3. Moderation und Ablauf von qualitativen Interviews

Der Interviewer sollte gut geschult sein, um das Gespräch zur geeigneten Informationsgewinnung über den Problembereich führen können. Um ein Thema zu vertiefen und reichhaltige Antworten zu erhalten, müssen die Befragten beispielsweise durch das Stellen von offenen Fragen zum Reden gebracht werden. Dies geht am besten in angenehmer, vertrauensvoller Gesprächsatmosphäre.

 

Konkrete Aufgaben des Interviewers im Ablauf des Interviews sind:

  • Vertrauensvolle Beziehung herstellen.
    Ohne Vertrauen und positive Beziehung öffnen sich die Interviewpartner nicht.
    Positive, freundliche, geduldige und wertschätzende Behandlung der Interviewpartner ist wichtig, um Vertrauen aufzubauen. Das kann am Anfang bereits durch das Anbieten von Getränken und kleinen Snacks geschehen.
  • Ein kurzes Briefing.
    Zu Beginn ist es sinnvoll zu erklären, worum es geht und was ein Interview ist.
    Hier ist wichtig, auch zu erwähnen, dass man die Antworten aufzeichnen möchte und wofür.
    Die Einwilligung des Befragten ist dazu unbedingt erforderlich!
    Auch sollten in dieser Phase alle Fragen der Teilnehmer geklärt werden.
  • Das Gespräch anstoßen.
    Zum Anfang sollte eine möglichst offene Einstiegsfrage zum Problemkontext gestellt werden, die dem Befragten die Möglichkeit gibt, von persönlichen Erfahrungen zu sprechen. Dieses Vorgehen lässt dem Befragten Zeit und Bewegungsfreiheit, mit der Gesprächssituation, dem Interviewer und dem Thema warm zu werden. Er kann sich das Forschungsthema in Ruhe ansehen, um sich seines persönlichen Referenzsystems bewusst zu werden und es in allen Einzelheiten darzulegen.
    Beispiel: “Ich möchte mit Ihnen ein Interview zum Thema X führen. Was fällt Ihnen dazu spontan alles ein?”
  • Den Gesprächsfluss aufrecht erhalten.
    Richtig:
    Stimulierung des Gesprächs geschieht nonverbal und verbal.
    Nonverbal sind Nicken und aufmerksames aktives Zuhören sinnvoll. Verbal sind zustimmende Laute und Äußerungen wichtig: “verstehe”, “klar”, “hmmm”, …
    Je interessierter die Interviewer an den Aussagen und dem Thema allgemein sind und je deutlicher sie dies auch zeigen, desto besser.
    In Pausen, in denen der Redefluss stockt, kann das vom Interviewpartner gesagte nochmals zusammengefasst werden, um zum Weitersprechen zu animieren.
    Zudem ist es sinnvoll etwas nach zu bohren: “Wieso ist das so bei Ihnen?”, “Was sind die Gründe dafür?”, “Was ist in dem Kontext noch wichtig?”
    Oft ist es aber auch sinnvoll einfach eine Pause zu ertragen, der Befragte denkt so vertiefter nach, hat Zeit Gedanken zu sammeln.
    In einer Gesprächspause kann der Interviewer beispielsweise Getränke nachschenken oder etwas niederschreiben, um die Spannung zu lösen.
    Falsch:
    Gespräch abbrechen, Interviewpartner unterbrechen, geschlossene Fragen stellen (die mit “ja” oder “nein” klar zu beantworten sind), selbst viel sprechen, Widerspruch, Gesprächspausen zu schnell beenden, indem wieder weiter gefragt wird.
  • Das Gespräch aufmerksam verfolgen.
    Um später Rückfragen zu stellen, sich nicht zu wiederholen und dem Gesprächspartner sein Interesse zu zeigen, ist es erforderlich, wichtige Inhalte des Gesagten festzuhalten. Das sollte auf einem kleinen Schreibblock geschehen.
    Mitunter drücken Interviewpartner etwas indirekt zwischen den Zeilen aus oder verwenden Ironie und Zynismus. Das sollte der Interviewer bemerken und mit entsprechenden Verständnisfragen unbedingt klären. Ein Übersehen oder Verlassen auf die eigene Interpretation ist hier verkehrt.
    Auch sollten Aspekte des Gespräches vermerkt werden, die mit der Tonaufzeichnung nicht erfasst werden können. Vor allem emotionale Reaktionen (z.B. in der Mimik) sind hier relevant. Diese Reaktionen können für die Auswertung nützlich sein oder aber auch direkt angesprochen werden, um weitere Informationen zu erhalten.
  • Der Interviewer sollte den Interviewereinfluss möglichst einschränken.
    Richtig:
    Suggestive Einflussnahme sollte man stets vermeiden. Das gilt sowohl beim Fragen, als auch bei Interpretationen.
    Der Interviewer sollte dafür nur das absolut Nötigste sprechen, es geht darum Information zu Gewinnen, nicht zu vermitteln!
    Rückfragen des Partners sollten ganz neutral aufgefangen werden.
    “Erzählen, Sie das, was für Sie persönlich wichtig ist!” “Hier zählt nur Ihre persönliche Meinung, wenn es um meine ginge, bräuchte ich kein Interview zu führen!”
    Bei heiklen Themen sollte der Interviewer Verzerrungen der Antworten durch soziale Erwünschtheit mit geschickter Gesprächsführung reduzieren.
    “Die wenigsten Menschen putzen sich ja täglich zweimal die Zähne, wie ist das bei Ihnen?”
    Falsch:
    Aussagen interpretieren oder bewerten, eigene Meinungen zeigen, (insbesondere negative) Werturteile geben, eigene Erfahrungen erzählen, Ratschläge geben, Status oder andere Symbole betonen, die auf eigene Einstellungen schließen lassen könnten (Kleidung oder Inventar im Zimmer).
  • Das Gespräch in späteren Phasen steuern.
    Generell sollte das qualitative Gespräch natürlich so wenig wie möglich gesteuert werden, damit das für die Befragten selbst wirklich Wichtige genannt wird.
    Durchaus kann man aber bereits Genanntes erneut aufgreifen, um weitere Aussagen zu stimulieren.
    Kommt von der befragten Person zu einem Thema nichts, kann präziser nachgefragt werden, die Aufmerksamkeit auf Themen gelenkt werden, die für die Forschungsfrage relevant sind.
    Das geschieht durch eigene offene Fragen, auch W-Fragen genannt, die im Leitfaden als grobe Orientierung aufgezeichnet sind.
    Um Gespräche zu strukturieren, kommt es zum Einsatz eines Interviewleitfadens.
    Der Leitfaden im Interview  dient vor allem dem Interviewer dazu, einige Ankerpunkte im Verlauf des Gesprächs zu haben. Der Interviewer kann die Fragen im Leitfaden flexibel einsetzen, je nach Redefluss des Befragten müssen dann nicht alle Fragen ausformuliert werden. Generell sollte der Interviewer sich nicht steif am Interviewleitfaden orientieren und dadurch unaufmerksam gegenüber dem Gesagten werden, sondern sich auf das Gespräch einlassen und die Möglichkeit der freien Entwicklung geben.
    Aspekte die ohnehin im Leitfaden enthalten sind und ausführlich genannt werden, kann man abhaken. Offene Fragen sollten dann nochmals konkret angesprochen werden.
  • Das Gespräch beenden.
    Hier ist ein ausdrücklicher Dank angebracht und die Erwähnung, dass ein wichtiger Beitrag geleistet wurde.
    Auch bietet sich die Chance, nochmals Informationen zu erhalten: “Fällt Ihnen sonst noch etwas ein in diesem Kontext?”
    Zudem sollte der Befragte die Möglichkeit haben, selbst Fragen zu stellen.
    Tipp: Oft wird gerade etwas Wichtiges gesagt, wenn das Aufnahmegerät bereits ausgeschaltet ist.
    Daher sollte man immer etwas zum Schreiben bereit halten.
  • Nachfassen.
    Bei vorherigem Einverständnis kann man die Teilnehmer einen Tag nach der Befragung nochmals kontaktieren.
    Oftmals ist diesen noch etwas Wesentliches eingefallen. So lassen sich letzte Ideen ausschöpfen und nochmals ein Dank aussprechen.
Anke Bathelt, Projektleiterin, Klare Antworten GmbH / TNS Infratest
„Zur Steigerung der Redebereitschaft kann es angebracht sein, sich dem Befragten als Fan des Untersuchungsgegenstandes zu bekennen, um ihn zu ermutigen seine Meinung zu vertreten, bestimmte Dinge zu mögen oder nicht zu mögen. Allerdings sollte darauf geachtet werden, dass die Aussage des Interviewers nicht zu spezifisch in eine Richtung geht, um Befragte nicht zu beeinflussen. Geht es zum Beispiel um Soaps darf durchaus gesagt werden, selber ein großer Fan von Soaps zu sein, es sollte jedoch keine spezielle Soap genannt werden.“