 1999)
Es handelt sich hier wohlgemerkt um Längsschnittstudien, in denen Glück als Prädiktor die positiven Ergebnisse im Leben vorhersagt. Glück geht glücklichen Umständen wie Gesundheit und Wohlstand voraus. Was sich für viele erst einmal verrückt anhört, das ist bei näherer Betrachtung durchaus logisch – und immer mehr Forschungsergebnisse erhärten diesen Zusammenhang.
- Warum sollte ein Arbeitgeber auch nicht eine glückliche Person einer unglücklichen bei der Einstellung vorziehen (Burger und Caldwell, 2000), besser bewerten (Cropanzano und Wright, 1999), bei der Besetzung einer Führungsposition die positive Ausstrahlung auf die Mitarbeiter bevorzugen (Roberts, Caspi und Moffitt, 2003), emotional negative Mitarbeiter eher entlassen (Verkley und Stolk, 1989) und jemanden mit positiver Stimmung lieber zum Kunden schicken als eine unglückliche Person?
- Und wer möchte lieber mit jemandem unglücklichen als mit jemandem glücklichen befreundet sein (Salovey et al., 2000)? Ja, warum sollten wir lieber eine unglückliche als eine glückliche Person daten und schließlich heiraten (Marks und Fleming, 1999)? Weshalb sollte jemand mit einer unglücklichen Person mit negativer emotionaler Ausstrahlung bleiben und eine Familie gründen wollen? Tatsächlich „machen“ glückliche Menschen offenbar auch ihre Ehepartner glücklicher (Ruvolo, 1998).
Doch Glück ist nicht nur allein deshalb eine Ursache von Erfolg, weil es die Reaktionen anderer Menschen beeinflusst. Mit Glücklichsein verändern wir zusätzlich auch tiefgreifend unser eigenes Denken und Handeln – und zwar zu unserem Vorteil. Das zeigt der Schaukasten.
- breiter Aufmerksamkeitsfokus
- kreativeres Denken
- Unempfindlichkeit gegen Stress
- höhere Selbstwirksamkeit, mehr Selbstbewusstsein
- Aufbau von sozialen Ressourcen (positive Beziehung zu anderen Menschen und soziale Unterstützung)
Mit Glücklichsein und positiven Emotionen schalten wir also mental in einen Wachstumsmodus, sind offen, kontaktfreudig und lernbereit. Umgekehrt schalten wir bei negativen Emotionen in einen Schutzmodus, bekommen einen Tunnelblick, verschließen uns, ziehen uns zurück. Wir sind dann im Kampf-oder-Flucht-Modus.
Positive Emotionen gehen zudem einher mit hoher Motivation und Leistung bei der Arbeit (z.B. Balducci, Fraccaroli und Schaufeli, 2010; Sonnentag et al., 2008). Und auch im Bereich Gesundheit sind positive Wirkungen von psychologischen Aspekten wie Optimismus belegt (Rasmussen, Scheier und Greenhouse, 2009).
Glück und Erfolg hängen also auf einer tieferen Ebene zusammen. Sie bilden ein System, einen selbstverstärkenden Kreislauf, eine Spirale. Die Abbildung beschreibt die Aufwärtsspirale von Glück und Erfolg: Glücksgefühle machen erfolgreich – und Erfolg macht dann wieder etwas glücklicher. Das aus dem Glücksspiel bekannte Wort „Glücksspirale“ bekommt so eine ganz neue, eine viel tiefere Bedeutung. Je mehr Glücksgefühle und positiven Emotionen wir haben und ausstrahlen, desto erfolgreicher sind wir im Leben in unserer modernen Gesellschaft. Und der entscheidende Ansatzpunkt in diesem System scheint das Glücksgefühl zu sein. Anstatt Erfolg auf Biegen und Brechen zu erzwingen, um endlich glücklicher zu sein, ist es offenbar wesentlich vielversprechender und einfacher, unser Glücksgefühl zu steigern und damit den Erfolg zu uns zu holen. Es funktioniert genau umgekehrt zu dem, was die meisten Menschen glauben: Erfolg ist zu guten Teilen ein „Abfallprodukt“ von Glücklichsein.
Ebenso wie eine Aufwärts-Spirale des Glücks kann es natürlich eine „Unglücksspirale“ geben. Hier sind Menschen in einem sich selbst verstärkenden negativem Strudel gefangen. Sie sind unglücklich, werden dadurch weniger erfolgreich und scheitern, das macht sie noch unglücklicher, wodurch sie noch mehr Misserfolg haben. Und auch diese Spirale dreht sich weiter – weiter in den Abgrund aus Depression und Scheitern.
Fazit: Glückliche Menschen sind in nahezu jeder Hinsicht erfolgreicher. Glück ist kein bloßes Abfallprodukt guter Umstände – sondern gute Umstände sind eher das Abfallprodukt von Glücklichsein. Die kausalen Zusammenhänge gehen in beide Richtungen, es handelt sich um einen selbstverstärkenden Kreislauf. Das hat damit zu tun, dass unglückliche Menschen in einen „Schutzmodus“ gehen, nicht mehr kreativ sind, sich nichts mehr zutrauen, den Status quo vor Bedrohungen bewahren wollen. Glückliche Menschen schalten dagegen in einen „Wachstumsmodus“ für eine gute Zukunft. Sie sind kreativ und motiviert auf dem Weg ihr Leben noch besser zu machen. Dabei bekommen sie Rückenwind durch die vorteilhaften Reaktionen anderer Menschen auf ihre positive Ausstrahlung.
Nein. Wieso sollte das zwingend so sein? So dürfen wir statistische Zusammenhänge nicht interpretieren. Glück ist eine wichtige Ursache für Erfolg in vielen Lebensbereichen – doch nicht die einzige. Glücklichsein fördert unsere Chancen im Leben und senkt Risiken. Genauso wie beispielsweise auch ausreichend Bewegung oder gute Ernährung bestimmte Risiken senken oder Rauchen bestimmte Risiken steigen lässt. Und da ist es auch nicht immer so, dass alle Menschen die früh sterben, sich einfach nur nicht genug bewegt, falsch ernährt oder zu viel geraucht haben.
Wenn die kausalen Zusammenhänge in beide Richtungen gehen: Was ist dann nachhaltiger? Kann man besser Glück herstellen, indem man die äußeren Umstände ändert – oder können wir besser unsere Umstände ändern, indem wir unser Glück steigern? Das vertieft der folgende Absatz.
Kann man Glück kaufen?
Ein verbreiteter Spruch besagt: „Wer behauptet, man kann kein Glück kaufen, der kennt nur nicht den richtigen Ort zum Shoppen!“ Doch so einfach ist es nicht, wie der Schaukasten zeigt.
Viele Menschen versuchen sich Glück zu kaufen. Sie haben sich angewöhnt, Glück in neuen Konsumprodukten, wie einem Smartphone oder einem Auto zu suchen oder in Dienstleistungen wie einem Wellness-Urlaub. „Hol dir dies, hol dir das – es macht dich glücklich!“ sagen ihre Freunde und die Werbung. „Du bist unglücklich, weil alles immer teurer wird und die Reichen immer reicher – aber du nicht.“ erzählen ihnen Politiker.
Tatsächlich dient ein großer Teil unseres Verhaltens der Affektregulation – wir wollen negative Gefühle betäuben und positive Emotionen herstellen. Dafür hören wir Musik, sehen Filme, entfliehen der Realität mit Computerspielen, kaufen Kleidung, machen Sport oder treffen Freunde.
Das führt zu zwei Problemen:
- Ein Problem ist, dass viele dieser Ansätze, die sich Menschen angewöhnt haben, schädlich sind. Dazu gehören impulsives Essen, krankhaftes Kaufverhalten, exzessives Computerspielen, „Glück aus der Flasche“ in Form von Alkohol oder der unvernünftige Konsum von Medikamenten und Drogen.
- Das zweite Dilemma an vielen Konsumansätzen der Glückssuche ist, dass sie nicht nachhaltig sind. Unsere Freude über ein neues Notebook, neue Schuhe oder ein neues Auto lässt sehr schnell nach. Ein neuer Film wird langweilig bei wiederholtem Sehen, ein neues Musikstück nutzt sich ab. Konsequenz: Wir müssen rasch etwas Neues kaufen, um uns wieder kurz freuen zu dürfen. Ein tragischer Kreislauf entsteht.
Diesen Kreislauf aus Konsum, gut fühlen, rascher Abnutzung des guten Gefühls, Neukauf usw. nennt man die hedonistische Tretmühle. Arbeiten, konsumieren, arbeiten, konsumieren, arbeiten … diese hedonistische Tretmühle ist das Lebensmodell vieler Menschen geworden, es prägt unsere modernen Gesellschaften. Selbst Menschen, die nicht arbeiten, leben meist den zweiten Teil der Tretmühle – Konsum als trügerischer und kurzlebiger Schlüssel zum Glück.
Das Glück über die Veränderung unserer Umstände ist also kurzlebig. Selbst massivste Änderungen der Lebenssituation wie eine Querschnittlähmung oder ein Lotteriegewinn haben keinen nachhaltigen Effekt auf das Glücksniveau. Dieses überraschende Forschungsergebnis ist in der Psychologie seit vielen Jahrzehnten bekannt (Brickman, Coates und Janoff-Bulman, 1978; Lykken und Tellegen, 1996).
Glück zu kaufen – das funktioniert also nicht. Wie können wir dann langfristig glücklicher werden, um die vielen Vorteile zu ernten, die uns Glück bietet?
Glücklich sein: so können wir glücklicher werden
Die Positive Psychologie hat zahlreiche Interventionen entwickelt und getestet mit einem klaren Ziel: glücklicher werden (Seligman et al., 2005). Dazu gehören folgende Methoden zum glücklich sein.
1. Ungeliebtes delegieren und stoppen
Ein erster Schritt, um glücklicher zu sein: Dinge reduzieren, die uns unglücklich machen. Wir können diese Dinge an andere Personen delegieren. Du hasst es, deine Steuererklärung zu machen? Der Steuerberater freut sich darauf. Es nervt die Wohnung zu putzen? Der Raumpfleger lebt davon und freut sich auf den Auftrag. Ein Teil deiner Arbeit macht dir weniger Freude als andere Aspekte? Delegiere es an jemanden, sprich mit Kollegen oder deiner Führungskraft. Der Weg zur Arbeit ist Stress und Stau? Versuche mehr Homeoffice zu machen. Kurz: Wir sollten möglichst damit aufhören, Dinge zu tun, die wir hassen.
2. Flow-Erleben herstellen
Um glücklich zu sein, können wir auch Aktivitäten anreichern, die emotional positiv besetzt sind. Hier spielt insbesondere das Flow-Erleben eine Rolle (Csikszentmihalyi, 1975). Das ist der Zustand, in dem wir voll in unserer Aufgabe aufgehen, Raum und Zeit vergessen und wir uns nur um die Tätigkeit kümmern – wir sind im Flow. Dieser Zustand kann bei Sport genauso eintreten wie bei Spiel, Lernen oder bei der Arbeit. Die Tätigkeit macht dann so viel Freude, dass wir sie nur für sich selbst ausführen – einfach aus Spaß (Csikszentmihalyi, 2005). Flow kann zu Glück und positiver Emotion beitragen (Rogatko, 2009). Kurz: Wir sollten Dinge tun, die wir lieben.
3. Gesunder Schlaf
Ein sehr simpler und kaum beachteter Ansatz zum glücklich sein ist ein gesunder Schlaf (Shin und Kim, 2018). Dabei spielt sowohl die Dauer als auch die Qualität eine Rolle. Ebenso ist ein schnelles Einschlafen dienlich. Unregelmäßige Ins-Bett-geh- und Aufsteh-Zeiten, kurzwelliges und helles Licht (Handybildschirm) vor dem Schlafen sind dafür schlecht.
4. „Mediterrane“ Ernährung
Ein weiterer relativ unkomplizierter Weg, um Glück zu fördern, ist die Ernährung. Insbesondere ein so genannter „mediterraner Ernährungsstil“ scheint hilfreich, um glücklicher zu werden (Ferrer-Cascales et al., 2019). Dabei geht es um saisonale Früchte und Gemüse, Vollkornbrot, Oliven, Nüsse und Fisch, sowie einen mäßigen Konsum von Fleisch und Milchprodukten. Insbesondere Früchte und Gemüse scheinen positiv auf Glücklichsein zu wirken (Jyväkorpi et al., 2018; Kye und Park, 2014).
5. Bewegung
Regelmäßiger Sport und Bewegung korreliert mit Glücklichsein (Ruseski et al., 2014; Balish, Conacher und Dithurbide, 2016; Zhang und Chen, 2019). Ein Weg zum Glück geht also ganz einfach: Den inneren Schweinehund überwinden und sich regelmäßig bewegen. Mindestens viermal die Woche eine halbe Stunde sportliche Betätigung ist ein guter Richtwert.
6. Pausen und Erholung
Angebote zur Erholung und Entspannung korrelieren mit Glücksgefühlen. Dabei spielen offenbar insbesondere Natur und Parks eine Rolle (Kang, Yang und Han, 2021; Balish, Conacher und Dithurbide, 2016). Jeden Tag eine halbe Stunde im Grünen zu sein ist also auch eine Investition ins Glück.
7. Dankbarkeitstagebuch
Ein Dankbarkeitstagesbuch kann nachhaltig unsere Stimmung verbessern (Seligman et al., 2005). Das Vorgehen ist einfach: Jeden Abend drei Dinge aufschreiben, für die man dankbar ist. Wesentlich für die Wirksamkeit: Es sollten immer drei neue Dinge sein, damit sich die Freude nicht abnutzt. Und es geht nicht um das reine Aufschreiben. Wichtiger ist es, sich die Dinge anschaulich vorzustellen, diese in der Fantasie und Erinnerung zu visualisieren. Wer möchte, der kann auch einfach nur intensiv an drei Dinge denken, für die er dankbar ist – visualisieren ohne Aufschreiben. Und es braucht auch nicht unbedingt am Abend zu sein. Vor dem Einschlafen hat allerdings den Vorteil, dass man oft ungestört und nicht abgelenkt ist.
8. Positives Denken und Optimismus
Optimismus ist einer der Einflüsse auf Glück (Fortier und Morgan, 2022). Wir können entsprechend unser positives Denken fördern, um glücklich zu sein. Dabei ist folgendes Muster hilfreich: Optimisten gehen davon aus, dass a) negative Ereignisse vorbei gehen, b) nur einen kleinen Teil des Lebens negativ beeinflussen werden. Zudem glauben sie, dass c) positive Ereignisse auf eigene Leistung und Anstrengung zurückgehen. Außerdem d) fokussieren sie auf positive Aspekte von Ereignissen, erwarten e) Gutes für ihre Zukunft und f) erinnern selektiv die „sonnigen“ Seiten ihres Lebens. Dazu gehört auch das Auskosten und Würdigen von positiven Ereignissen.
Eine Übung dazu fokussiert auf eigene Stärken (you at your best). Dazu erinnern wir uns ganz bewusst an eine Situation, in der wir „super“ erfolgreich waren, alles optimal gelaufen ist. Wir schreiben die Situation auf und betonen dabei unsere Stärken und Anstrengung. Dann erinnern wir uns regelmäßig an diese Situation(en) zurück.
9. Achtsamkeitsübungen und Meditation
Fokus und Aufmerksamkeit in die Gegenwart holen und alles Denken, insbesondere an Zukunft und Vergangenheit, einstellen – kann das glücklich machen? Studien sagen: Ja. Und produktiver werden wir auch damit (Coo und Salanova, 2018; Leroy et al., 2013). Es gibt unzählige Techniken zu Achtsamkeit, viele davon aus alten Kulturen und Religionen, wie dem Buddhismus. Ein wesentlicher gemeinsamer Kern ist der akzeptierende Fokus auf die Gegenwart, den Augenblick. Damit geht einher das Einstellen von allem Denken, aller Beurteilung und Bewertung (Bishop et al., 2004). Ein guter Einstieg in Achtsamkeit und Meditation können geführte Meditationen sein, wie sie frei im Internet auf den einschlägigen Videoplattformen verfügbar sind. Hier zeigt sich ein interessanter Bezug zum oben geschilderten Flow-Erleben. Ein Flow-Zustand bei der Arbeit ist vergleichbar mit dem Aufgehen im „Jetzt“ bei der Meditation.
10. Pflege und Genuss von sozialen Beziehungen
Beziehungen können unser Glück fördern – wenn es die richtigen sind (Saphire-Bernstein, Shimo und Taylor, 2013; Demir, 2010). Das Zauberwort ist hier nicht Quantität, sondern Qualität. Wer den Fokus auf Menschen legt, die ihm gut tun und diejenigen vermeidet, die ihm schaden, der kann sein Lebensglück steigern. Wichtig zu wissen: Emotionen sind ansteckend, sie übertragen sich von Mensch zu Mensch (z.B. Barsade, 2002). Wer sich mit den richtigen Menschen umgibt, und den Kontakt in hoher Qualität auskostet, der profitiert daher mit Glück. Wer sich dagegen mit den falschen Menschen umgibt, der leidet unter Konflikten und wird von ihren negativen Emotionen infiziert wie von einer Krankheit.
Glück ausstrahlen und vermehren kannst Du üben.
- Begegne selbst anderen Menschen positiv und gut gelaunt, mit Freude. Lächle Deine Mitmenschen an, behandle sie als Freunde. Das Lächeln allein macht schon glücklicher, insbesondere wenn Du es mit positiven Gedanken unterstützt und es echt ist. Sei zudem hilfsbereit, gehe in Vorleistung. Oft wirst Du so eine positive Kettenreaktion auslösen. Die anderen Menschen regieren ebenfalls besser gelaunt und positiv und strahlen das wieder auf Dich zurück.
- Wenn Du mit Menschen zu tun hast, dann spüre in Dich hinein: Gibt es positive Resonanz, fühlst Du Dich gestärkt, tun Dir diese Menschen gut?
Es gibt Menschen, mit denen triffst Du Dich z.B. nach der Arbeit und bist eigentlich müde. Dennoch ist es, während ihr miteinander seid, auf einmal nach Mitternacht und Du bist voller Energie, Inspiration und fühlst Dich glücklich. Am nächsten Tag stehst Du gefüllt mit Energie auf. Suche solche Menschen, triff Dich öfter mit ihnen, reichere sie an in Deinem Leben.
Und es gibt die anderen Menschen. Sie stahlen Antriebslosigkeit, Depression und Resignation aus. Sie klagen und beschweren sich, zeigen auf andere, anstatt selbst etwas zu ändern. Du warst vielleicht noch voller Energie und gut gelaunt vor Eurem Treffen. Doch das geht schnell verloren, dafür rinnt die Zeit ewig langsam. Vermeide solche Menschen, sie strahlen ihre negativen Emotionen auf Dich ab. - Übe auch fremden Menschen gegenüber positive Emotionen. Begrüße die Kassiererin freundlich und mit einem Lächeln. Begrüße die anderen Patienten im Wartezimmer beim Arzt freundlich. Grüße beim Wandern und Spazierengehen die Menschen, denen Du begegnest.
Mit diesen Ansatzpunkten sorgst Du einerseits dafür, dass Du selbst Deine Mitmenschen glücklicher machst und andererseits, dass Deine Mitmenschen Dich glücklicher machen. Du trägst etwas Glück in die Welt und schaffst ein soziales System, eine Kettenreaktion, die Glück vermehrt. Es ist eine sehr einfache Methode, die Welt ein Stück besser zu machen.
Ein weiterer interessanter Aspekt, um Glück zu fördern, sind körperliche Interventionen. Dazu gehört das Einnehmen von Körperhaltungen (Wilkes et al., 2017) und Aktivitäten, die mit positiven Emotionen verbunden sind. Etwa bewusstes Lachen (Deshpande und Verma, 2013), fröhliches Herumtollen und Tanzen wie in der Kindheit, Freudensprünge oder ein freudiger Gesichtsausdruck vor dem Spiegel.
Fazit: Um glücklich zu sein, braucht es kein „Hexenwerk“ und keine „Raketenwissenschaft“. Ganz basale und lange bekannte Allgemeinplätze zeigen Wirkung: gut schlafen, gesund essen, ausreichend bewegen. Sensibilität in der Auswahl sozialer Kontakte rundet das ab. Wer das alles schon praktiziert und noch Potenzial nach oben sieht, kann etwas tiefer und psychologischer ansetzen, ein Dankbarkeitstagebuch beginnen, meditieren und sein Denken in eine positive Richtung entwickeln.
Glücksforschung: Genetik und Glück
„Der Versuch glücklicher zu werden ist womöglich genauso hoffnungslos, wie der Versuch größer zu werden!“ So lautete das provokante Resümee einer umfangreichen Studie mit Zwillingen zum Ausmaß angeborener Einflüsse auf Glück (Lykken und Tellegen, 1996). Die Autoren berechnen den angeborenen Anteil am Glück von Menschen auf bis zu 80 Prozent. Die Zusammenhänge von situativen Aspekten wie Wohlstand (Sozioökonomischer Status), Bildung oder Familienstand (Heirat) mit Glück sind marginal. Keiner der Zusammenhänge kommt in der Studie über drei Prozent. Die Autoren schlussfolgern, dass Lebensereignisse wie eine Beförderung, ein Lottogewinn, entlassen zu werden oder eine katastrophale Fehlinvestition zwar Auswirkungen auf unser Glücksgefühl haben – aber nur sehr kurzfristig. Wir werden alle auf unseren fixierten „set point“ an Glück zurückpendeln. So die ernüchternde Botschaft der umfangreichen Berechnungen.
Ist Glück also tatsächlich so stark „genetisch“ determiniert, eine Frage der Vererbung, bei der die einen Glück bekommen und andere nicht? Haben unglückliche Menschen vielleicht einfach „Pech“, weil sie eine falsche Gen-Konfiguration haben? Moderne Analysen landen bei ähnlich hohen Berechnungen der angeborenen Einflüsse auf überdauerndes Glück: 70 bis 80 Prozent (Nes und Røysamb, 2017).
Einige Veröffentlichungen sehen das immense Ausmaß an angeborenem Einfluss auf Glück etwas weniger dramatisch aber doch als erheblich an (Lyubomirsky, Sheldon und Schkade, 2005). Sonja Lyubomirsky und Kollegen skizzieren das Ausmaß an Einflüssen auf Glück mit: 50% genetisch, 10% nicht beinflussbare Lebensumstände. Nach ihrer Auffassung verbleiben 40% durch bewusste Handlungen individuell beinflussbarer Anteil. Das Modell hat als „happiness pie“ große Verbreitung gefunden. Viele, die ein Training oder Buch zum Thema „Glück“ verkaufen wollen, nutzen diese Schätzung als „wissenschaftliche Fakten“. Wegen seines spekulativen Charakters und methodischer Fehler bei der Schätzung der Anteile hat das Modell Kritik aus der Wissenschaft auf sich gezogen (z.B. Brown und Rohrer, 2020) – in der Praxis hat es jedoch zahlreiche Anhänger wegen seiner Simplizität gefunden.
Die Abbildung greift den praktisch fruchtbaren Gedanken von Lyubomirsky und ihrem Team auf (Lyubomirsky, Sheldon und Schkade, 2005). Sie beschreibt den Ansatz, den Anteil intentionaler Aktivitäten an unserem Glücksgefühl auszubauen. Die Abbildung ist ein reines Denkmodell, die drei Anteile sind der Übersichtlichkeit halber gleich groß dargestellt. In Realität können die Anteile im Einzelfall stark davon abweichen.
Was können wir aus der Forschung zu Glück und Vererbung ableiten? Es ist eine Momentaufnahme. Sie sagt uns, dass zum derzeitigen Zeitpunkt bei den untersuchten Menschengruppen die angeborenen Einflüsse auf Glück dominieren – der „set point“. Daneben gibt es weitere Einflüsse, die ebenfalls weitgehend außerhalb unseres persönlichen Kontrollbereiches liegen – die Umstände wie z.B. das politische System, die wirtschaftliche Lage in unserem Land und unsere Vergangenheit bzw. Herkunftsfamilie. Doch in einem dritten Bereich können wir mit eigenen Handlungen selbst Einfluss auf unser Glücklichsein ausüben. Dieser Einfluss ist derzeit noch sehr schwach bei den untersuchten Menschen ausgeprägt. Muss das so bleiben? Nein.
Warum sind die determinierten Einflüsse auf Glück in unserer Gesellschaft so stark und die intentionalen, die wir unter Kontrolle haben, (noch) so schwach? Eine einfache Antwort auf diese Frage ist: Weil wir es zulassen. Unsere Gesellschaft ist inkompetent, um systematisch Glück zu verfolgen. Es gibt fast keine Menschen, die systematisch und wissenschaftsbasiert an ihrem Glückszustand arbeiten. Wir sind in Bezug auf Glück wie kleine Kinder, die noch nicht gelernt haben zu laufen. Wir wissen kaum etwas über Glück und verfolgen es mit sehr ungeeigneten Ansätzen. Weil wir es zulassen, bestimmen dann andere Faktoren wie Genetik und Schicksal über unser Glück.
Wir können es uns vorstellen wie ein Ruderboot mit zwei Ruderern. Einer der Ruderer (intentionale Handlungen) sind wir selbst. Der andere Ruderer (unsere Genetik) rudert konsequent und klar in eine bestimmte Richtung. Wir selbst rudern nur sporadisch und wenn, dann total unkoordiniert in verschiedene Richtungen. Dazu weht noch ein konstanter Wind – die nicht beeinflussbare Situation. Wer bestimmt am Ende unseren Kurs? Der erste Ruderer und der Wind. Solange wir also nicht vernünftig und strukturiert selbst in eine klare Richtung rudern, bestimmen unsere Gene und andere nicht beeinflussbare Aspekte unserer Lebenssituation unser Glücksniveau. Wir selbst haben dann nichts mitzuentscheiden.
Der Versuch glücklich zu werden ist also nicht hoffnungslos. Aber er erfordert Einsatz. Wenn wir glücklicher werden wollen, dann müssen wir wohl oder übel anfangen systematisch zu rudern – als Mensch aber auch als ganze Gesellschaft. Dann erst können wir sehen, wie groß unser Potenzial glücklicher zu werden tatsächlich ist.
Kritik: Ist Glück überhaupt ein attraktives Ziel?
Die meisten Menschen halten Glück intuitiv für etwas, das erstrebenswert und attraktiv ist. Es ist ein wichtiges Ziel für sie glücklich zu sein. Und die angeführten Forschungsergebnisse zeigen, dass das insgesamt eine gute Idee für mehr Erfolg, Gesundheit und Zufriedenheit im Leben ist. Der Schaukasten zeigt, dass es auch andere Blickwinkel auf Glück gibt.
„Wir haben das Glück erfunden“ – sagen die letzten Menschen und blinzeln.
Sie haben die Gegenden verlassen, wo es hart war zu leben: denn man braucht Wärme. Man liebt noch den Nachbar und reibt sich an ihm: denn man braucht Wärme.
Krankwerden und Misstrauen-haben gilt ihnen sündhaft: man geht achtsam einher. Ein Thor, der noch über Steine oder Menschen stolpert!
Ein wenig Gift ab und zu: das macht angenehme Träume. Und viel Gift zuletzt, zu einem angenehmen Sterben.
Man arbeitet noch, denn Arbeit ist eine Unterhaltung. Aber man sorgt, dass die Unterhaltung nicht angreife.
Man wird nicht mehr arm und reich: Beides ist zu beschwerlich. Wer will noch regieren? Wer noch gehorchen? Beides ist zu beschwerlich.
Kein Hirt und eine Herde! Jeder will das Gleiche, jeder ist gleich: wer anders fühlt, geht freiwillig ins Irrenhaus.
„Ehemals war alle Welt irre“ – sagen die Feinsten und blinzeln.
Man ist klug und weiß alles, was geschehen ist: so hat man kein Ende zu spotten. Man zankt sich noch, aber man versöhnt sich bald – sonst verdirbt es den Magen.
Man hat sein Lüstchen für den Tag und sein Lüstchen für die Nacht: aber man ehrt die Gesundheit.
„Wir haben das Glück erfunden“ – sagen die letzten Menschen und blinzeln.
Aus Nietzsches (wie von ihm gewohnt) harten Zeilen spricht klar seine Verachtung für das passive Glück der Vielen in der Komfortzone. Er selbst drückt es so aus: „für kleine Leute sind kleine Tugenden nöthig“
Spricht die Verachtung des Glücksgedankens „einfacher“ Menschen generell gegen ein Streben nach Glück? Keinesfalls. Es geht hier ja nur um eine bestimmte Art von Glück, ein hedonistisches Glück in der Komfortzone. Der Fokus liegt hier sehr klar auf dem Aspekt des „Fühlens“. Jeder Mensch kann sich davon frei machen und vor allem die Glückskomponenten „Denken“ und „Tun“ priorisieren. Wir können uns so mit einer klaren Vision einen tieferen Sinn im Leben setzen und diesen ambitioniert verfolgen. Und wir werden so bei einem ganz anderen Verständnis von Glück landen. Wenn der Extrembergsteiger Reinhold Messner allein 8.000er Berge bestieg bei Minus 30 Grad, dann war er glücklich – für viele andere Menschen ist bereits die Vorstellung ein Albtraum. Vielleicht werden wir ähnlich wie Reinhold Messner unseren eigenen „8.000er Berg“ im übertragenen Sinn besteigen? Vielleicht werden wir uns körperlich, geistig, sozial, finanziell und in jeder Hinsicht an unsere Grenzen und darüber hinaus führen? Vielleicht werden wir oft außerhalb unserer Komfortzone leben, um einen Sinn zu erfüllen, den wir uns selbst gesteckt haben? Vielleicht sind wir mit jedem Schritt glücklich, den wir unserer Vision näher kommen – auch wenn dieser Schritt selbst uns noch so schmerzt, wir durch Feuer oder Eis gehen… So hat Reinhold Messner auf seinen „Schritten“ tatsächlich zahlreiche seiner Zehen eingebüßt – durch Erfrierungen. Sicher ist das nicht der Weg zum Glück der Vielen. Es ist der Weg der Wenigen, der Selbstbestimmten.