„Was Du heute kannst besorgen, das verschiebe nicht auf morgen!“ Schön wär’s. Wir alle schieben ungeliebte Tätigkeiten hinaus, die wir nicht genießen – obwohl wir die negativen Konsequenzen kennen. Das Phänomen heißt in der Psychologie Prokrastination und hat viele umgangssprachliche Bezeichnungen wie Aufschieberitis und Bummelei, wird oft auch als Faulheit oder Strukturlosigkeit abgetan. Bei einigen Menschen entwickelt sich diese verbreitete Neigung zum ernsten Problem, zu einem festen Verhaltensmuster, gefährdet ihre Handlungsfähigkeit im Leben. Aber auch für alle anderen, die nicht so massiv betroffen sind, bietet dieser Beitrag wertvolle Impulse. Er beantwortet zentrale Fragen: Wie entsteht Prokrastination? Und wie kann ich Prokrastination überwinden? Er zeigt die Merkmale und Definition von Prokrastination, klärt ob krankhaftes Aufschieben wirklich eine Krankheit ist, zeigt die Ursachen, liefert Beispiele und Tipps. Zudem geht es darum, ob Präkrastination, also das zwanghafte sofortige Erledigen von Aufgaben, wirklich besser ist – oder sogar noch gefährlicher.
Autor: Diplompsychologe Professor Dr. Florian Becker
Wer prokrastiniert, tut nicht, was zu tun ist. Wichtige Dinge werden in die Zukunft geschoben, gar nicht oder zu spät erledigt. Dadurch verfehlen wir unsere Ziele in Bildung, Gesundheit und Beruf und versäumen unser Leben. Stattdessen füllen wir unser Leben mit Ablenkung. So betäuben wir das ungute Gefühl „etwas tun zu müssen“. Das hat Folgen für uns: Als Ergebnis leisten wir weniger, sind weniger erfolgreich, ärmer und weniger beliebt bei anderen Menschen. Irgendwann liegen wir im Sterben – und haben nichts von all dem getan, das wir tun wollten, von dem wir wussten, dass es wichtig ist. Dafür haben wir uns mit Nebensächlichkeiten betäubt. Wir haben am Leben vorbei gelebt.
In diesem Beitrag:
Was ist Prokrastination? Definition
Das lateinische Wort „procrastinatio“ bedeutet Aufschub und Vertagung. Das definiert Prokrastination bereits ganz gut, doch es ist mehr dahinter. Beginnen wir mit einer einfachen Definition: Prokrastinieren bedeutet nicht zu tun, was zu tun ist. Eine bildliche Beschreibung ist ein Schütze, der immer wieder absichtlich neben das Ziel schießt, das er eigentlich treffen möchte, auf nebensächliche Ziele anlegt. Eine wissenschaftliche Definition der Prokrastination lautet (z.B. Prem et al., 2018; Rozental und Carlbring, 2014):
Die Psychologie definiert Prokrastinieren als „irrationale“ Entscheidung gegen eine Handlung ohne Rücksicht auf negative Konsequenzen. Es geht also um das scheinbar grundlose Unterlassen wichtiger und beabsichtigter Tätigkeiten und das Erleiden der daraus folgenden negativen Konsequenzen.
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Das klärt auch, was Prokrastination nicht ist: ein Herauszögern einer Tätigkeit, bei der es gute Gründe gibt, diese nicht umzusetzen oder bei der keine negativen Konsequenzen und entgangene Chancen drohen. Wer also eine nervige E-Mail nicht gleich beantwortet, sondern wichtige Prioritäten setzt und sich darauf fokussiert, der prokrastiniert nicht. Auch sinnvolle Erholungspausen und ein überlegtes Angehen von Tätigkeiten haben nichts mit dem Phänomen zu tun. Oft wird man auch zwischen verschiedenen sinnvollen Tätigkeiten die beste auswählen müssen, zuerst erledigen. All das ist kein Prokrastinieren, sondern effizientes Arbeiten mit klaren Prioritäten.
Typische Symptome und Beispiele der Prokrastination sind:
- Unterlassen des pünktlichen Beginnens mit einer Handlung
- Scheitern beim kontinuierlichen und strukturierten Arbeiten an einer Handlung
- Ignorieren von Fristen: Abschließen einer Handlung kurz vor der Deadline, nach einer Deadline oder niemals
- Fokus auf nebensächliche Aktivitäten oft mit unmittelbarer Belohnung (z.B. Aufräumen der Wohnung)
- Flucht- und Vermeidungsverhalten in Bezug auf wichtige Handlungen (z.B. Ablenkung, Verstecken von Hinweisen und Material)
Fazit: Prokrastinieren definiert sich nicht als „weises Unterlassen“, sondern als grundloses Hinauszögern wichtiger beabsichtigter Tätigkeiten ohne Rücksicht auf die negativen Konsequenzen. Prokrastinierer wählen und bevorzugen scheinbar unwichtige Tätigkeiten auf Kosten der wesentlichen und zentralen Tätigkeiten.
Beispiele für Prokrastinieren
Im gewissen Umfang zeigt jeder Mensch Verhalten, das sich als Prokrastination definieren lässt. Wir alle ertappen uns hin und wieder, wie wir uns ewig mit Nebensächlichkeiten ablenken, anstelle die wichtigen und zentralen Aufgaben voranzutreiben. Stichworte dazu sind soziale Medien, Fernsehen, Aktienkurse und E-Mails checken, Computerspiele, Tagträumen und übermäßiges Schlafen… Kurz wir prokrastinieren. Der Schaukasten zeigt Beispiele von Prokrastination bei berühmten Personen.
Studierende kennen das: Eine Hausarbeit oder Bachelorarbeit steht an – doch man beginnt einfach nicht damit. Was viele nicht wissen: Das geht auch absoluten Profis so, Top-Autoren. Doch diese haben meist Wege gefunden, damit umzugehen. Ein paar Beispiele:
- Victor Hugo, der französische Schriftsteller unter anderem von „Der Glöckner von Notre-Dame“ war offenbar party- und sexsüchtig. Um sich zum unabgelenkten Schreiben zu zwingen, wählte er eine exzentrische, aber effektive Methode: Er zog sich in einem Zimmer zurück, entkleidete sich splitternackt bis auf einen Schal und übergab alle Kleider an Bedienstete. Diese durften ihm seine Kleider erst wieder aushändigen, wenn er ein Kapitel fertiggestellt hatte.
- Douglas Adams ist Autor von beispielsweise „Per Anhalter durch die Galaxis“. Er wurde angeblich mit seinem Einverständnis vom Verlag zum Schreiben wochenlang in ein Hotelzimmer „gesperrt“ mit jemandem im Raum nebenan – zur Überwachung. In seinem Zimmer waren nur er und ein Schreibgerät. Ihm wird das Zitat zugeordnet: „Ich mag Deadlines. Ich liebe das Woosh-Geräusch, wenn sie vorbeiziehen.“
- Demosthenes gilt als einer der besten Redner des antiken Griechenland. Weniger zum Schreiben, sondern zum Vorbereiten und Üben von Reden wählte auch er eine unkonventionelle Methode. Er zog sich in einen isolierten Raum zurück und verunstaltete seine Frisur, indem er Teile der Kopfhaut rasierte. Derart entstellt, sah er sich gezwungen, abzuwarten, bis seine Haare nachgewachsen waren, bevor er sich wieder mit anderen Menschen umgeben konnte. So abgeschottet, konnte er sich voll auf die Vorbereitung seiner Reden konzentrieren.
Prokrastination betrifft also alle Menschen – doch einige haben gelernt, erfolgreich damit umzugehen. Was sagt die Forschung zu Prokrastination?
Wichtige Merkmale von Prokrastination
Wie verbreitet ist Prokrastinieren? Welche messbaren Auswirkungen hat die Aufschieberitis? Bessert sich „krankhafte“ Bummelei von allein? Hier ein paar Merkmale von Prokrastination:
- Verbreitung. Die meisten Menschen prokrastinieren regelmäßig. Jeder fünfte Erwachsene gibt an, sogar chronischer Prokrastinierer zu sein (Harriott und Ferrari, 1996). 50 Prozent der Studierenden berichten Stress und Schwierigkeiten bei Studienerfolg durch Prokrastinieren (Day, Mensink und O’Sullivan, 2000). Daher gehört zu den Merkmalen des Prokrastinierens eine starke Verbreitung.
- Konsequenzen. Betroffene beschreiben das Verhalten als schlecht und schädlich, leiden darunter (Tice und Baumeister, 1997), würden es gerne ablegen. Sie leiden unter Schuldgefühlen, Stress und sorgen sich. Studien zeigen passend dazu, dass Menschen, die prokrastinieren, weniger erfolgreich sind und weniger leisten als andere Personen (z.B. Steel, Brothen und Wambach, 2001). Zudem sind sie eher Single und verdienen weniger (Beutel et al., 2016).
- Stabilität. Dazu kommt als wichtiges Merkmal von Prokrastination, dass diese nicht nur ein momentanes Verhalten ist, sondern offenbar eine stabile Eigenschaft. Auch die Genetik spielt eine Rolle: Beim Prokrastinieren sind etwas über 20 Prozent der Ausprägung angeboren (Arvey et al., 2003).
- Selbst keine Krankheit. Ist Prokrastination Krankheit? Prokrastination ist bei vielen psychischen Störungen eine Facette. Es bestehen Verbindungen zu Depression, ADHS und auch zu übertriebenem, lähmendem Nachdenken (Overthinking). Selbst ist Prokrastination in der Psychologie (DSM) und Medizin (ICD) bisher nicht als eigenständige psychische Erkrankung geführt.
Fazit: Prokrastination ist extrem verbreitet, die betroffenen Personen leiden darunter und erfahren objektive Nachteile. Konsequenzen und Auswirkungen der Prokrastination können dann letztlich sein das Scheitern in Schule, Studium, Beruf, Partnerschaft, Gesundheit und persönlicher finanzieller Situation. Dazu kommen mehr Stress, soziale Verwerfungen und ein schlechtes Image im sozialen Umfeld. Es gibt Verbindungen zu psychischen Erkrankungen. Die Wahrscheinlichkeit, dass das Problem von allein schnell verschwindet, ist relativ gering. Das macht Prokrastination zum wichtigen Forschungs- und Handlungsfeld für Positive Psychologie. Es besteht Handlungsbedarf.
Was sind Ursachen von Prokrastination?
Wichtige aber unangenehme Aufgaben erledigen… Warum fällt es uns so schwer? Die Ursachen für Prokrastination bilden drei Gruppen: Eigenschaften der Personen, Merkmale der Aufgaben und Kennzeichen der Situation.
Eigenschaften von Personen und Prokrastination
Wer ist gefährdet für Prokrastination? Menschen entwickeln sich und lernen sich selbst zu motivieren, daher ist Prokrastination bei jüngeren Menschen verbreiteter (Baumeister, Heatherton und Tice, 1994; Beutel et al., 2016). Stärker betroffen sind auch Personen mit schwacher Impulskontrolle (Tice und Baumeister, 1997) und Menschen, die schnell gelangweilt sind und Abwechslung suchen (geben Ablenkungen nach). Dazu passt, dass es Verbindungen zu ADHS gibt (Altgassen, Scheres und Edel, 2019). Pessimistische Überzeugungen und depressive Stimmung sind ebenfalls förderlich für prokrastinierendes Verhalten (Steel, 2007).
Eher immun gegen das Prokrastinieren sind Menschen, die an ihre eigene Kompetenz glauben (Selbstwirksamkeit) und selbstbewusst sind. Auch gewissenhafte Individuen mit hoher Leistungsmotivation sind weniger betroffen. Zentrale Ursachen der Prokrastination finden sich also auch in der Person. An einigen können wir gut arbeiten, um sie zu verändern: etwa pessimistisches Denken reduzieren und Selbstwirksamkeit aufbauen.
Aufgaben als Ursache der Prokrastination
Welche Aufgaben fördern Prokrastination? Tätigkeiten, deren Resultate weit in der Zukunft liegen, entfalten weniger Motivation als zeitlich unmittelbar nahe Resultate (Bisin und Hyndman, 2020). Zwar ist es rational, heute Abend weniger Alkohol zu trinken, da am nächsten Morgen das Kopfweh droht, als junger Mensch Geld für das Alter auf die Seite zu legen oder als Grundschüler fleißig zu lernen, um irgendwann studieren zu können… Aber die attraktiven Resultate sind in der Zukunft – und in der Gegenwart locken andere Genüsse. Menschen, die prokrastinieren, fokussieren sich auf kleine nebensächliche Aufgaben mit sofort-Erfolg: „Das Zimmer ist aufgeräumt, super!“ oder „Ich habe ein Level im Computerspiel erfolgreich abgeschlossen!“. Die langfristigen, wichtigen Aufgaben bleiben dabei auf der Strecke. Aufgaben mit langem Zeithorizont sind daher eine wichtige Ursache für Prokrastination. Diese werden oft zum Opfer anderer Aktivitäten, die unmittelbar belohnen.
Zudem gibt es Aufgaben, die einfach wenig Motivationspotenzial bieten, aversive Aufgaben. Sie sind geprägt durch wenig Abwechslung, geringe Selbstbestimmungsmöglichkeiten und fehlende unmittelbare Erfolgserlebnisse bzw. Rückmeldung. Bei diesen Aufgaben steigt die Wahrscheinlichkeit für Prokrastinieren ebenso wie bei langweiligen Aufgaben (Ferrari und Scher, 2000). Häufig berichten Prokrastinierer von Langeweile und unangenehmen Gefühlen gegenüber einer Handlung bzw. Tätigkeit (Schraw, Wadkins und Olafson, 2007). Auch das Motivationspotenzial von Aufgaben zählt daher bei der Prokrastination zu den Ursachen.
Bei der Auswahl und Gestaltung von Aufgaben können wir sehr gut ansetzen, um Prokrastination zu überwinden. Psychologische Arbeitsgestaltung betont hier Aspekte wie Abwechslung, Sinnerleben, Rückmeldung, Zwischenziele setzen und auch Zeitdruck.
Merkmale der Situation und Prokrastinieren
Welche Situationen befeuern Prokrastinieren? Auch die Situation ist oft Ursache für Prokrastinieren. Ein soziales Umfeld, in dem Ablenkungen im Mittelpunkt stehen (z.B. Party und Computerspiele), das eine geringe Leistungsorientierung aufweist und ggf. sogar Leistung und Erfolg sanktioniert, ist hier ungünstig. Die Umwelt sollte möglichst frei von Ablenkungen und Stress sein.
Auch bei der Situation können Betroffene von übermäßiger Bummelei effektiv Verbesserungen erreichen. Quellen für Ablenkung lassen sich oft beseitigen, und unser soziales Umfeld können wir uns weitgehend selbst aussuchen.
Es folgt ein Schaukasten mit Beispielen, die an diesen Ursachen für Prokrastinieren ansetzen.
- Student: „Ich bin in eine neue WG gezogen, in der sich die Mitbewohner wirklich für ihr Studium interessieren. Die Bewohner in meiner Wohnung vorher haben sich nur für Party und das Studium von Frauen interessiert.“
- Selbständiger: „Mein Fernseher war auf einmal an. Ich wusste meist gar nicht mehr, wie es dazu gekommen ist. Ich habe mir den größten Blödsinn angesehen. Ich habe das Gerät verschenkt. Zudem habe ich alle Computerspiele deinstalliert. In der gewonnenen Zeit habe ich Sport gemacht, Kunden kontaktiert und mein Geschäft entwickelt.“
- Angestellte: „Ich habe im Mitarbeitergespräch angesprochen, was mir besonders Spaß macht, mich interessiert und motiviert. Zudem hole ich mir jetzt regelmäßig Rückmeldung von Kunden, meiner Führungskraft und Kollegen zur Zusammenarbeit. Anstatt passiv zu warten, dass eine Aufgabe zu mir kommt, achte ich ich jetzt darauf, was sich tut und sorge dafür, dass genau die Aufgaben zu mir kommen, die ich auch wirklich mag.“
- Führungskraft: „Ich habe immer geglaubt, ich müsste erst wirklich gut genug sein, um etwas anzugehen. Das hat mich sehr gebremst. Heute weiß ich, dass ich am schnellsten lerne, wenn ich etwas Anspruchsvolles und Herausforderndes angehe. Ich wachse mit meinem Werk. Ich fange an, bevor ich etwas perfekt kann und lerne es dann im Prozess.“
Fazit: Prokrastination ist ein komplexes Problem mit vielen Ursachen. Ein Ansatz nach dem Motto: „Prokrastination? Die Ursachen liegen in der Kindheit!“ ist daher nicht angemessen. Das genügt nicht, um krankhaftes Aufschieben zu überwinden oder auch nur annähernd zu verstehen.
Prokrastinieren als Teufelskreis
Ein wichtiges Merkmal beim Prokrastinieren ist Zirkularität, ein sich selbst verstärkender Teufelskreis. Das zeigt die Abbildung.
Prokrastinieren ist ein oft kreislaufförmiger Prozess mit typischen Schritten.
- Eine langfristig wichtige aber momentan unangenehme Aufgabe erzeugt Druck.
- Um diesem Druck zu entgehen, lenkt sich eine Person ab. Zur Ablenkung nutzt sie nebensächliche Aktivitäten, die unmittelbar belohnend sind oder betäuben. Typische Beispiele dafür sind das Aufräumen, soziale Medien oder Computerspiele.
- Die Person bekommt dadurch kurzfristig ein Belohnungsgefühl, der empfundene Druck ist betäubt, sie ist abgelenkt, hat vielleicht das (illusionäre) Gefühl, etwas geschafft zu haben. Ein neues Level auf dem Computerspiel ist erreicht, das Zimmer ist sauber. Ein Beitrag in den Social Media bekommt Likes. Das Gehirn dieser Person lernt durch das kurzfristige Belohnungsgefühl, sich dem Druck von wichtigen Aufgaben mit Ablenkung zu entziehen. Motto: „Wenn du Druck hast, poste was in den Social Media.“ Das ungute Verhaltensmuster festigt sich damit für die Zukunft. Eine schlechte Gewohnheit entsteht.
- Durch die Ablenkung und das Herauszögern erzeugt jetzt allerdings die wichtige unerledigte Aufgabe noch mehr Druck. Es wird umso attraktiver, sich mit den gelernten Mustern (Ablenkung und Ersatzaufgaben) abzulenken und zu betäuben. Der Teufelskreis setzt sich fort und vertieft sich.
Es geht also darum, diesen Teufelskreis zu durchbrechen, damit wir Prokrastination überwinden und stoppen können.
Prokrastination überwinden
Viele Betroffene fragen sich: Wie werde ich Prokrastination los? Wie kann ich Prokrastination überwinden? Wie kann ich einfach wichtige aber unangenehme Aufgaben erledigen? Damit hat sich die Positive Psychologie beschäftigt. Aus den genannten Ursachen und aus einigen Forschungsarbeiten lassen sich die wichtigsten Methoden und Maßnahmen ableiten, die Prokrastinieren beenden können.
- Ablenkung abstellen. Egal ob soziale Medien, der Fernseher, E-Mails die aufpoppen, das andauernd klingelnde Handy – jeder kann solche Ablenkungsquellen nach kurzem Nachdenken und etwas Aufmerksamkeit dafür finden und abstellen oder deutlich reduzieren. Was lenkt mich alles ab an meinem Arbeitsplatz? Herrscht hier eine angenehme Ordnung und attraktive Umgebung? Sage ich oft genug „nein“ zu unterbrechenden Personen, ungünstigen Anrufen, Interessen, die nicht meine eigenen sind? Wer Prokrastination überwinden will, sollte als Erstes Ablenkung abstellen. Auch ein ehrlicher Rückblick am Abend kann viel Klarheit schaffen, was die häufigsten Störfaktoren sind: Was hat mich heute davon abgelenkt, an meinen wichtigen Aufgaben zu arbeiten? Oft sind das immer die gleichen drei oder vier Dinge. Sobald wir diese identifiziert haben, können wir sie abstellen.
- Visualisieren zukünftiger Ergebnisse. Prokrastinieren hat oft mit Ergebnissen in weiter Zukunft zu tun. Wir können uns diese Ergebnisse mental näher holen und uns motivieren, indem wir sie visualisieren. Wie fühlt es sich an, wenn ich mein Ziel erreicht habe? Was höre ich, was spüre ich mit allen Sinnen? Hilfreich kann auch sein, sich eine abschreckende Vision zu erstellen, um Prokrastination zu überwinden: Wo lande ich in zehn Jahren, wenn ich so weiter mache?
- Zwischenziele und Zwischenerfolge. Motivation fällt schwer, wenn der Erfolg und die Belohnungen erst in weiter Ferne sind. Es hilft, ein großes Projekt in kleine „Häppchen“ zu unterteilen, die leicht erreichbar sind. Ein Buch schreiben… Das hört sich nach extrem viel Aufwand an. Ein einzelnes Kapitel zu verfassen ist dagegen wesentlich erreichbarer. Wichtige Fragen sind daher: Wie kann ich mein Projekt in sinnvolle Meilensteine und Teilschritte zergliedern? Wie kann ich die Ergebnisse dieser Teilschritte für mich gut sichtbar machen? Auch das kann Prokrastination therapieren.
- Falsche Glaubenssätze ersetzen. Diese Glaubenssätze fördern prokrastinierendes Verhalten: „Ich habe mehr als genug Zeit!“ „Ich arbeite besser unter Druck!“ „Das Projekt wird weniger Aufwand als gedacht!“ „Ich sollte erst anfangen, wenn ich wirklich Lust habe!“ „Ich muss es erst wirklich sehr gut können, um damit anzufangen!“ Eine wichtige Maßnahme gegen Prokrastination: Diese falschen Glaubenssätze müssen weg.
- Klare Prioritäten. Wer nicht weiß, was zu tun ist und was im Zweifel Vorfahrt hat, der schiebt und verzögert seine Themen endlos. Hier gehört Licht ins Chaos, denn: Unklare Ziele fördern unklares Verhalten. Was sind meine wichtigen Ziele dieses Jahr, diesen Monat, diese Woche, diesen Tag? Das hilft, um sich von Prokrastination zu befreien.
- Gewohnheiten einsetzen. Sich immer wieder neu aufraffen… das ist schwer. Viel einfacher ist es, Dinge zu Gewohnheiten zu machen, die uns zu unseren Zielen führen. Deswegen sind Gewohnheiten eine wirksame Methode gegen Prokrastinieren. Ein Beispiel: Jemand möchte mehr Sport für Gesundheit und gutes Aussehen machen. Ein Ziel ist auch abzunehmen und psychologisch besser gestimmt dadurch zu werden. Mit dem Vorsatz „Ich will mehr Sport machen. Mal sehen, wann es diese Woche passt, dass ich Joggen oder Schwimmen gehe!“ wird es nichts. Es braucht konkrete Zeitpunkte, am besten direkt nach Verhalten, das man auch sonst zeigt. Beispiel: „Immer, wenn ich von der Arbeit heimkomme, gehe ich 30 Minuten im Wald laufen.“ Genauso wichtig ist das Beenden von falschen Gewohnheiten: Jeden Morgen als erstes die Nachrichtenseiten im Internet durchlesen? Oder die E-Mails der Nacht öffnen? Schluss damit.
- Leistungspotenzial schützen. Der Sieg gegen das permanente Aufschieben verlangt mentale Stärke. Das sind wichtige Fragen: Mache ich genug Pausen? Wann gehe ich schlafen, wann stehe ich auf? Wie sieht meine Ernährung aus? Wie verläuft ein typischer Feierabend? Regeneriere ich genug? Einigen Menschen, die prokrastinieren, fehlt es einfach an Energie. Sie wollen zu spät zu viel unter Zeitdruck erzwingen (Digdon und Howell, 2006). Das zerstört ihr Leistungspotenzial.
- Soziale Unterstützung nutzen. Unser soziales Umfeld kann Prokrastination abschalten helfen – aber im negativen Fall auch fördern. Es kommt ganz auf unser Umfeld an: Mit welchen Menschen umgeben wir uns? Günstig sind Personen, die mit ihrem Mindset und ihrem Verhalten positiv auf die gewünschten Verhaltensweisen einzahlen, uns motivieren und in Richtung unserer Ziele fördern. Im schlimmsten Fall haben wir es mit sozialen Trittbrettfahrern zu tun, die uns mit ihren Anliegen überfluten und damit noch weiter von unseren eigenen Aufgaben ablenken.
- Beginnen. Es hört sich erstmal trivial an: einfach starten. Doch kann dieser Ansatz tatsächlich sehr wirksam Prokrastination überwinden. Ein Trick ist, hier mit uns selbst zu verhandeln: „Nur fünf Minuten!“ Wenn wir einmal starten, machen wir in der Regel weiter, merken: „Es ist ja gar nicht so viel. Es ist gar nicht schlimm. Es geht viel besser als gedacht.“ Am Ende machen wir so meist weit mehr als fünf Minuten.
- Abschließen. Menschen scheitern nicht nur am ausbleibenden Beginnen. Um Prokrastination zu überwinden, ist auch ein rechtzeitiger Abschluss zentral. In Schule, Studium und Beruf wird Leistung oft an Fehlern bemessen. Je weniger Fehler, desto besser die Leistung. Vielleicht kommt es auch durch diese Sozialisierung, dass manche Menschen einen übermäßigen Perfektionismus entwickeln? Übermäßiger Perfektionismus führt dazu, dass wir Aufgaben nicht abschließen und am Ende sehr viel Zeit investieren, um etwas noch ein paar Prozent besser zu machen. Wichtige Regel ist hier: „Lieber gut abschließen, als sehr gut verzögern.“
Fazit: Was tun gegen Prokrastination? Es gibt viele Maßnahmen und Methoden, um Prokrastination zu überwinden. Beim Anwenden der Tipps gegen Prokrastinieren ist entscheidend: Es ist ein Verhalten, das bei verschiedenen Personen vollkommen andere Ursachen haben kann. Eine erfolgreiche Therapie sollte daher immer an den individuellen Ursachen im Einzelfall ansetzen. Tatsächlich zeigen einige Studien gute Erfolge bei der Therapie von Prokrastination (z.B. van Essen et al., 2004; Rozental und Carlbring, 2013). Veränderung ist möglich.
Krankhaftes Aufschieben: Prokrastination testen
Ab wann Prokrastinieren für jemanden zum Problem wird, sollte letztlich jeder selbst entscheiden. Die Übergänge vom normalen zum krankhaften Aufschieben sind wie so oft fließend – und die Toleranz dafür bei einzelnen Menschen ist unterschiedlich. Die Fragen im Schaukasten können helfen, sich selbst einzuschätzen, ein Test für Prokrastination sein.
- Verschiebe ich Dinge gerne auf Morgen oder noch später? Sage ich z.B. oft „Heute fange ich an!“ und mache dann doch nichts?
- Fällt es mir schwer, lange an einer Tätigkeit dranzubleiben?
- Bringe ich wichtige Projekte für mich selten oder gar nicht zu Ende?
- Habe ich für mich wenig Klarheit, was wichtige Ziele in meinem Leben sind?
- Erreiche ich Neujahrsvorsätze oder andere wichtige Ziele selten oder nie?
- Fühle ich mich bei wichtigen Aufgaben schnell gelangweilt und müde?
- Arbeite ich oft ohne klare Struktur und ohne Plan?
- Versäume ich immer wieder wichtige Termine, habe ich keinen Kalender oder schaue ich dort wenig rein?
- Lenke ich mich gerne ab von wichtigen aber eher unangenehmen Tätigkeiten – etwa mit Smartphone, Fernseher, Freunden oder anderen Tätigkeiten?
- Vermeide ich wichtige Tätigkeiten, etwa indem ich deswegen Briefe nicht öffne, Material verstecke, Anrufe nicht annehme oder Menschen aus dem Weg gehe?
Diese Fragen sind Hinweise, um für uns zu beantworten: „Bin ich ein Prokrastinierer?“ Je mehr dieser Fragen wir mit „ja“ beantworten und je größer unser Leidensdruck durch Misserfolg in sozialen, wirtschaftlichen und gesundheitlichen Belangen oder bei der Bildung ist, desto eher sollten wir etwas gegen die Aufschieberitis unternehmen.
Bedeuten gute Ergebnisse auf dieser Checkliste automatisch, dass es kein Problem gibt? Wie ist es mit Präkrastination, dem scheinbaren Gegenteil von Prokrastination – also Menschen, die „alles“ extrem frühzeitig erledigen? Dazu der nächste Schaukasten.
Ein Gedanke zum Abschluss: Mitunter ist hilfreich, ein Problem aus seinem Gegenteil heraus zu betrachten. Das Gegenteil von Prokrastinieren ist: Tun, was zu tun ist. Dagegen verzetteln sich Prokrastinierer in Dinge, die nicht zu tun sind und vernachlässigen ihre zentralen Vorhaben, sie „Tun, was nicht zu tun ist.“ Dieser Blickwinkel zeigt, dass der Erfolg gegen das Prokrastinieren im Prinzip sehr einfach ist – tu einfach, was zu tun ist. Dennoch fällt genau das vielen Menschen in der Praxis schwer, weil sie sich selbst im Weg stehen. Der Weg weg davon hat seinen Preis: Gewohnheiten ändern, Ablenkungen ignorieren, Struktur schaffen. Die in diesem Kapitel gezeigten Ursachen und vor allem die Tipps können allen Menschen helfen, die Prokrastination überwinden wollen.
Nicht nur das Prokrastinieren verhindert, dass wir unsere Lebensziele erreichen. Viele Menschen verweilen in ihrer Komfortzone und entwickeln sich dadurch kaum weiter. Einige werden sogar jeden Tag kleiner. Das nächste Kapitel zeigt deshalb, wie wir in die Wachstumszone kommen.