11. Entwicklungen und Trends der Stichprobenforschung

Es gibt zahlreiche bedeutsame Entwicklungen innerhalb der Stichprobenforschung. Insbesondere die Entwicklung der Telefonmarktforschung, daraus resultierende neue Verfahren für Telefonstichproben sowie das Problem rückläufiger Ausschöpfungsquoten sind bedeutsam. Aktuelle Trends sind auch der wachsende Einsatz von Access Panels sowie das Thema Online-Marktforschung.

 

Die 80er und 90er Jahre waren durch eine zunehmende Bedeutung der Telefonmarktforschung gekennzeichnet. Für die Stichprobenverfahren bedeutete das einen Ausbau der sogenannten Adress Random-Ansätze. Bei diesem Untersuchungstyp stehen sehr oft Untersuchungen der Kundenzufriedenheit im Fokus. Das Unternehmen liefert seine Kundendatenbank an das Marktforschungsinstitut aus der dann eine Stichprobe gezogen wird. Was aber bedeutet es für die Stichprobenziehung, wenn keine Kundendatenbank vorliegt – d.h. keine vollständige Liste mit allen Elementen der Grundgesamtheit? In diesem Fall steht man bei telefonischen Bevölkerungsumfragen oft vor dem Problem der adäquaten Auswahlgrundlage. Die Entwicklungen im Telekommunikationsmarkt haben diese Problematik weiter verstärkt. Denn seit 1992 die Verpflichtung für einen Eintrag der Rufnummer im Telefonbuch weggefallen ist, stellt das Telefonbuch keine vollständige Liste der Grundgesamtheit mehr dar und somit auch keine adäquate Auswahlgrundlage.
Da sich Eingetragene und Nicht-Eingetragene aber in wesentlichen soziodemografischen Merkmalen unterscheiden (Nicht-Eingetragene leben z.B. häufiger in Großstädten als in ländlichen Gebieten, sind jünger, haben häufiger eine formal höhere Bildung und sind häufiger geschieden als eingetragenen Telefonbesitzer), würde die Ziehung aus dem Telefonbuch zu einer verzerrten Stichproben führen. Diese Umstände machten die Entwicklung neuer Stichprobenverfahren für Telefonumfragen erforderlich. Siegfried Gabler und Sabine Häder von dem ZUMA (Zentrum für Umfragen, Methoden und Analysen) haben ein Verfahren vorgeschlagen, dass auf den bestehenden Telefonbucheinträgen basiert. Dieses Verfahren hat sich in den letzten Jahren als methodischer Standard in der empirischen Sozialforschung in Deutschland etabliert und gibt eingetragenen und nicht eingetragenen Telefonnummern die gleiche Chance, in die Stichprobe zu gelangen (vgl. Häder & Gabler, 1998).

 

Axel Glemser – Head of Sampling, TNS Infratest

„Wenn die Bevölkerung telefonisch angesprochen werden soll, hat man das Problem der adäquaten Auswahlgrundlage. Das Telefonbuch ist es nicht und d.h. es müssen Rufnummern gesucht werden. Da gibt es verschiedene Verfahren, die unter dem Stichwort RLD laufen – Random Last Digit – und für Deutschland haben Siegfried Gabler und Sabine Häder von dem ZUMA ein Verfahren vorgeschlagen, was auf den Telefonbucheinträgen basiert. Diese werden hergenommen, die letzten zwei Ziffern abgeschnitten, aus diesem Rufnummernstamm ein Hunderterblock generiert, in dem die Ziffernfolgen 00-99 ergänzt werden. Somit hat man eine Art Auswahluniversum aller vorstellbaren Hunderterblöcke basierend auf den Telefonbucheinträgen. Für die privatwirtschaftlich organisierte Markt- und Sozialforschung ist dieser Vorschlag mit dem sogenannten ADM-Design aufgegriffen und weiter ausgebaut worden.“

 

Langfristige Entwicklungen, die ebenfalls die Umfrageforschung betreffen, beziehen sich auf das Problem rückläufiger Ausschöpfungsquoten. Dieser Problematik ist besondere Aufmerksamkeit zu schenken, weil Umfragen die weitaus wichtigste Informationsquelle der Marktforschung sind. Fast die gesamte Ad-hoc Forschung, der gesamte Omnibus und ein Großteil der weiteren kontinuierlichen Forschung (z.B. Werbetracking) beruhen auf Umfragen.

Als aktueller Trend ist eine verstärkte Forschung auf Basis so genannter Access Panels zu beobachten. Es handelt sich hierbei um eine Datenbank, die teilnahmebereite Versuchspersonen beinhaltet, die dann für diverse Studien zur Verfügung stehen. Auch vor dem Hintergrund der oben beschriebenen allgemein rückläufigen Teilnahmebereitschaft bei Umfragen gewinnen Access Panels an Relevanz. Außerdem sind Access Panels deshalb in der Marktforschung zunehmend beliebt, weil mit ihnen relativ günstig Studien durchgeführt und angeboten werden können. Deshalb ist bei diesem Forschungsansatz auch in der Zukunft ein weiterer Bedeutungsgewinn zu erwarten.

 

Wie in sehr vielen Bereichen hat das Internet als Medium und der damit verbundene Methodenshift zu Onlinebefragungen seit Ende der 90er Jahre eine tragende Rolle eingenommen. Der Trend zur Online-Marktforschung hat ebenfalls Auswirkungen auf Stichproben bzw. die Verfahren zur Stichprobenziehung.

 

Axel Glemser – Head of Sampling, TNS Infratest

„Wenn ich an der Stelle Stichprobe als Nettostichprobe verstehe, dann steht man bei der Onlinebefragung vor der Herausforderung, dass man einen doppelten Switch bewältigen muss. Es wird der Erhebungsmodus – von Telefon zu online, von Face-to-Face zu online und typischerweise auch das Auswahlverfahren gewechselt. Das bedeutet bei der Umstellung einer kontinuierlich laufenden Untersuchung (z.B. Bevölkerungsuntersuchungen oder Trackings, die monatlich laufen), dass man möglicherweise in dem neuen Design andere Werte misst. Und dann kommt die Frage, woher kommen jetzt diese neuen Werte. Ist das aufgrund des Methodenwechsels, also des Wechsel des Auswahlverfahrens oder ist es darauf zurückzuführen, dass der Erhebungsmodus zu Online umgestellt wurde im Gegensatz zum bisherigen sogenannten Offline-Vorgehen?

Das ist die Schwierigkeit in der Nettostichprobe, das genau auseinander zu klamüsern. Darüber hinaus sind Onlinebefragungen auch eine Herausforderung, da geeignete Auswahlrahmen für bevölkerungsrepräsentative Studien kaum vorhanden sind. Man muss an der Stelle immer bedenken, wer ist überhaupt im Internet präsent. Dort liegt noch eine relativ schräge Altersverteilung vor – im Normalfall je älter, desto geringer die Wahrscheinlichkeit einer konstanten Internetpräsenz der Personen. Auch sind die formalen Bildungsabschlüsse nicht wie in der Grundpopulation vertreten, das ist kritisch.

Im Normalfall werden heute Access Panels verwendet. Diese zeigen auch wunderbar proportionale Abbilder der Grundgesamtheit. Nur wird leider oft nicht dokumentiert wie das Recruiting-Verfahren gestaltet ist und welche Ausfälle sich auf dieser Stufe zeigen. Zudem haben Mitglieder eines Panels ein gemeinsames, sie verbindendes Merkmal: die Bereitschaft bei Onlineforschung mitzumachen; das kann für die ein oder andere Untersuchung einen Einfluss haben. Dieses Risiko muss man bei Accesspanelansätzen immer bereit sein zu tragen. Aus der Erfahrung wissen wir, dass es Forschungsfelder gibt, da läuft das ganz gut, das Risiko ist also hinnehmbar, aber es gibt auch andere Forschungsfelder, wo das ein oder andere Problem auftaucht und deshalb ist eine solche Studie online nur schwierig durchführbar.“

 

Fazit: Abschließend ist festzuhalten, dass sich die Befürworter und die Gegner der Online-Marktforschung bezüglich der weiteren Entwicklung relativ einig sind: Online-Marktforschung wird auch künftig stetig an Bedeutung zunehmen. Sie wird aber nicht die traditionellen Erhebungsmethoden kurz oder mittelfristig vollständig ersetzen. Optimale Forschungseffizienz baut auf eine Methodenvielfalt auf und es gilt, die spezifische Stärke der Online-Marktforschung gezielt zu nutzen (vgl. Theobald, 2003, S. 2).