4. Nutzer, Zeitrahmen und Wert von Marketing-Information

Bevor es zu Marktforschung kommt, ist aber erst einmal erforderlich, genau den Informationsbedarf einzugrenzen und präzise zu definieren. Nur dann können Entscheidungen im Unternehmen optimiert werden und das Unternehmen erfolgreich im Wettbewerb sein. Falsch definierte oder schlecht erhobene Informationen können sogar schädlich für ein Unternehmen sein, da falsche Entscheidungen getroffen werden.

 

Am Fall von Coca-Colas Scheitern mit New Coke wird das gut sichtbar.

 

Praxisfall: Coca-Cola scheitert mit New Coke
In den 80er Jahren griff Pepsi den Wettbewerber Coca Cola massiv mit einer Marketingoffensive an. Geschmackstests hatten gezeigt, dass Pepsi im Blindversuch wesentlich mehr Menschen besser schmeckt als Coka-Cola. Das wurde mit Promotion-Ständen von Pepsi gegen den Wettbewerber genutzt: Unter dem Titel “The Pepsi Challenge” wurden Personen zum Verkosten von Cola aufgefordert – ohne Markenkenntnis. In der Wissenschaft bezeichnet man dies als Blindversuch. Die Personen sollten an den Promotionständen angeben, welche Cola ihnen besser geschmeckt habe. Das war meist Pepsi-Cola.

 

Coca-Cola geriet unter Druck und fing an, mit neuen Rezepturen zu experimentieren. Nach Jahren der intensiven Forschung und tausenden von Verkostungsversuchen war man sich sicher: Die neue Formel schmeckt besser! 1985 wurde die objektiv besser schmeckende Cola unter dem Namen New-Coke auf den Markt gebracht, die alte Coca-Cola aus dem Markt genommen. Nach massiven Protesten der Verbraucher wurde jedoch bald die ursprüngliche Rezeptur unter dem Namen Coca-Cola Classic wieder eingeführt.

 

Was war geschehen? Coca-Cola hatte sich bei der Such nach einer Antwort auf die Angriffe von Pepsi rein auf den Geschmack konzentriert. Damit hatte Coca-Cola den benötigten Informationsbedarf klar viel zu eng eingegrenzt.

Coca-Cola hatte über Jahrzehnte mit massivem emotionalen Marketing eine sehr starke emotionale Bindung an die Marke geschaffen. Viele Kunden hatten sich mit Coca-Cola sehr stark identifiziert. Durch den starken Wechsel des äußeren Erscheinungsbildes des Produktes, wurde vielen Kunden ihr geliebter emotionaler Identifikationsgegenstand genommen, der Teil ihres Lebens war. Das neue Produkt war zu unterschiedlich, als dass die positiven Emotionen sich darauf generalisiert hätten. Eine Reizgeneralisierung konnte nicht stattfinden.

 

Was hätte Coca-Cola besser machen können? Anstatt nur den Geschmack zu beachten, hätte Coca-Cola das Marketingproblem breiter betrachten sollen.
Viel einflussreicher als der objektive Geschmack, sind die visuellen Reize und Markeneffekte bei der psychologischen Empfindung von Geschmack. So glauben beispielsweise Menschen, die braun eingefärbten Vanillepudding  zum probieren bekommen haben, sie hätten Schokoladenpudding gegessen (Tom, Barnett, Lew & Sermants, 1987). Selbst Weinexperten bemerken nicht, wenn sie einen rot eingefärbten Weißwein bekommen (Lindstrom, 2005) und minderwertige Erdnussbutter schmeckt, sofern mit bekannter Marke gekennzeichnet, besser als ein objektiv wesentlich besseres Produkt ohne Kennzeichnung mit bekannter Marke (Hoyer & Brown, 1990).
Coca Cola hätte also die positiven Markenassoziationen behalten sollen und gleichzeitig den Geschmack objektiv optimieren können. Diese Optimierung hätte beispielsweise in so kleinen Schritten vorgenommen werden sollen, dass die Kunden von einer Veränderung gar nichts merken. Man spricht hier von Veränderungen unterhalb der relativen Wahrnehmungsschwellen von Unterschieden.

 
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Abbildung: Coca-Cola New Coke

 

Ein unzureichendes Kundenverständnis und falsche Überzeugungen können nicht selten ein Problem im Dialog von Marktforschern mit Auftraggebern sein.

Dr. Florian Bauer – Geschäftsführer, Vocatus

„Es kommt durchaus vor, dass man ein sehr rationalistisches Weltbild vom Kunden hat und sehr Artifiziell an die Sache geht – und dementsprechend Fragebögen konstruiert.

Viele haben ein paar Vorstellungen, was der Kunde negatives über ihr Produkt denkt und stecken das dann in den Fragebogen. Auf die Antwortoptionen wird gar nicht so genau geschaut. Und der Kunde füllt das dann dementsprechend aus, denn was ihm vorgelegt wird, dass kann er auch nur beantworten. Also mit anderen Worten, dass was man in den Fragebogen hineinsteckt, das kommt auch am Ende dabei heraus. Nach dem Motto: Garbage in garbage out.

Die Möglichkeit den Fragebogen vorab mit qualitativen Methoden abzusichern ist sinnvoll, das wird aber mitunter einfach nicht gewünscht. Dann muss man sich halt überlegen: Was gibt es für mögliche Antworten und bastelt darauf dann den Fragebogen. Aber da sehen viele einfach den Kunden und seine Entscheidungen zu rational. Oft entspricht das leider nicht den tatsächlichen Gedanken des Kunden.“

 

Bestimmend für den Informationsbedarf sind letztendlich die Nutzer der Information und die Entscheidung, die zu treffen ansteht.

Die Nutzer von Marketing-Information sind vielfältig. Häufig sind es:

  • das Management von Unternehmen, besonders das Marketingmanagement
  • die Unternehmenskommunikation (Corporate Communications)
  • Produktmanager
  • Vertriebsmitarbeiter
  • Produktion, Forschung und Entwicklung (F&E)
  • Werbeagenturen und andere externe Kooperationspartner

Aus den Nutzern der Information und den Entscheidungen, die sie treffen müssen, kann auch klar der Zeitrahmen für eine Erhebung abgeleitet werden.
Meist gibt es ganz klare Deadlines. Ein Produkt muss zum Weihnachtsgeschäft auf dem Markt sein, die Werbung muss eine Woche vor Markteinführung geschaltet werden, ein neuer Mobilfunktarif muss zeitgleich mit der Produkteinführung eines Wettbewerbers als Gegenmaßnahme auf den Markt kommen. Diese Zeitlinien bestimmen auch den Zeithorizont für die Informationsbeschaffung. Oft sind dabei in der Praxis die Ergebnisse aus Sicht der Entscheider kaum schnell genug zu beschaffen. Das führt zu innovativen Ansätzen, wie z.B. dem Einsatz von Fokusgruppen unter Anwesenheit der Entscheider, was dann häufig direkt zu Entscheidungen führt und die Zeit für Datenauswertung und Ergebnisdarstellung erspart.

 

Auf Basis des konkreten Informationsbedarfs und der Unsicherheit bei der Entscheidung kann auch Schätzung des Wertes der Informationvorgenommen werden. Welchen Wert hat die Studie bzw. Welchen Wert haben die gewonnen Informationen für das Unternehmen? Dieses ist in der Praxis eine sehr entscheidende Frage. Deshalb sollten die Beteiligten im Vorfeld den individuellen Nutzen und die Ausgangsbedingungen der Situation genau analysieren.
Formalisiert würde man den Wert der Information als Funktion aus der Unsicherheit bei der Entscheidung und der Bedeutung der Konsequenzen (Chancen und Risiken) betrachten. Der Nutzen und damit auch der Umfang einer Forschung hängt ab von der Bedeutung einer Entscheidung, der Unsicherheit und dem Einfluss der Forschungsergebnisse auf die Entscheidung. Hierbei spielt nicht zuletzt eine Kosten-Nutzen Analyse und darüber hinaus eine Betrachtung der zur Verfügung stehenden finanziellen, zeitlichen und personellen Ressourcen eine Rolle. Es ist nicht immer sinnvoll oder kosteneffizient eine aufwändige Studie durchzuführen. Besonders für kleine bis mittelständische Unternehmen sind die Kosten einer Marktforschungsuntersuchung vielfach zu hoch.